© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/19 / 24. Mai 2019

„Erst unsere Leute“
Superwahlsonntag in Belgien: Der verjüngte Vlaams Belang hofft in Flandern auf Verdreifachung der Stimmen / Grüne abgeschlagen
Mina Buts

Fast dreißig Jahre ist es her, daß der Vlaams Belang (VB) bei den belgischen Parlamentswahlen in den Städten Antwerpen und Mechelen stärkste Kraft wurde. Als „Schwarzer Sonntag“ ging dieser Tag in die Geschichtsschreibung des belgischen Establishments ein. Schon warnen belgische Medien, dieser „Schwarze Sonntag“ könne eine Neuauflage erfahren, wenn am belgischen Superwahlsonntag EU-Parlaments- wie auch nationale Parlamentswahlen stattfinden.

Tatsächlich zeichnen sich schon jetzt zwei Tendenzen ab: Zum einen sinken die Grünen Flanderns („Groen“) seit Februar massiv in der Wählergunst, obwohl grünes Gedankengut von der weltweiten „Fridays for Future“-Bewegung gezielt verbreitet wird und der Partei mit der 17jährigen flämischen Anuna De Wever eine ebenso mediengängige Klimaaktivistin zuarbeitet wie die schwedische Greta Thunberg. Die Umfrageinstitute ermitteln für die Partei allenfalls elf Prozent der Stimmen.

Entsetzen darüber, daß die Jugend rechts wählt

Zum anderen dürfte der Vlaams Belang seinen Stimmenanteil auf fast 15 Prozent verdreifachen. Vor allem bei jungen Wählern ist die Partei beliebt: 39 Prozent aller Stimmberechtigten zwischen 18 und 35 wollen ihm ihre Stimme geben. Zu verdanken hat die Partei diese Entwicklung in erster Linie ihrem jungen Parteivorsitzenden Tom van Grieken, der seit fünf Jahren für eine Verjüngung und Neuausrichtung der Partei sorgt. „Wir sind die einzige Partei, die sich traut, gegen das Establishment Themen anzusprechen, über die die anderen Parteien lieber schweigen: Islamisierung, Immigration, Kriminalität“, warb van Grieken gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Nach seinen Worten würden „Jüngere das Geschwätz der traditionellen Parteien nicht mehr glauben.“ Das Motto für die anstehenden Wahlen lautet: Erst unsere Leute („Eerst onze Mensen“). Die Flamen, so beklagt der 32jährige, hätten die höchste Steuer- und Abgabenquote weltweit bei gleichzeitig sehr niedrigen Renten. Das sei nicht nur den enormen Finanztransfers nach Wallonien, sondern auch der massiven Einwanderung geschuldet.

Konsequent hat der Vlaams Belang im Dezember 2018 Druck auf die an der Regierung beteiligte separatistische, nationalkonservative N-VA ausgeübt, dem „Marrakesch-Pakt“ nicht zuzustimmen. Über 6.000 Menschen demonstrierten in Brüssel gegen den UN-Migrationspakt, der für Einwanderung zuständige Staatssekretär Theo Francken (N-VA) mußte zurücktreten.

Ein kluger Schachzug van Griekens war auch die Einbindung Dries Van Langenhoves, des 26jährigen Gründers und Leiters der identitären Gruppe „Schild & Vrienden“, die vor allem unter flämischen jungen Männern verhältnismäßig großen Zulauf hat. Im Zuge einer vermeintlichen Enthüllungsreportage, die im September 2018 im öffentlich-rechtlichen Fernsehen über diese Organisation ausgestrahlt wurde, war Van Langenhove von der Universität Gent exmatrikuliert worden. Er klagte erfolgreich dagegen. Ohne Parteimitglied zu sein, ist er nun einer der Spitzenkandidaten für das belgische Nationalparlament. Jugendliche schätzten beim Vlaams Belang vor allem die Geradlinigkeit und die deutliche Sprache, gab Van Langenhove gegenüber der JF an. Bei Wahlkampfveranstaltungen würden Van Grieken und er von den Jugendlichen zu Hunderten umjubelt, umringt und zu Selfies aufgefordert.

Schon vor Monaten beklagten flämische Schulen den enormen Zulauf für den Vlaams Belang. Bei nichtamtlichen schulischen Probeabstimmungen für die bevorstehenden Parlamentswahlen läge der VB mit über 30 Prozent fast immer vor den Grünen. Auch das flämische Nachrichtenmagazin Knack äußerte sein Befremden, daß Jugendliche plötzlich „beängstigend“ viel über die flämische Geschichte, die Kollaboration und den Zweiten Weltkrieg wüßten. Die konservative N-VA hingegen, bislang stärkste Partei in Belgien, dürfte spätestens nach der Ankündigung ihres Parteivorsitzenden, des Antwerpener Oberbürgermeisters Bart De Wever, das Renteneintrittsalter von 67 Jahren noch weiter anzuheben, die Marke von 30 Prozent nicht mehr erreichen.

Prognose belgische Parlamentswahl:  www.politico.eu/