© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/19 / 31. Mai 2019

Mit geliehenem Geld spekulieren
Staatliche Zusatzrente: Ein schuldenfinanzierter „Deutscher Bürgerfonds“ klingt gut, birgt aber hohe Risiken
Dirk Meyer

Die Alterssicherung steht vor einem Dreifach-Problem: Durch Arbeitslosigkeit unterbrochene Erwerbsbiographien, Teilzeitarbeit und Niedriglöhne machen eine Grundsicherung im Alter notwendig. Im Umlageverfahren der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) werden die jeweiligen Beiträge zur Auszahlung an die ältere Generation verwandt. Der demographische Wandel führt zu höheren GRV-Beiträgen der jungen Generation, sollen die Ansprüche der Ruheständler nicht gekürzt werden. Die kapitalgedeckte betriebliche und private Zusatzrente, die auf Kapitalbildung und Rendite beruht, gerät in der Niedrigzinsphase in Schwierigkeiten, da der eingeplante Zins­anteil entfällt. Wie ist ein Entkommen aus diesem Trilemma möglich?

Das Ifo-Institut hat unter finanzieller Unterstützung durch Lutz Helmig, einem Mäzen und Vermögensverwalter, in einer Studie einen möglichen Lösungsweg aufgezeigt: Das Konzept eines „Deutschen Bürgerfonds“ nutzt den „sicheren Hafen“ der Bundesanleihen, die weltweit als sichere Anlage gelten und deshalb von Banken, Versicherern und Privatanlegern selbst bei Renditen im negativen Bereich nachgefragt werden. Der deutsche Steuerzahler profitiert durch die geringe Zinslast der Staatsverschuldung, was bereits zum Vorschlag eines kreditfinanzierten Investitionsfonds für die marode Infrastruktur geführt hat (JF 15/19). Dieser Zinsvorteil könnte weiter ausgebaut werden.

Der Bürgerfonds beruht auf einem Tausch von Vermögenstiteln. Die Einnahmen aus zusätzlichen, zu geringen Zinskosten ausgegebenen Bundesanleihen sollen in Aktien, Anleihen und Immobilien angelegt werden, die derzeit eine wesentlich höhere Rendite bringen und zudem im Preis steigen. In Anlehnung an den Hebeleffekt des Fremdkapitals werden mit diesem billigen Fremdkapital höher rentierende Vermögensanlagen erworben. Die Erträge aus dem Renditeunterschied – die Studie geht von 2,1 Prozentpunkten aus – werden angesammelt und dienen bei späteren Ausschüttungen als Zusatzrente. Einbezogen werden alle Personen ab 15 Jahre bis zur Regelaltersgrenze. Wenn jährlich 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP; 2020: 18 Milliarden Euro) aufgenommen und angelegt werden, entspricht dies für jeden der 54 Millionen GRV-Berechtigten einem Anlagebetrag von 340 Euro für das Jahr. Die jährlichen Anlagebeträge inklusive der Kapitalerträge werden allen Mitgliedern zu gleichen Teilen in individuellen Konten gutgeschrieben. Bei Renteneintritt werden die Anlagen aufgelöst, die Kredite getilgt und der Überschuß als monatliche Zusatzrente ausgezahlt. Diese steigt mit der Dauer der Zuführungen. Bei Renteneintritt 2030 sind es monatlich nur zwei Euro, 2040 steigt der Betrag auf zehn Euro, 2050 sind es 25 Euro und bei erstmalig maximaler Anlagefrist sind es 2072 preisbereinigt 105 Euro. Das entspricht einer heute üblichen Zusatzrente.

Unterschiede zu den Staatsfonds der Erdölländer

Dies verdeutlicht das „Anlaufproblem“, denn der Aufbau des Bürgerfonds braucht Zeit. Zudem verbieten die EU-Schuldenbremse (maximal 0,5 Prozent/BIP) und die Schuldenbremse nach dem Grundgesetz (0,35 Prozent/BIP) derzeit eine zusätzliche Staatsverschuldung. Da den Rentenschulden jederzeit auflösbare Vermögenswerte entgegenstehen, ließe sich hier eventuell eine Ausnahme rechtfertigen. Die Staatsschuldenquote würde von heute 59 Prozent um maximal acht Prozentpunkte zum Ende der Aufbauphase ab 2080 ansteigen – eine eher unproblematische Größenordnung. Da die Zusatzrente vom Erwerbsleben losgelöst ist, profitieren Personen mit niedrigem Alterseinkommen besonders. Dies entlastet den Staat auf lange Sicht in gewissem Umfang von Unterstützungsleistungen.

Volkswirtschaftlich spiegeln die niedrigen Renditen auch das geringe Produktivitätswachstum wider. Die Kredite würden deshalb weniger für zusätzliches Produktivkapital verwendet, sondern nur die Vermögenspreisinflation auf den Aktien- und Immobilienmärkten weiter beflügeln. Dies führt zur Kernkritik, die sich gegen den Staat als Bank bzw. Kapitalanlagegesellschaft richtet. Den negativen Fall einer Finanzmarktkrise spricht die Studie kaum an. So erzielte etwa der Norwegische Staatsfonds im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre eine Rendite von 6,2 Prozent pro Jahr. Auch dank der weltweiten Anlagestreuung in über 8.000 verschiedene Aktien, Staats- und Unternehmensanleihen konnte eine hohe Rendite bei relativ geringem Risiko erwirtschaftet werden.

Im Jahr der Finanzmarktkrise 2008 führten die weltweiten Kurseinbrüche jedoch zu einem Verlust von 23 Prozent des Fondsvermögens. In Australien und den USA ging mehr als ein Viertel der Altersvorsorge verloren, am stärksten traf es Irland mit 37,5 Prozent. In dem darauffolgenden zehnjährigen Börsenboom konnten die Verluste zwar mehr als wettgemacht werden – doch gibt es hierfür keine Garantie. Die Erholung des amerikanischen Aktienmarktes nach dem Börsencrash 1929 dauerte 30 Jahre.

Der große Unterschied zu den Staatsfonds der Ölländer besteht darin, daß die Verluste dort vom Eigenkapital getragen werden. Fremdkapital ist hingegen kein Haftungskapital. Übersteigen die Verluste die Zinserträge auf den individuellen Konten, dürfte kaum der dahinterstehende Bürger haften, sondern alle Steuerzahler. Gewinne würden privatisiert, Verluste vergemeinschaftet. Doch nicht nur die Zusatzrente wäre dahin. Neben den Kreditlasten einer staatlichen Fehlspekulation würde eine einhergehende konjunkturelle Krise mit hoher Arbeitslosigkeit einen Anstieg der Sozialbeiträge notwendig machen und die Arbeitnehmer zusätzlich belasten. Fazit: Der Staat sollte mit geliehenem Geld nicht noch spekulieren.





Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

Das Konzept eines deutschen Bürgerfonds: www.cesifo-group.de