© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/19 / 31. Mai 2019

Kein Akt politischer Schönheit
Österreich: Auch knapp zwei Wochen nach Veröffentlichung hält das Ibiza-Video die Republik in Bann / Hintergründe verdichten sich
Hinrich Rohbohm

Es ist ein Video, das die österreichische Republik veränderte. „Wir waren enttäuscht, schockiert, fassungslos“, faßt die FPÖ-Nationalrätin und Wiener Europakandidatin Petra Steger gegenüber der JUNGEN FREIHEIT die Gemütslage ihrer Partei unmittelbar nach der Veröffentlichung jenes Videos zusammen, das die sogenannte Ibiza-Affäre auslösen sollte. 

Es ist Samstag. Der letzte Tag vor der Europawahl. Die 31jährige tritt als Rednerin in der Lugner-City auf, einem Wiener Einkaufszentrum in einem Bezirk mit hohem Migrantenanteil. Jede Partei kann sich hier eine Stunde lang mit ihrem Kandidaten präsentieren und muß sich den Fragen von Moderator Richard Lugner stellen. Die FPÖ hat Infostände aufgebaut, Sonnenschirme aufgespannt, Plakate aufgehängt. Einige Parteianhänger tragen blaue Herzchen. „Jetzt erst recht“ steht darauf. Andere tragen sogar Strache-Shirts. Trotz Skandal-Video. Eine von ihnen ist die Bezirksrätin Traute Lingenbacher. „Ich habe das Strache-Shirt ganz bewußt an. Ich stehe zu ihm, auch in schlechten Zeiten. Er hat keine Straftat begangen“, ist sie überzeugt. 

Die veröffentlichten Sequenzen des Filmmaterials zeigen den inzwischen zurückgetretenen Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zusammen mit seinem ebenfalls zurückgetretenen FPÖ-Generalsekretär Johann Gudenus in einer angemieteten Villa auf Ibiza. Mit von der Partie: die angebliche russische Oligarchen-Nichte Aljona Makarowa und ihr angeblicher Bekannter Julian Thaler. 

Die Oligarchen-Nichte entpuppt sich später als bosnische Studentin, bei Julian Thaler handelt es sich in Wirklichkeit um den im siebten Gemeindebezirk von Wien lebenden Detektiv Julian H., der bis Ende vorigen Jahres die auf Industriespionage spezialisierte Münchner Detektei Konsic betrieben hatte. 

Video: Stimmen aus ÖVP sehen SPÖ als Urheber

Eine Falle, die Strache zu spät als solche erkennt. Er wittert sie, doch Gudenus beruhigt ihn, alles sei in Ordnung, die Identität der Frau sauber. Was Strache damals noch nicht weiß: Die vermeintliche Oligarchen-Nichte köderte seinen Generalsekretär mit der Aussicht auf ein lukratives Grundstücksgeschäft. Das Video zeigt: Strache wäre bereit gewesen, einer russischen Oligarchen-Nichte Staatsaufträge zuzuschanzen, falls sie im Gegenzug Anteile an der Kronen-Zeitung erworben und auf diese Weise die FPÖ unterstützt hätte. Die Krone gilt als das bedeutendste Printmedium in Österreich, ein Einfluß auf diese Zeitung hätte den Freiheitlichen im Wahlkampf erhebliche Vorteile verschafft. 

Zwei Jahre lang bleibt das kompromittierende Material unveröffentlicht. Dann, eine Woche vor der Europawahl, sind es nicht etwa österreichische, sondern zwei deutsche Printmedien, die es publizieren. „Da könnte man sich auch mal fragen, warum das ausgerechnet aus Deutschland kommt“, meinen mehrere ÖVP-Funktionäre am Rande der Wahlparty vor ihrer Parteizentrale im Gespräch mit dieser Zeitung. Ihre Vermutung: Der deutschen Bundesregierung sei die schwarz-blaue Regierungskoalition und ihr Reformkurs gerade in der Migrationspolitik von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen. 

Unterdessen brandet frenetischer Jubel unter den ÖVP-Anhängern auf. Sebastian Kurz ist auf der Rednerbühne erschienen, wird gefeiert wie ein Popstar, schüttelt unzählige Hände. Er spricht von einem historischen Wahlsieg, vom „Rekordergebnis“. 34,5 Prozent, ein Plus von 7,5 Prozent. Das beste Resultat, das seine Partei je bei einer Europawahl erzielt habe. Dunkle Wolken sind inzwischen über der ÖVP-Zentrale aufgezogen. Wie auf Kommando setzt ein kräftiger Regenschauer ein. Es wirkt wie der düstere Vorbote seiner einen Tag später erfolgten Abwahl im Parlament. Auf das Skandal-Video und das daraus folgende politische Beben geht Kurz nicht ein. 

Ein enger Vertrauter des Bundeskanzlers und führender Wirtschaftsvertreter wird dafür im Gespräch mit der JF um so deutlicher. „Mit der Bildung der schwarz-blauen Koalition war die SPÖ außen vor. Damit haben die sich nie abfinden können. Wer die handelnden Personen kennt, kann sich denken, was da abgelaufen ist.“ 

Der Mann, der einer vertrauten Messenger-Gruppe von Sebastian Kurz angehört, hatte auch lange Zeit mit dem früheren Bundeskanzler Christian Kern zusammengearbeitet. „Ein glänzender PR-Mann, aber als Politiker kommt er bei der Bevölkerung nicht an. Und das wurmt den Christian, er ist von Ehrgeiz zerfressen und scheut nicht vor Intrigen zurück. Die SPÖ hat sich mit ihm vollkommen falsch aufgestellt.“ Daß die SPÖ kompromittierendes Material suchte, um eine schwarz-blaue Koalition zu verhindern, sei schon bei der Nationalratswahl 2017 deutlich geworden. 

Ein „zivilgesellschaftlich motiviertes Projekt“

Kern war es auch, der 2017 den israelischen Politikberater Tal Silberstein engagierte, der mit einem Team des sozialdemokratischen Wahlkampfbüros versuchte, ein sogenanntes „Dirty Campaigning“ gegen Sebastian Kurz zu betreiben, daß man der FPÖ als Urheber unterzuschieben versuchte. Eine Aktion, die Koalitionsgespräche erheblich erschwert hätten. 

Doch die Sache scheiterte. Österreichische Medien deckten zwei Wochen vor der Wahl das Vorhaben auf. Wenige Monate später wurde Silberstein in Israel wegen Bestechung, Urkundenfälschung und Geldwäsche festgenommen, die SPÖ löste ihren Vertrag mit dem PR-Strategen auf. 

Aus dieser Zeit stammt nun auch das Strache-Video. Und erneut deutet einiges darauf hin, daß die Spur der Drahtzieher ins Umfeld der österreichischen Sozialdemokraten führt. Denn eingefädelt hatte Julian H. die Falle gemeinsam mit dem iranischen Anwalt Ramin M., der eine Kanzlei in der Wiener Innenstadt betreibt. Eingebettet zwischen noblen, historischen Gebäuden aus der Zeit der k.u.k. Monarchie logiert M. im dritten Stock der Singerstraße, unweit von Wiens Stephansdom entfernt. 

M. und Detektiv Julian H. (beide Namen sind der JF bekannt) sind miteinander befreundet, kennen sich bereits seit langem. Vieles spricht dafür, daß beide die Video-Aktion geplant hatten, wenngleich die Unschuldsvermutung gilt. „Es war ein zivilgesellschaftlich motiviertes Projekt, bei dem investigativ-journalistische Wege beschritten wurden“, gibt Ramin M. jedoch mittlerweile über seinen Anwalt Richard Soyer unumwunden zu. 

Ein ehemaliger Detektei-Kollege von Julian H. behauptet zudem, man habe früher schon öfter verdeckte Operationen durchgeführt, auch mit Prostituierten. Und M. soll angeblich schon früher versucht haben, einem SPÖ-Mitarbeiter Videos anzubieten, auf denen Strache mit Drogen zu sehen sei. Offenbar ohne Erfolg. Auch zum Pressesprecher des ehemaligen Vizekanzlers Josef Pröll (ÖVP) unterhielt M. Kontakte. Der hatte am vergangenen Freitag plötzlich sämtliche seiner Twitter-Botschaften gelöscht, ist für die Medien nicht zu sprechen. Hatte M. auch innerparteilichen Konkurrenten von Kurz das Ibiza-Video angeboten? Der Jurist hatte auch Kontakt zu einem ehemaligen Bodyguard Straches, erhielt von ihm wichtige Details über dessen Privatleben. 

Angeblich soll das Video schließlich an einen deutschen Verein verkauft worden sein. Handelt es sich dabei um das von Künstlern ins Leben gerufene  „Zentrum für politische Schönheit“? Einem Bericht des ZDF-Magazins Frontal21 zufolge soll der Verein das Video gekauft und später dem Spiegel und der Süddeutschen Zeitung übermittelt haben. Einer der Unterstützer jenes Vereins ist der Satiriker Jan Böhmermann, der mit Andeutungen zum Video bereits wenige Tage zuvor Aufmerksamkeit erregte. Das „Zentrum für politische Schönheit“ dementiert, bezeichnet die Behauptung als „totalen Blödsinn“. 

„Man soll nicht vorschnell urteilen“ 

Von 2002 bis 2004 arbeitete M. als Anwaltsanwärter für die Kanzlei Lansky, Ganzger und Partner. Eine Kanzlei, für die auch Julian H. tätig war. Gabriel Lansky gilt in Wien als Haus- und Hofanwalt der SPÖ, kandidierte für die Partei zudem mehrfach zur Nationalratswahl. 

Auch als Justizminister für die Sozialdemokraten war Lansky bereits im Gespräch. Als Anwalt verteidigte er unter anderem den Unternehmer und sechsfachen Mörder Udo Proksch, Gründer des Clubs 45, einer politischen Seilschaft, die hauptsächlich aus SPÖ-Politikern besteht. Auch mit den Medien ist Lansky überaus gut vernetzt. Er ist Vorstandsmitglied von Reporter ohne Grenzen. 

„Man sollte nicht vorschnell urteilen. Aber sollte da tatsächlich die SPÖ mit drinstecken, dann hat es ihnen nicht genutzt“, meint ein Vertreter der Jungen ÖVP auf der Wahlfeier. Im Gegenteil: „Das könnte dann zum Bumerang werden.“ Auch bei der FPÖ hat man sich schnell von dem Schock erholt. „Die beiden haben Konsequenzen gezogen und sind zurückgetreten. Wir haben uns als FPÖ sehr schnell mit Norbert Hofer als neuem Vorsitzenden neu aufgestellt, mehr können wir nicht tun“, meint Petra Steger, die von „Wahlmanipulation“ spricht. 

„Man mußte Strache offenbar erst eine Falle stellen, weil man sonst nichts bei ihm findet“, glaubt die FPÖ-Bezirksrätin Sophia Kern. Eine Falle, über die sich Strache selbst am allermeisten ärgern dürfte. „Ich war in einer privaten Urlaubssituation unachtsam und naiv“, gibt er nun in einem Interview mit der Schweizer Weltwoche zu. Auf Zweifel, die ihm „während des Gespräches wiederholt gekommen seien, habe er nicht reagiert. Das sei „ein Fehler“ gewesen.