© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/19 / 31. Mai 2019

An die Wand gefahren
Großbritannien: Theresa Mays Brexit-Irrfahrt ist zu Ende / Nigel Farage will britische Politik fundamental ändern
Josef Hämmerling

Theresa May hat es geschafft: Sie wird als die Premierministerin in die Geschichte Großbritanniens eingehen, die den Untergang der Konservativen Partei zu verantworten hat. Mit diesen harten Worten kritisierte der Chefredakteur des britischen Sunday Telegraph in einem Leitartikel die britische Premierministerin. Ihre „unfähige Politik“ habe Britannien an die Wand gefahren, den Aufstieg Nigel Farages mit seiner Brexit-Partei erst möglich gemacht. 

Torys fahren schlechtestes Ergebnis seit 1832 ein

Nur einen Tag nach den EU-Wahlen, die in Großbritannien traditionsgemäß am Donnerstag stattfinden, hatte May erklärt, ihr Amt als Parteivorsitzende am 7. Juni niederzulegen. Als Premierministerin werde sie zurücktreten, sobald ein Nachfolger gefunden sei. Grund für diese nach Ansicht vieler Briten längst überfällige Entscheidung der 62jährigen: Die Parlamentarier der Torys verweigerten May die Zustimmung, ihren mit der EU-Kommission ausgehandelten Deal ein viertes Mal zur Abstimmung vorzulegen. 

Mit dieser kurz vor der Europawahl getroffenen Entscheidung sollte ein Wahldebakel verhindert werden, nachdem die vom ehemaligen Ukip-Vorsitzenden Nigel Farage gegründete Brexit-Partei in Umfragen bei 24 Prozent lag und die Konservativen deutlich überholte. 

Doch diese Taktik ging nicht auf, denn bei der Europawahl wurde die Brexit-Partei auf Anhieb durch einen Erdrutschsieg mit großem Abstand mit 31,7 Prozent stärkste Partei. Doch nicht nur das: Mit 29 Sitzen ist die Brexit-Partei zusammen mit der CDU/CSU stärkste Einzelpartei im EU-Partlament. Die Torys erreichten mit nur 8,7 Prozent (2014: 23,3 Prozent) das schlechteste Wahlergebnis seit 1832, während die Labour-Partei von 24,7 auf 14,1 Prozent fiel. Die Liberalen waren der große Gewinner der Wahl und kamen auf 18,6 Prozent (14,1 Prozent) und die Grünen auf 11,1 Prozent (7,7 Prozent). 

 Farage feierte seinen Triumph dann auch mit den Worten: „Niemals zuvor in der britischen Geschichte hat eine erst sechs Wochen alte Partei die Wahlen gewonnen. Wenn Großbritannien die EU nicht am 31. Oktober verläßt, werden wir dieses Ergebnis bei den Neuwahlen wiederholen. Geschichte wurde geschrieben, doch das ist erst der Beginn“, schrieb der 55jährige auf seiner Facebook-Seite und machte damit klar, daß seine Partei im Fall eines Nicht-Brexits bei der nächsten Wahl in Großbritannien antreten werde. Schon zuvor hatte er der Nachrichtenagentur PA gesagt: „Wir sind nicht nur hier, um die Europäische Union zu verlassen.“ Seine Partei wolle auch die britische Politik fundamental ändern und in London ein Parlament gestalten, das das Land besser widerspiegele. Nach Ansicht Farages seien Neuwahlen unumgänglich, wenn die britische Regierung den Brexit nunmehr nicht unverzüglich durchziehe.

Farage forderte zudem, an den künftigen Brexit-Verhandlungen teilnehmen zu können. „Wir sollten nun Teil des Verhandlungsteams sein, das ist klar“, sagte Farage der Nachrichtenagentur Reuters.

Bei den Torys ist der Nachfolgekampf um den Parteivorsitz voll entbrannt. Große Chancen werden dem ehemaligen Londoner Bürgermeister und Außenminister Boris Johnson eingeräumt, der May schon lange vorwarf, mit ihrer Weigerung, den Willen des Volkes umzusetzen und in immer neuen Verhandlungen mit der EU zu treten, dem Land und auch der Konservativen Partei großen Schaden zuzufügen. 

Als möglicher Nachfolger wird auch Umweltminister Michael Cove gehandelt, der in seinem Ressort große Erfolge zu verzeichnen hat. So punktete er bei Umweltverbänden erst in der vergangenen Woche mit der Ankündigung, in England seien ab April 2020 Plastik-Strohhalme, Kaffee-Umrührsticks und Wattestäbchen mit Kunststoffstiel verboten. Chancen werden auch dem früheren Brexitminister Dominic Raab eingeräumt.

Auch Labour-Chef Jeremy Corbyn am Ende? 

Nach Ansicht vieler europäischer Regierungen und Politiker droht nun der sogenannte harte Brexit, also ein Ausstieg Großbritanniens aus der EU ohne eine Einigung mit den anderen EU-Staaten. „Unter diesen Umständen ist ein harter Brexit nahezu unmöglich zu stoppen“, hatte die Sprecherin der spanischen Regierung, Isabel Celaa, nach dem Rücktritt Mays gegenüber der Presse erklärt. 

Johnson und Raab haben nun auch schon angekündigt, im Falle ihrer Wahl zum Parteivorsitzenden und damit dann wahrscheinlich auch zum neuen Premierminister den Austritt Großbritanniens aus der EU „so oder so“ zu vollziehen, also mit einer Einigung mit der EU oder auch ohne. Er sei dazu auf jeden Fall bereit und werde es auch durchziehen, so Raab in der „Andrew Marr Show“.

Dagegen warnte Philipp Hammond, der einer sehr einflußreichen Gruppierung in der Konservativen Partei vorsteht: „Jeder Premierminister würde es sehr schwer haben, zu regieren, wenn er oder sie einen harten Brexit ohne parlamentarische Zustimmung durchzieht.“

So fordern dann auch zahlreiche Politiker der Labour-Partei und der Liberaldemokraten ein zweites Brexit-Votum. Sie begründen dies damit, daß die Brexit-Partei zwar der große Sieger der Wahl sei, zähle man aber alle Stimmen zusammen, die Parteien, die für einen Verbleib in der EU oder zumindest gegen einen harten Brexit seien, die Mehrheit hätten. Nun müsse nochmals das Volk befragt werden, ehe eine nicht mehr rückgängig zu machende Etnscheidung getroffen würde, so John McDonnell von der Labour-Partei. Er gilt als möglicher Nachfolger des unter Druck stehenden Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn.