© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/19 / 31. Mai 2019

Die Maßstäbe werden verdorben
Nachbetrachtung zur „Ibiza-Affäre“: Warum der Skandal um das Strache-Video so beängstigend ist
Thorsten Hinz

Die aktuellen Vorgänge in Österreich sind auch für Deutschland von Bedeutung und geben Anlaß für ein paar grundsätzliche Überlegungen. Winston Churchills These, daß die Demokratie eine schlechte Regierungsform sei, aber die beste von denen, die man bisher ausprobiert habe, kann bis zum Beweis des Gegenteils als richtig gelten. Ergänzungsbedürftig ist sie dennoch. Auch in Staaten, die sich ausdrücklich als demokratisch definieren, decken demokratische Institutionen, Regularien und Verfahren nur einen Bruchteil des politischen Geschehens ab. Jenseits davon ist die Demokratie eine Kulisse, bestehend aus Simulationen, Fiktionen und Selbsttäuschungen, hinter der Entscheidungen fallen, die der Demos weder will noch legitimiert hat.

Denn was hat in Österreich stattgefunden? Eine mit sicherer parlamentarischer Mehrheit ausgestattete, erfolgreiche Regierung wurde von außen gesprengt. Zu diesem Zweck kamen geheimdienstliche Mittel zum Einsatz, wobei die Hintergründe zur Stunde nicht klar sind. Die Botschaft aber ist eindeutig: Ihr könnt wählen, was ihr wollt. Was der Wählerwille bedeutet, liegt nicht in eurer Kompetenz!

Das „Komplott“ (Dieter Stein) läßt sich nicht mehr unter dem Begriff „Postdemokratie“ subsumieren. Der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch verstand darunter die Aushöhlung der parlamentarischen Regierungsform als Folge zunehmender Komplexität moderner Gesellschaften, durch die Lobbygruppen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), multinationale Konzerne an Einfuß gewinnen. Die Politiker reagieren auf die Abnahme von Einfluß, Ansehen und Lösungskompetenz, indem sie auf Mittel der Demoskopie, des Showbusiness und Marketings zurückgreifen. Das sei, so Crouch, zwar nicht demokratisch, weil der Bürger zum passiven und manipulierten Teilnehmer herabsinke und nur gelegentlich an Entscheidungen beteiligt werde. Es sei aber auch nicht undemokratisch, „da die Sorge der Politiker um ihr Verhältnis zu den Bürgern darin eine so große Rolle spielt“. Das beschreibt eine verhältnismäßig weiche Praxis, in der der verpflichtende Bezug auf den Demos neu interpretiert, aber nicht aufgehoben ist.

Über diese Beschreibung ist die Wirklichkeit längst hinweggegangen. Seit Jahren monieren Kritiker unterschiedlicher Richtung, daß die Vertreter der liberalen Demokratie dazu tendieren, ihren Standpunkt absolut zu setzen und totalitär zu agieren. In der Tat läuft ihre Praxis darauf hinaus, die Eine-Welt-Ideologie mit Macht in die Realität zu übertragen und Europa in eine Provinz des angestrebten Global-Regimes („Global Governance“) zu verwandeln. Die europäischen Lebenswelten werden durch Migration, Konzessionen an den Islam, durch Gender- und Klima-Kampagnen umgemodelt und standardisiert. Diese Politik wird als die einzig legitime Konkretisierung von Demokratie propagiert. Die Gegner werden als (Rechts-)Populisten, Demokratie- und Europafeinde dämonisiert

Populismus heißt aber nichts anderes als zu fragen: Was folgt aus den Entscheidungen für uns, für das Volk, für den Demos? Er bedeutet, sich die Freiheit zu nehmen und zu versuchen, absehbaren Schaden von sich abzuwenden, sich zu wehren, also Demokratie zu üben. Hier stoßen also nicht bloß unterschiedliche Standpunkte, sondern zwei Demokratie-Modelle aufeinander, die konträr zueinander liegen. Daraus erklärt sich die totale Feinderklärung der machthabenden Protagonisten an ihre Gegner. Hierzulande bilden sie – in der Formulierung Joachim Gaucks – das „Dunkeldeutschland“, das braunen Urgründen entstamme und keine Existenzberechtigung besitze.

Das ist auch der Kontext des Skandals um Heinz-Christian Strache, des Ex-Vizekanzlers und Ex-Vorsitzenden der „rechtspopulistischen“ FPÖ, der nun durch die Vermittlung bundesdeutscher Medien in Gang gesetzt wurde und aus naheliegenden Gründen in Deutschland breit rezipiert wird. 

Das Video ist peinlich, es zeigt einen fehlbaren Menschen, der unschöne Gedankenspiele ventiliert, aus denen aber offenbar keine Handlungen hervorgegangen sind. Glaubt irgend jemand, daß es in den Kungelrunden zwischen sogenannten demokratischen Politikern, Wirtschafts- und Medienbossen in der Sache anders zugeht? Hatte nicht Kanzlerin Angela Merkel 2015 in einem abgelauschten Gespräch mit Facebook-Chef Mark Zuckerberg erreicht, daß politisch unliebsame Posts gelöscht werden?

Der Vorwurf, Strache habe die kritischen und pluralistischen Medien abschaffen wollen, ist schon deswegen absurd, weil diese hartnäckig den Nachweis ihrer Existenz verweigern. Die meisten politischen Journalisten arbeiten wie Bots, wie automatisierte Programme, die in festgelegten Abständen die immer gleichen Formeln generieren (Nazi – Ausländerfeind – Rechtsextremist – Islamhasser – Rassist), ohne sich auf Interaktionen mit der Realität einzulassen. Auch in der „Ibiza-Affäre“ haben sie unisono die erwartbare Haltung eingenommen, anstatt die Perfidie der Inszenierung und den Einbruch in die Persönlichkeitsrechte und den Intimbereich eines Menschen zu kritisieren.

Der fast einstimmige Medienchor bildete schließlich auch den Hintergrund, vor dem Strache auf seine publik gewordenen dummen Gedanken kam: Die FPÖ-freundliche Neuausrichtung der Boulevardzeitung Krone sollte die Presselandschaft ein bißchen weniger einseitig und dafür kritischer und pluralistischer machen. Es ging um die annähernde mediale Waffengleichheit.

Denn auch das zeigt der Fall: Parlamentarische Mehrheiten und sogar Ministerämter nutzen auf Dauer wenig, wenn alternative Parteien nicht auch über ein vor- oder metapolitisches, insbesondere mediales Umfeld verfügen. Regierung und Parlament sind nur zwei Machtzentren unter vielen. Die informelle Macht von Medienkonzernen, Lobbyisten, NGOs, globalistischen Netzwerken, Stiftungen, Denkfabriken ist kaum geringer. Erst wenn auch in diesen Bereichen Gegengewichte entstanden sind, kann man ernsthaft konkurrieren.

Ein offenbar in das Strache-Video involvierter Wiener Anwalt rechtfertigte die Intrige als ein „zivilgesellschaftlich motiviertes Projekt“. Damit liegt er im politisch-medialen Trend. Der „Kampf gegen Rechts“ erlaubt Gemeinheiten, Vertrauens- und Rechtsbrüche, körperliche Attacken und am Ende auch Mord und Totschlag. Es wird nicht argumentiert, sondern der Gegner wird – wie es im Stasi-Deutsch hieß – als „feindlich-negative Kraft“ behandelt und in einem komplexen „Operativen Vorgang“ (OV) bearbeitet. Er wird observiert, diffamiert, seine Aktivitäten sabotiert. Ziel sind seine soziale Isolierung, Demoralisierung, die psychische und physische Zermürbung und am Ende der resignierte Rückzug aus politischen Aktivitäten. Beschädigt wird nicht nur das Opfer, verdorben werden auch die menschliche Substanz der Büttel und die moralischen Maßstäbe der Gesellschaft. 

Derartige Parallelen zwischen der Bundesrepublik und der DDR herzustellen, wird von Tag zu Tag plausibler. Der 1998 erschienene Roman „Magdalena“ des Bürgerrechtlers Jürgen Fuchs ist kein literarisches Meisterwerk, doch sein dokumentarischer Wert ist beträchtlich. Fuchs, der 1976/77 im Berliner Stasi-Gefängnis Magdalenenstraße inhaftiert war und danach in den Westen abgeschoben wurde, schildert seine Stasi-Akten-Recherchen in der damaligen Gauck-Behörde. Die Verwaltung lag in den Händen westdeutscher Beamter; ehemalige Stasi-Angestellte gingen ihnen mit ihrem Expertenwissen zur Hand. Fuchs sah sich in seinen Nachforschungen behindert. Jede einzelne Fotokopie mußte beantragt, Klinken mußten geputzt, Gänge durchwandert werden. Fuchs nannte das die „verwaltungstechnische, behördliche Zähmung einer Revolution“ und fragte: „Geht es um die Erziehung der Ostpopulation? Das umfassende Vergeben von Registriernummern?“

Eine Antwort gibt die staatliche Alimentierung der Amadeu-Antonio-Stiftung, die von einer ehemaligen Stasi-Informantin geleitet wird und vom Justizministerium mit der Überwachung der Internetkommunikation betraut wurde. Im Stiftungsrat sitzt auch der minderqualifizierte, dafür geltungssüchtige Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, der von Politikern der SED-Nachfolgepartei ins Amt gehoben wurde.

Deshalb wirkt der inszenierte Skandal um Heinz-Christian Strache auch hierzulande beängstigend. Nicht nur „populistische“ Politiker müssen damit rechnen, daß Orwells „Großer Bruder“ stets neben ihnen steht und ihre Gedanken belauscht. Schon heute sind 71 Prozent der Befragten in Deutschland der Meinung, daß Äußerungen über Einwanderung, über Muslime oder den Islam gefährlich sind. Mehr als die Hälfte der Befragten spricht zudem nicht gerne öffentlich über Themen wie die NS-Zeit und Juden. Auch Rechtsextremismus und die AfD werden ungern in der Öffentlichkeit thematisiert. 

Die bis zur Zersetzungsbereitschaft reichende Aggressivität der Etablierten zeigt, daß sie über keine politischen Argumente verfügen. Ihr Europawahlkampf war völlig inhaltsleer. Notdürftig mobilisieren können sie nur durch die Pflege des dämonisierten „Populisten“-Feindbildes. Das birgt viel Potential für weitere Eskalationen.