© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/19 / 24. Mai 2019

Wo Le Pen Jahrtausende aufruft
Lega-Chef Salvini lud Europas Rechtspopulisten in sein Wohnzimmer: Katholische Rhetorik und Trommeln für die Super-Fraktion
Marco F. Gallina

Wenige Tage vor der EU-Wahl drehen die Verteidiger des Status quo noch einmal auf. „Zum ersten Mal seit ihrem Bestehen gibt es Feinde Europas, Leute, die Europa zerstören wollen, darum geht es beim Populismus.“ EU-Kommissar Pierre Moscovici schießt scharf in einer Debatte des TV-Senders Euronews. Der Ex-Finanzminister Frankreichs mahnt weiter: „Wenn sich diese Populisten vereinen und die Pro-Europäer gespalten sind, dann wäre das der erste Schritt zum Sieg der Populisten.“ Moscovici brandmarkte diese als „Nationalisten und Rechtsextreme“.

Wie sehr die Panik bei den etablierten europäischen Parteien umgeht, zeigt auch der jüngste Auftritt der deutschen Bundeskanzlerin in Kroatien. Angela Merkel war am Wochenende nach Zagreb von der HDZ eingeladen worden, der konservativen Schwesterpartei der CDU. In der Cibona-Halle warnte Merkel in ungewohnt drohender Manier: „Der Nationalismus ist der Feind des europäischen Projekts.“ Populistische Strömungen verrieten jene Werte, auf denen Europa aufgebaut sei. „Dem müssen wir uns entschieden entgegenstellen.“

Unklar bleibt die Zukunft des ungarischen Fidesz

Die Attacken gehen unverhohlen gegen die neue rechte Allianz, die sich unter der Führung des italienischen Innenministers Matteo Salvini formiert. Der Lega-Chef lud am selben Wochenende seine Verbündeten in seine Heimatstadt Mailand zu einem großen Treffen der europäischen Rechten ein. Unter strömendem Regen hielten Vertreter aus zwölf Ländern ihre Reden auf dem Domplatz. Für Deutschland war Jörg Meuthen von der AfD dabei. Höhepunkte waren die Auftritte der französischen Spitzenkandidatin Marine Le Pen vom Rassemblement National (ehemaliger Front National) und des Gastgebers Salvini. Le Pen betonte, daß das Europa der Rechten keine 60 Jahre zähle, sondern Jahrtausende. Die Ansprache gipfelte mit einer Umdichtung der französischen Nationalhymne: Von nun an seien die „Kinder“ aller Vaterländer aufgerufen, zusammen „aufzubrechen“, da der „Tag des Ruhmes gekommen“ sei. Salvini dagegen besprach nicht nur die „populistischen“ Standardthemen wie den Bürokratieapparat Brüssel, Islam oder Migration, sondern schärfte mit Hinweis auf katholische Denker und Heilige das christliche Profil. Am Schluß seiner Ansprache vertraute Salvini sein Leben und Italien dem „Unbefleckten Herzen Mariens“ an.

Dabei ging der Sturz der Wiener Regierung auch am Mailänder Völkerfest nicht vorbei. Statt Harald Vilimsky schickte die FPÖ Georg Mayer. Die Absage an Koalitionen der Mitte mit rechten Parteien, wie sie Merkel Anfang des Monats geäußert hat, wird so direkt oder indirekt Realität. Nach Mailand kam kein Abgesandter der polnischen Partei Recht und Gerechtigkeit von Jaroslaw Kaczynski. Unklar bleibt auch die Zukunft des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der solche Koalitionen befürwortet hat und wie Merkel und ihr CSU-Kollege Manfred Weber der Europäischen Volkspartei (EVP) angehört. Weber, der auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten hofft, hatte noch vor wenigen Tagen nicht ausgeschlossen, daß Orbáns Fidesz-Partei aus der EVP entfernt werden könnte. Orbán hatte keinen Vertreter nach Mailand gesendet, jedoch Salvini jüngst in Ungarn getroffen.

Es sind solche Unwägbarkeiten, die den Ausgang der EU-Wahl zu einer Lotterie machen. Demoskopen gehen davon aus, daß eine vereinte Fraktion der EU-Kritiker zweitwichtigste Kraft werden könnte. Hinsichtlich der Unterschiede im rechten und alternativen Lager erscheint dies jedoch utopisch. Salvini, Le Pen und Co. konnten zwar bereits einige Kräfte aus den anderen Fraktionen bündeln – neben der AfD gehören dazu auch die estnische EKRE oder die Dänische Volkspartei –, aber nicht alle EU-Kritiker fühlen sich diesem Kurs verbunden. Die Unterschiede werden bereits in der italienischen Koalition deutlich, wo die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) auf Konfrontationskurs mit der Lega geht; ein Zusammengehen auf europäischer Ebene ist ausgeschlossen. Auch die Brexit-Party von Nigel Farage, die derzeit große Erfolge in den britischen Umfragen feiert, dürfte weiterhin ihren Weg gehen. Die wahren Verhältnisse im EU-Parlament klärt erst der Tag der Fraktionsbildung.

Demoskopen schätzen die Erfolgs­chancen der Anti-EU-Kräfte positiv ein, doch dürfte die Spaltung in mindestens zwei Fraktionen anhalten. Die Liberalen von der ALDE-Fraktion werden damit auch nach dem 26. Mai die drittstärkste Kraft repräsentieren. Der EVP und den Sozialisten droht hingegen ein kräftiger Aderlaß, der die ALDE bei einer Dreierkoalition zum Königsmacher im neuen Parlament machen würde. Die Prognose sieht wenig rosig aus: Eine große Koalition könnte das „rechte Schreckgespenst“ nutzen, um in einer ideologisch aufgeladenen Atmosphäre die europäische Integration zu intensivieren, statt die Demokratisierung des Projekts in Angriff zu nehmen.

Der europäischen Rechten steht demnach kein Pyrrhussieg, sondern ein Hannibal-Sieg bevor: Die Schlachten gewonnen, den Krieg verloren.