© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/19 / 31. Mai 2019

Kurzes Intermezzo
Österreich: Nur wenige Tage nach Rausschmiß von FPÖ-Minister Kickl ereilt Kanzler Kurz das gleiche Schicksal
Curd-Torsten Weick

Voller Euphorie twitterte Kanzler Sebastian Kurz am Sonntag abend: „Ein Erdrutschsieg – das beste Ergebnis für die Volkspartei bei einer EU-Wahl aller Zeiten. Vielen, vielen Dank an die Wählerinnen und Wähler für das Vertrauen und die Unterstützung für unsere Arbeit“. 19 Stunden später, um 16.16 Uhr war es dann soweit: „Erstmals in der Zweiten Republik ist ein Kanzler per Mißtrauensvotum abgewählt worden“, läuft es über den ORF-Ticker. Etwas betreten, aber trotzig winkend verließ Kurz das Parlament.

Vorher hatten Kurz und die Opposition mit harten Bandagen gekämpft. Die große Frage: Kommt der ÖVP-Chef  der SPÖ entgegen? Noch kurz nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos lehnte er strikt einen fliegenden Wechsel zur Sozialdemokratie ab. Er wolle nicht in Kauf nehmen, daß Österreich wieder genau unter demselben Stillstand leide, den er „zu Recht jahrelang kritisiert“ habe. 

Gespräche gab es danach genug. „Unsere Hand ist ausgestreckt“, betonte Kurz immer wieder. Gehe es doch um die Stabilität des Landes. Vergangenen Donnerstag lud er nach Angaben des ORF den designierten FPÖ-Chef Norbert Hofer, die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner, Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger und Jetzt-Chefin Maria Stern ein. Doch nur Meinl-Reisinger folgte. Als „kleine Protestnote für die mutmaßlich bisher zurückhaltende Kommunikation“ (Wiener Zeitung) des Kanzlers schickten die Sozialdemokraten ihren stellvertretenden Fraktionschef Jörg Leichtfried, die FPÖ wartete mit Fraktionschef Walter Rosenkranz und Jetzt mit dem Abgeordneten Peter Pilz auf. 

Lediglich die Neos-Chefin zeigte sich anschließend zufrieden. Kurz habe  „Selbstverständlichkeiten als Zugeständnisse“ verkauft, erklärte dagegen Rosenkranz gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Leichtfried und Pilz sahen dies genauso. Rosenkranz sprach im Anschluß von einem „höflichen, kultivierten“ Gespräch. Heftige Kritik übte der FPÖ-Politiker daran, daß entgegen der Zusage Kurz’, bis zur Nationalratswahl im September keine politischen Eingriffe zu unternehmen, der neue Innenminister Eckart Ratz die von seinem Vorgänger Herbert Kickl (FPÖ) kurz vor dessen Absetzung erlassene Verordnung zur Senkung des Stundenlohns für Asylwerber für gemeinnützige Tätigkeiten auf 1,50 Euro zurückgenommen hatte. Die von Kurz vorgeschlagene Wiedereinsetzung der U-Ausschüsse zur Verfassungsschutzaffäre und zum Eurofighter-Ankaufs wischte Pilz von Tisch: „Das sind parlamentarische Beschlüsse, das geht den Bundeskanzler gar nichts an.“ 

SPÖ sieht sich hinters Licht geführt

Vor allem die SPÖ baute enormen Druck gegen Kurz auf. Die von Kurz angelobten Übergangsminister seien ein „weiteres Täuschungsmanöver“,  mit dem der ÖVP-Kanzler Kurz versuche, die Bevölkerung „hinters Licht zu führen“, betonte Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda. Dies sei alles andere als Vertrauen aufzubauen. Als Vizekanzler habe Kurz mit Finanzminister Hartwig Löger gar seinen engen Vertrauten aus der ÖVP-Ministerriege installiert. Gleichzeitig, so Drozda weiter, versuche Kurz der Öffentlichkeit allen Ernstes eine tieftürkise ÖVP-Alleinregierung als Expertenregierung zu verkaufen. „Beschämend“ sei vor allem, daß Kurz die Ersatzminister offensichtlich zu Marionetten degradiere. Vor allem wenn man bedenke, daß jedem einzelnen der Ersatzminister „türkise Aufpasser und Sachwalter aus den türkisen Kabinetten vor die Nase gesetzt“ würden. Der SPÖ-Bundesgeschäftsführer erinnerte auch daran, daß Kurz weder mit den Oppositionsparteien noch mit dem Parlament das Gespräch über die neuen Minister gesucht, sondern die gesamte Ministerliste vorab den Medien zugespielt habe.

Den Fehdehandschuh aufnehmend, legte die Partei Jetzt–Liste Pilz am vergangenen Freitag ihren Mißtrauensantrag allein gegen den ÖVP-Kanzler vor. Parteichefin Maria Stern warf Kurz darin vor, daß er „niemals mit der FPÖ eine Regierung“ hätte bilden dürfen. „Die politische Verfaßtheit von Herbert Kickl und anderen FPÖ-Proponentinnen war und ist hinlänglich bekannt gewesen. Es ist viel Schaden angerichtet worden – an Steuergeldern, an menschenverachtender Politik, an den Ärmsten der Armen der Gesellschaft. Gut integrierte Menschen wurden abgeschoben, ausländische MitbürgerInnen kriminalisiert.“ Dies sei nur ein kurzer Auszug dessen, was Bundeskanzler Kurz zugelassen habe, kritisierte die in Ost-Berlin geborene Politikerin.  

Nach heftigen innerparteilichen Debatten – gerade angesichts des schlechten Wahlergebnisses bei der EU-Wahl (23,4 Prozent) – entschied sich das SPÖ-Präsidium in der Sonntagnacht dazu, einen eigenen Mißtrauensantrag gegen die gesamte Bundesregierung einzubringen.

Tags darauf zog die SPÖ eine vernichtende Bilanz der Koalition von Kurz mit der FPÖ. Selbst nach dem Scheitern seiner türkis-blauen Regierung habe Kurz weiter eiskalte Machtpolitik betrieben. Bereits in seiner Amtszeit sei zudem die Sozialversicherung zerschlagen, die 60-Stunden-Woche eingeführt, der Verfassungsschutz international handlungsunfähig gemacht und die soziale Absicherung für kinderreiche Familien herabgesetzt worden. Für alle diese Dinge, so die SPÖ, trage Kurz als Bundeskanzler die Verantwortung.

Auch die Freiheitlichen hielten sich lange die Option offen. Dennoch ließ der von Kanzler Kurz und Präsident Alexander Van der Bellen geschaßte Innenminister Herbert Kickl es sich nicht nehmen, heftige Breitseiten gegen seinen ehemaligen Koalitionspartner abzufeuern.  

Kurz habe ein „schwarzes Machtkartell über alle Ministerien ausgebreitet“, so der 50jährige auf Facebook. Die sogenannten Experten seien Marionetten tiefschwarzer Kabinette und allesamt Personen aus dem Beraterumfeld von Sebastian Kurz.

Die FPÖ entschied sich erst in letzter Minute 

Die Verantwortung für das Aufgehen dieses Machtplans der ÖVP trage jedoch Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Er, so Kickl weiter, habe sich von Kurz und seinen Beratern „quasi übertölpeln“ lassen. „Hauptziel der Kurz-Clique, getrieben insbesondere von der ÖVP Niederösterreich“, sei dabei das Innenministerium gewesen. „Mir persönlich war der Kanzler wegen meiner konsequenten Haltung in der Asyl- und Fremdenpolitik schon länger nicht mehr allzu freundlich gesinnt“, betonte Kickl. Erst kurz vor der Debatte zu den Mißtrauensanträgen sprach sich die FPÖ-Fraktion einstimmig dafür aus, beide Anträge zu unterstützen. Dann ging alles schnell. Sowohl FPÖ als auch Jetzt–Liste Pilz stimmten für den SPÖ-Antrag

 Kurz nahm die Abwahl eher gelassen hin. Er werde die nächste Regierung, egal wie sie aussehe, unterstützen und ihr auch keine Steine in den Weg legen. Denn es sei wichtig, daß im Land „Stabilität, Aufklärung und parteiübergreifende Zusammenarbeit“ herrschten. Im September sei dann die Bevölkerung dran, eine Antwort auf die Ereignisse zu geben.