© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/19 / 31. Mai 2019

Schattenseiten der Digitalisierung
Ob E-Sport oder soziale Netzwerke: Online-Sucht und Cybermobbing nehmen zu
Christian Schreiber

Sucht oder normales Verhalten? Darüber streiten sich die Experten. Die Diagnose Online-Sucht trifft derzeit auf etwa drei Prozent der Jugendlichen ab 14 Jahren zu. Eine problematische Nutzung weisen nach Schätzungen mehr als zehn Prozent von ihnen auf; sie könnten in eine Sucht abrutschen. Diese Zahlen sind alarmierend – für eine psychische Störung sind sie nämlich hoch. 

Eine Studie der Krankenkasse DAK liefert abermals alarmierende Zahlen. Mädchen und Jungen in Deutschland verbringen demnach im Schnitt täglich zweieinhalb Stunden in den sozialen Medien. Einhunderttausend der Zwölf- bis 17jährigen gelten mit ihrer Nutzung von Diensten wie WhatsApp, Instagram oder Snapchat als mindestens suchtgefährdet. Hinzu komme eine hohe Zahl von Kindern und Jugendlichen, die als „Risiko-Gamer“ von Spielen wie „Fortnite“, „Fifa“ oder „Minecraft“ angezogen würden. „Jeder vierte Risiko-Gamer spielt am Wochenende fünf Stunden und mehr am Tag“, heißt es in der Studie. 

„Liken darf nicht zum Leiden werden“

„Soziale Medien gehören zu unserer Welt. Ein Zuviel an Smartphone und Co. schadet aber der Gesundheit und dem Familienleben“, sagt Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundesregierung. „Damit es uns aber gut geht, brauchen wir eine vernünftige Online-offline-Balance.“ Die Gefahren für die seelische Gesundheit seien hoch. Wer von sozialen Medien abhängig ist, habe ein um 4,6fach höheres Risiko, an Depressionen zu erkranken, als Nichtsüchtige.

Laut DAK gibt es einige Merkmale und Symptome, die auf einen übermäßigen und auch auf einen krankhaften (pathologischen) Internetgebrauch hinweisen. „Von einer Internetsucht spricht man aber erst dann, wenn der Betroffene seine Internetaktivitäten nicht mehr beeinflussen kann und der Umgang mit dem Internet so großen Einfluß auf sein Leben hat, daß es andere Bereiche beeinträchtigt.“ Bei männlichen Jugendlichen ist die E-Spielsucht das führende Symptom. Die Mädchen sind dagegen häufiger in den sozialen Medien unterwegs. „Follower“ und „Likes“ sind dort Formen der Selbstbestätigung. 

Die DAK appelliert an die Eltern, das Verhalten ihrer Kinder zu untersuchen. Je länger und häufiger Kinder und Jugendliche online sind, desto höher ist das Suchtrisiko. „Viele Kinder und Jugendliche chatten, posten und liken von früh bis in die Nacht“, sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. „Einige rutschen in die Abhängigkeit. Darauf müssen wir reagieren, damit Betroffene und ihre Familien Hilfe bekommen. Das Liken darf nicht zum Leiden werden.“ 

Bei den befragten Kindern und Jugendlichen führt die häufige Beschäftigung mit Social Media auch zu negativen sozialen Auswirkungen. Jeder dritte Befragte nutzt soziale Medien, um nicht an unangenehme Dinge denken zu müssen. Bei den Mädchen sind es sogar 40 Prozent. Knapp ein Viertel der Befragten bekommt wegen der Nutzung sozialer Medien zuwenig Schlaf. Und: Jeder fünfte streitet mit den Eltern über das Thema Social Media, bei den zwölf- bis 13jährigen sogar jeder dritte. 13 Prozent sind unglücklich, wenn sie keine sozialen Medien nutzen können. Acht Prozent der Befragten sind mit allen Freunden ausschließlich über soziale Medien in Kontakt. 

Neben der bloßen Abhängigkeit führen die Aktivitäten im Netz teilweise auch zu weiteren, höchst unerfreulichen „Nebenwirkungen“. Cybermobbing wird dabei mehr und mehr zum Thema. Darunter versteht man das absichtliche Beleidigen, Bedrohen, Bloßstellen oder Belästigen anderer mit Hilfe von Internet- und Mobiltelefondiensten über einen längeren Zeitraum hinweg. Der Täter sucht sich dabei ein Opfer, das sich nicht oder nur schwer gegen die Übergriffe zur Wehr setzen kann. 

Acht Prozent der jugendlichen Internetnutzer zwischen zwölf und 19 Jahren sind selbst bereits Opfer von Cyber-

mobbing gewesen, teilt das Familienministerium mit. Über jeden fünften der Jugendlichen wurden schon einmal falsche oder beleidigende Sachen per Handy oder im Internet verbreitet. Und 34 Prozent der Befragten haben demnach jemanden im Bekanntenkreis, „der durch Cybermobbing fertiggemacht wurde.“ Die Motive der Täter seien meistens Neid, Entlastung, Wut, Langeweile, Rache oder Versagensängste. 

Oft seien sie sich der Folgen ihrer Taten nicht bewußt. Das Internet scheint die Hemmschwelle für Mobbingaktivitäten zu senken. „Das war doch nicht ernst gemeint, das war nur Spaß“, ist demnach ein weitverbreitetes Erklärungsmuster. Viele Kinder und Jugendliche trauen sich laut DAK-Studie in der scheinbar anonymen virtuellen Welt eher, eigene Angriffe gegen andere, Beleidigungen oder Bloßstellungen von Menschen zu vollziehen. Dabei gebe es einen fließenden Übergang von Spaß oder Neckereien zur Gewaltausübung im Sinne von Mobbing.