© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/19 / 24. Mai 2019

Der Hort der Gesetzlosen
Logistikbranche: Die Paketzusteller sollen für ihre Subunternehmer haften / Regelung leicht umgehbar?
Paul Leonhard

Mitarbeiter von Paketdiensten und Zeitungsausträger haben eines gemeinsam: Sie werden äußerst schlecht bezahlt. Aber sie unterscheiden sich in einem: Die Zeitungen berichten gern über die skandalösen Zustände der Entlohnung ersterer, über ihre eigene Praxis im Niedriglohnsektor schweigen die Verleger lieber.

Insbesondere die einstige Arbeiterpartei zeigt Verständnis für dieses Verhalten, ist sie doch über ihre Medienholding DDVG (JF 8/19) an zahlreichen Zeitungen beteiligt. Kein Wunder also, daß Arbeitsminister Hubertus Heil kein böses Wort über die Verlage verliert, sich dafür aber in bezug auf die ebenso miesen Bedingungen in der Paketbranche als Heilsbringer präsentiert: Er will DHL (als Deutsche-Post-Marke zu 20,6 Prozent in Bundesbesitz) und die Konkurrenten DPD, Hermes, UPS & Co. per Gesetz für die Arbeitsbedingungen der Paketboten verantwortlich machen, auch wenn sie die Lieferung an Subunternehmer ausgegliedert haben.

Offenbar stehen die Koalitionsspitzen noch immer unter dem verheerenden Eindruck, den Anfang Februar eine von fast 3.000 Zöllnern durchgeführte bundesweite „Schwerpunktprüfung“ in der Paketbranche hinterlassen hat. Die Ergebnisse waren niederschmetternd. Selbst das unternehmernahe Handelsblatt schrieb von „einem Hort der Gesetzlosen“. Die Stichproben ergaben, daß sich jede dritte Zustellfirma nicht ans Arbeitsrecht hält. Verstöße gegen Arbeitszeitregelungen, nicht geleistete Zahlungen an Kranken- und Sozialkassen sind in der Branche offenbar eher die Regel als die Ausnahme. 74 Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren wurden im Zuge der Razzia eingeleitet. Überdies stießen die Zollbeamten bei 17,6 Prozent der kontrollierten 12.000 Kurierfahrer auf Ungereimtheiten bezüglich des Mindestlohnes.

Kräfte aus Weißrußland, der Ukraine und Moldawien?

Der Zoll konnte Subunternehmern auch Urkundenfälschung und die Beschäftigung von Nicht-EU-Ausländern nachweisen, die sich illegal in Deutschland aufhalten und in einigen Fällen nicht einmal im Besitz eines Führerscheins waren. Anlaß genug, daß Verdi-Chef Frank Bsirske der Paketzustellbranche vorwarf, daß sich in ihr „zum Teil mafiöse Strukturen etabliert“ hätten: „Unternehmen wie Hermes engagieren Firmen, die wiederum andere Firmen beauftragen, die dann Menschen aus der Ukraine, aus Moldawien oder aus Weißrußland in die Lieferfahrzeuge setzen“, so Bsirske gegenüber der Funke-Mediengruppe.

Viele dieser Paketfahrer hätten gefälschte Pässe. Gezahlt würden Stundenlöhne von 4,50 oder sechs Euro bei Arbeitszeiten von zwölf oder sogar 16 Stunden pro Tag. Während die kritisierten Paketzustelldienste die Vorwürfe als „eine nicht nachvollziehbare Vorverurteilung“ und „geradezu beleidigend für Tausende von redlichen Transportunternehmen“ zurückweisen, so ein Sprecher von DPD, zeigt sich SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil empört. Schlechte Bezahlung sei das eine, aber daß der soziale Schutz ausgehebelt werde, sei nicht hinnehmbar. Nicht betroffen ist offensichtlich der US-Konzern UPS, der in der Regel eigene angestellte Zusteller beschäftigt. Und ab 1. Juli kehren auch die 13.000 Beschäftigten der 46 ausgegliederten Deutsche-Post-Tochtergesellschaften wieder in den Haustarifvertrag zurück.

„Es zerbricht der soziale Frieden in unserem Land, wenn man solchen Mißentwicklungen tatenlos zuschaut“, klagte der Sozialdemokrat Heil. Daß sich die Paketzusteller von den beauftragten Subunternehmern vertraglich zusichern lassen, daß Mindestlohn gezahlt werde, ist Heil zuwenig. Er möchte die Paketdienste gesetzlich verpflichten, Sozialabgaben für die Subunternehmen nachzuzahlen, wenn diese beim Mindestlohn betrügen oder Fahrer illegal beschäftigten. Heil setzt dabei auf das Vorbild der „Nachunternehmerhaftung“ für Sozialversicherungsbeiträge aus der Bau- und Schlachtereibranche, die im Paragraphen 28 des vierten Sozialgesetzbuches geregelt ist.

Glaubt man Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer beim Zentralverband des Baugewerbes (ZDB), ist es durch diese seit 2002 geltende Regelung in der Branche „deutlich ordentlicher geworden“.Während die Gewerkschaften IG Bau und Verdi Heils Vorhaben unterstützen, weil so „soziale Verwerfungen eingedämmt“ werden könnten und ein derartiges Gesetz eine „abschreckende Wirkung“ habe, verweisen die im Verband BIEK organisierten Paketdienste auf den höheren bürokratischen Aufwand und auf finanzielle Belastungen.

Keine Fahrtenschreiber in den Zustellfahrzeugen

Branchenkenner halten Heils Regelung für umgehbar: Die Paketdienste würden einfach ihre Fahrer entsprechend anweisen. Wenn sie vom Zoll gefragt werden, geben sie einfach an, daß sie nicht Vollzeit, sondern nur 20 Stunden die Woche für 9,19 Euro die Stunde arbeiten. Fahrtenschreiber sind in den oft angejahrten Zustellautos ohnehin nicht vorgeschrieben. Dazu kommt der niedrige Organisationsgrad in der Branche. Während beispielsweise DHL den Fahrern Tariflohn zahlt, sieht das bei den beauftragten Subunternehmen ganz anders aus. Diese sind auch nicht Mitglied im Arbeitgeberverband, weswegen für sie die Flächentarifverträge nicht gelten.

Veränderungen fordert auch der mittelständische Bundesverband der Kurier-Expreß-Post-Dienste (BdKEP). Damit ein Subunternehmen, das sich verkalkuliert hat und Insolvenz anmelden muß, nicht einfach durch ein anderes ersetzt werden kann, das dann den gleichen Auftrag zu den gleichen schlechten Bedingungen annimmt, müßte die fachliche und finanzielle Eignung nachgewiesen werden, schlägt BdKEP-Chef Andreas Schumann im RBB vor. Eine Lösung könnte aus seiner Sicht auch sein, daß ein Subunternehmer für mehrere Paketdienste arbeitet.

Die Bundesregierung glaubt dennoch, daß mit dem geplanten Gesetz „Beitragsehrlichkeit, soziale Absicherung aller Paketzusteller und zugleich ein fairer Wettbewerb“ gesichert würde. Die Paketdienste nutzen derweil die Gunst der Stunde, ihre Kunden auf höhere Kosten und weniger Service vorzubereiten – gerade weil das Geschäft boomt.

Bundesverband Paket und Expreßlogistik:  www.biek.de

Verband der Kurier-Expreß-Post-Dienste:  bdkep.de





Paketdienste: Es geht noch billiger

In Deutschland werden nach Angaben des Branchenverbandes BIEK jährlich mehr als 3,3 Milliarden Pakete verschickt. Das sind fast doppelt so viele wie vor 20 Jahren. Auf dem boomenden Markt liefern sich die Paketdienste DHL, DPD, GLS, UPS und Hermes einen harten Wettbewerb – Leidtragende sind die Zusteller. Die Branche beschäftigt etwa 490.000 oft ungelernte Hilfskräfte. Nach Tarif werden Zusteller bezahlt, die bis 2001 bei der Post angestellt wurden. Sie erhalten zwischen 12,21 und 15,74 Euro Stundenlohn sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Später angestellte werden nach Haus- oder DHL-Tarif bezahlt. Während bei der Post, die 19.000 Paketzusteller beschäftigt, die Auftragsvergabe an Subunternehmer die Ausnahme ist, ist sie bei der Konkurrenz die Regel: Beim DPD sind offiziell 10.000 Zusteller in sozialversicherungspflichtigen Vollzeitjobs für knapp tausend Subunternehmen unterwegs. Eigene Paketboten gibt es weder bei DPD noch bei GLS oder Hermes. Letzterer Anbieter setzt über „Servicepartner“ rund 11.000 Paketzusteller ein. Die interne Untergrenze für den Stundenlohn soll bei zehn Euro liegen. Verhältnismäßig gute Löhne zahlt auch das US-Unternehmen UPS mit 19.000 Vollzeitmitarbeitern in Deutschland.