© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/19 / 24. Mai 2019

Parolen und Prügel
Gewalt: Die AfD wird vermehrt Opfer von Übergriffen im Wahlkampf / Der große Aufschrei bleibt aus
Christian Vollradt

Die Warnung vor einem erstarkenden „Rechtspopulismus“ – und damit in Deutschland in erster Linie vor der AfD – wird gerne mit abschreckenden Beispielen unterfüttert, sei es aus der deutschen Geschichte oder aus der aktuellen Situation, die angeblich in einigen europäischen Staaten vorherrsche. So begründete jüngst etwa der bayerische Umweltverband BUND seine ablehnende Haltung zur AfD mit deren „demokratiefeindlicher“ Positionierung – und: „In Ländern wie Ungarn oder Polen, in denen autoritäre Parteien an der Regierung sind, läßt sich diese besorgniserregende Entwicklung gut beobachten. Wer dort kritisch zur Arbeit der Regierung Stellung bezieht, läuft Gefahr, öffentlich diffamiert zu werden.“

Nun gibt es in der Tat hierzulande im Zusammenhang mit der AfD besorgniserregende Entwicklungen – allerdings ist die Partei in diesen Fällen Opfer antidemokratischer Attacken.

Noch die harmlosere Variante zum Beispiel: von den bis vergangene Woche in der Hauptstadt insgesamt 1.006 beschädigten oder entwendeten Wahlplakaten gehörten 862 der AfD. Damit ist die Partei sechsmal so oft betroffen wie ihre Mitbewerber. In der überwiegenden Zahl der Fälle geht die Polizei von politisch motivierter Zerstörung aus. „Was wir schon lange aus Erfahrung wissen, ist nun mit Zahlen statistisch belegbar“, sagte der Pressesprecher der Berliner AfD, Ronald Gläser, der JUNGEN FREIHEIT. „Es ist der undemokratische Versuch, uns mundtot zu machen.“ Einziger Lichtblick: „Die Motivation unserer Leute wird dadurch nicht geschmälert – im Gegenteil“, ist Gläser überzeugt.

Doch am Montag mußte die Partei die nächste Hiobsbotschaft verkünden. Laut  Bundesgeschäftsstelle hat die Vermieterin für den Raum der AfD-Wahlparty am Sonntag abend den Vertrag gekündigt. Begründung: Der Veranstaltungsort war zuvor beschmiert, der Betreiberin sei telefonisch Gewalt angedroht worden. Darüber hinaus wurde der Betreiberin schriftlich „Vergeltung“ angekündigt, falls sie die AfD beherberge. „Der Gesinnungsterror nimmt in Deutschland immer extremere Formen an“, beklagte Parteichef Jörg Meuthen und forderte den Berliner Senat auf: „Nehmen Sie endlich das Problem der linksextremen Gewalttäter ernst.“

„Linksextreme haben jede Hemmung verloren“

Alarm gab es am selben Tag in der Geschäftsstelle der AfD-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft. Dort sorgte der Brief eines anonymen Absenders mit einer unbekannten weißen Substanz für einen Großeinsatz der Feuerwehr. Ein Notarzt untersuchte Fraktionschef Alexander Wolf sowie einen Mitarbeiter, die beide mit dem Pulver in Berührung gekommen waren. Später konnten die Einsatzkräfte Entwarnung geben, es handelte sich um ungefährliches Dextran. Weiter nördlich in Lübeck brannte in der Nacht auf Montag das Auto des schleswig-holsteinischen AfD-Landtagsabgeordneten Claus Schaffer. Die Polizei geht von Brandstiftung mit politischem Motiv aus. Schaffer teilte mit, er habe das Fahrzeug im Wahlkampf verwendet. „Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß dabei beobachtet wurde, daß ich Halter des jetzt zerstörten Fahrzeugs bin.“ Der Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion, Jörg Nobis, nannte die Tat eine Konsequenz des von den anderen Parteien vergifteten politischen Klimas und forderte „ein klares und ehrliches Bekenntnis für einen fairen und ungehinderten Wahlkampf“. 

Im niedersächsischen Landkreis Stade hatten unterdessen in der Nacht auf Freitag Unbekannte das Haus des AfD-Kreistagsabgeordneten Jan Hensen mit Parolen beschmiert. Hensen wurde als „Faschistenfreund“ und „Rassist“ bezeichnet, außerdem schrieben die Täter „Keine Ruhe der AfD“ und zeichneten als „antifa“ sowie mit Hammer und Sichel verantwortlich. Beschmiert wurde auch eine Schulbushaltestelle, die der 7jährige Sohn des Kreistagsmitglieds regelmäßig nutzt. Auf einem großflächig verklebten Flugblatt forderten die Täter Hensens Nachbarn auf, ihm zu zeigen, daß „Menschenfeinde und Faschist*innen keinen Fußbreit erhalten“. Hensen bezeichnete die Aktion als geschmacklos und „unterhalb der Gürtellinie“. Für die Beseitigung der Schmierereien, die Hensen bei Rückkehr von der Nachtschicht im Hamburger Hafen entdeckt hatte, rechnet er mit Kosten in fünfstelliger Höhe. 

Opfer von Schmierereien wurden Anfang der Woche auch Einrichtungen der AfD in Stralsund. Betroffen waren dort das „Volkshaus“, wo eine Veranstaltung der Partei stattfinden sollte, sowie das Bürgerbüro des Bundestagsabgeordneten Leif-Erik Holm. Der Sachschaden beträgt mehrere tausend Euro. Die linksextreme Szene habe „offenbar jede Hemmung verloren und setzt jetzt ganz offen auf Gewalt und Einschüchterung“, empörte sich Holm. Es dürfe nicht sein, „daß eine gewaltbereite kleine Minderheit darüber entscheidet, welche Parteien in der Öffentlichkeit Werbung für sich machen können“. 

In Niedersachsens Hauptstadt Hannover wurde AfD-Ratsherr Reinhard Hirche am vergangenen Freitagnachmittag von einem Mann mit einem Messer sowie Steinen attackiert. In Schwaikheim waren vergangene Woche ebenfalls zwei Wahlkämpfer an einem Infostand mit einem Teleskopschlagstock unter anderem auf den Kopf geschlagen worden. 

Nicht zuletzt wegen solcher Vorfälle sorgte ein Facebook-Foto der Berliner Jusos für Empörung (siehe Seite 2). Es zeigt eine junge Frau mit Europafahne auf dem Pulli und der Aufschrift „Nationalismus eiskalt abservieren“. In den Händen hält sie einen Schlagstock.