© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/19 / 24. Mai 2019

Graue statt rote Aussichten
Not führt erst am Schluß zur Rettung: Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek legt eine pessimistisch gefärbte Analyse der Weltlage vor
Felix Dirsch

Slavoj Žižek gilt nicht nur als einer der weltweit bekanntesten Philosophen und Psychoanalytiker, sondern auch als einer der produktivsten. Man kennt ihn als Meister der Performance, der wild gestikulierend seinen Argumenten Nachdruck verschaffen will, ein Denker auf dem Sofa, für das mediale Zeitalter wie geschaffen. Unlängst debattierte er mit dem prominenten kanadischen Senkrechtstarter am Psychologenhimmel, Jordan Peterson. Die Resonanz war gewaltig. Moral trifft Marx – so titelten einige über das Duell, in dem der wortgewaltige Slowene nach Meinung vieler Beobachter sogar den Sieg davongetragen hatte.

Neben seinen vielen Steckenpferden, von denen der französische Psychoanalytiker Lacan und der Philosoph Hegel hervorzuheben sind, widmet er sich in letzter Zeit vermehrt der Gegenwartsanalyse. Gleich anderen weltweit beachteten Intellektuellen wie Martha Nussbaum und Francis Fukuyama erörtert er den „Mut der Hoffnungslosigkeit“.

Wie läßt sich die schwer überschaubare Weltlage auf einen griffigen Nenner bringen? Der erste Teil der Schrift beschäftigt sich mit den Phänomenen des globalen Kapitalismus. Dazu gehört auch das Kapitel über die griechische Syriza-Partei und die Redeweise von der „Rückkehr der Religion“. Im zweiten Teil diskutiert der Autor die „terroristische Bedrohung“, die politische Seite des Sexuellen und – wohl kaum zu vermeiden – die „populistische Versuchung“. 

US-Linker Bernie Sanders als letzte politische Option 

Letztere fungiert auch für Žižek als maßgeblicher Indikator für die Brüche, die offenkundig sind. Wenngleich er die Falle der längst langweilig gewordenen Trump-Dämonisierung umgeht und einige sachlich-kritische Analysen zur Regierungsweise des US-Präsidenten vorlegt: Was soll man von einem Interpreten der globalen Situation halten, wenn er am Ende des betreffenden Kapitels zur Bildung einer neuen radikal linken Gruppierung in den USA auffordert? Einen stärkeren Ausweis von Parteilichkeit kann man sich kaum vorstellen.

Das Aufkommen relevanter populistischer Strömungen läßt Žižek zufolge Anfragen an die politische Linke zu, die natürlich ebenfalls politische Varianten des Populismus vorzuweisen hat, siehe Podemos in Spanien. Nachhaltig ist die Zersplitterung der progressiven Kräfte: In Venezuela sind sie beispiellos heruntergewirtschaftet, in Griechenland (Syriza) haben sie ihr Programm verraten, in anderen Ländern (China) wirken sie als Katalysator des modernisierenden, aber auch die Gesellschaft spaltenden Kapitalismus. In Polen sind sie von der PiS, die Sozialpolitik in besonderer Weise auf ihre Fahnen geschrieben hat, fast völlig an die Wand gedrückt. 

In den USA gibt es wenigstens einen Silberstreifen: Er heißt Bernie Sanders und hat mehr zu bieten als nur eifrige Plädoyers für immer neue LGBT-Rechte, die freilich für die erdrückende Mehrheit der Bevölkerung keinerlei Verbesserung der Lebensverhältnisse zur Folge haben. Der grenzenlose Siegeszug des Kapitalismus, der irreversibel zu sein scheint, verweist eine einheitliche Positionierung gegen die Macht des großen Geldes ins Reich der Illusionen.

Auch die zunehmende Relevanz von Religion, vornehmlich den islamischen Fundamentalismus, arbeitet Žižek, selbst überzeugter Atheist, als rein politische Erscheinung heraus. Wie in allen seinen Publikationen besticht die stupende Gelehrsamkeit insbesondere auf den Gebieten von Kultur und Philosophie. Wer sich mit dem Werk des Kulturkritikers hinreichend auseinandergesetzt hat, weiß, daß er ständig zwischen Presse, Fachliteratur und Popkultur hin- und herspringt. Dieses Vorgehen macht es für den Rezipienten möglich, einen geschärften Blick auf heutige Ereignisse zu werfen. Gewohnt sind seine Leser auch merkwürdige Deutungsmuster, die mitunter ins Vulgäre abgleiten: „Hunde, die sich an den Eiern lecken“, verkörpern für ihn die Korruptheit des deregulierten Kapitalismus.

Der slowenische Meisterdenker, nach wie vor unorthodoxer Linker, hat seinen Gesinnungsgenossen und anderen Beobachtern des Zeitgeschehens nicht viel Gutes mitzuteilen: Erhoffe nicht viel, so hast du wenig Negatives zu erwarten! Für Hegelianer nichts Neues: Erst wenn die Hoffnungslosigkeit am größten ist, wird neuer Mut entstehen. Wie dieser sich konkret artikuliert, darüber kann auch Žižek keine Auskünfte erteilen.

Slavoj Žižek: Der Mut der Hoffnungslosigkeit. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018, gebunden, 448 Seiten, 20 Euro