© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/19 / 31. Mai 2019

Warum ein Islamverbot falsch wäre
Besser das Eigene stärken
Jan-Phillip Tadsen

Der kritische Blick auf den Islam ist in der Mitte der Gesellschaft verankert. Laut einer im März 2018 veröffentlichten Insa-Umfrage im Auftrag des Magazins Cicero stimmen beinahe zwei Drittel der Befragten dem Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ nicht zu. Jene Skepsis gegenüber einer vielerorts in Deutschland fremd wirkenden Religion ist somit weit verbreitet.

In der Debatte zu diesem Thema gibt es Vertreter, die eine schnelle Antwort darin sehen, dem Islam seine Religions­eigenschaft abzusprechen und ihn als verfassungsfeindlich hinzustellen. Diese Lesart mündet in der Forderung, den Islam zu verbieten. Ein solch politisches Agieren verkennt die eigentliche gesellschaftliche Problematik und trägt zu keiner Lösung der wachsenden Entfremdung in Deutschland bei.

Die in Deutschland lebenden Menschen muslimischen Glaubens sind zur großen Mehrheit durch wegfallende Grenzregime ins Land gekommen. Sie realisieren hier ihre Wertvorstellungen und gestalten ihre Zukunft. Sie sind ein fester und größer werdender Teil der gesellschaftlichen Realität in diesem Land. Das religiöse Handeln dieser Menschen ist legitim; es ist Teil ihrer Kultur.

Die im Vergleich zu breiten Teilen der Bevölkerung meist intensiv gelebte religiöse Grundhaltung bei Muslimen versetzt Deutschland in eine kulturelle Verunsicherung. Die damit einhergehende Konfrontation der Lebensentwürfe fordert das Bewußtsein unserer Bürger heraus. Das Ergebnis sind wahrnehmbare Debatten zur terroristischen Gefahr durch Islamisten, zur Burka im öffentlichen Raum, Diskussionen über die Unterdrückung der Frau oder die Schaffung von muslimischen Gebetsräumen in unseren Schulen.

Unser Land führt diese Debatte viel zu selten kontrovers. Thilo Sarrazins erneuter Bucherfolg mit „Feindliche Übernahme“ (2018) hat kaum dazu geführt, daß der Autor mit Kontrahenten öffentlich diskutiert. Dabei ist der aus der oben genannten Umfrage belegte Entfremdungsmoment real; er muß rechtsstaatlich und im demokratischen Sinne gelöst werden. Die Akteure der politischen Arena sind aufgerufen, überlegte Antworten zu gegeben. Antworten, die mehrheitlich errungen sein wollen.

Karl Albrecht Schachtschneider hat sich bereits 2010 grundlegend mit der Problematik Islam und säkularer Staat beschäftigt. Er setzt die gesellschaftspolitische Realität mit der konträr verlaufenden religionskritischen Frage in Beziehung: „Die Religionsverhältnisse sind wieder einmal im Wandel. Die Migration von Muslimen in die Staaten Europas hat den Islam zur Lebenswirklichkeit in Europa und auch in Deutschland werden lassen. Freilich kann der Islam weder in Deutschland noch sonst in einem europäischen Staat so gelebt werden wie in einem islamischen Land“ („Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Islam“).

Befürworter einer Verbotsforderung erkennen dem Islam die Eigenschaft einer Religion ab. Dem muß aus einem einfachen Grund eindeutig widersprochen werden. Auch der Islam enthält als zentrales religiöses Kriterium die

Transzendenz.

Dieser Aussage liegen zwei Prämissen zugrunde:

1. Der Islam stellt eine vom Grundgesetz zu schützende Religion dar.

2. Der Islam kann in seiner gegenwärtigen theologischen Verfaßtheit nicht dieselben Freiheiten haben, wie es das säkulare Christentum aufgrund seiner Reformationen in der Bundesrepublik genießt.

Bereits diese Differenzierung betont die kaum realisierbare Möglichkeit eines Islamverbots bei gleichzeitiger Anerkennung der Grenzen jeder Religionsfreiheit. Wer bei Fragen der Migration nach dem Rechtsstaat verlangt, muß auch in der Debatte um die Religionsfreiheit mit gleichen rechtsstaatlichen Mitteln argumentieren.

Befürworter einer Verbotsforderung erkennen dem Islam die Eigenschaft einer Religion ab. Dem muß aus einem einfachen Grund eindeutig widersprochen werden. Religionen unterscheiden sich nach Lesart des Bundesverwaltungsgerichts deutlich von einer Weltanschauung durch eine transzendente Wirklichkeit (zitiert nach Schachtschneider, „Die Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Islam“). Dem Islam die Transzendenz als zentrales religiöses Kriterium abzusprechen, ist aufgrund der Glaubenspraxis ein völlig entrücktes Unterfangen. Wenn der Islam aber transzendent auftritt, dann ist die Forderung nach einem Gesamtverbot mit Artikel 4 des Grundgesetzes unvereinbar. Selbst der von liberalen Islamkritikern gern benutzte Vorwurf, daß der Islam „faschistisch“ (Michael Stürzenberger) sei, ändert daran nichts. Diese hilflose Bezeichnung zeugt nur von historischer Blindheit und Begriffsschwäche.

Muslimen den Glauben in der Öffentlichkeit zu verbieten, löst kein Problem in diesem Land. Vielmehr ist zu erwarten, daß eine solch konfrontative Haltung – würde sie kurz- oder mittel-fristig umgesetzt – eskalative Wirkung im Zusammenleben auslöst. Real ist die Annahme, daß fundamentalistisch eingestellte Islamlisten darüber eine erweiterte Rekrutierungsbasis gewinnen. Diese Form der Entfremdung darf nicht vorangetrieben werden. Bedenklich ist der Umstand, daß die Regierung durch offene Grenzen und die nach Olivier Roy damit entstehende „Dekulturation“ bereits selbst auf dem Holzweg ist (Olivier Roy, „Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod. Der Dschihad und die Wurzeln des Terrors“).

Wir sollten verstehen, daß der Islam nicht die Ursache der gesellschaftlichen Entfremdung ist, sondern ein überdeutliches Symptom fehlgeleiteter Politik darstellt. Die wachsende Zahl der Muslime in unserem Land zeigt, daß vor allem etablierte Eliten immer weniger imstande sind, sich auf ein abgrenzbares Wir zu einigen. Statt dessen ist politisch an einen Souverän zu denken, der durch den demokratischen Grundkonsens, durch mühelose Sozialisation im kulturell Eigenen sowie ein damit tradiertes Werteverständnis loyal zur staatlichen Ordnung steht.

Ansätze für in diesem Sinne anknüpfungsfähige Positionierungen, die dezidiert islamkritisch sind, finden sich bei den Publizisten Thilo Sarrazin und Egon Flaig. Sarrazin verweist in seiner aktuellen Publikation „Feindliche Übernahme“ auf drei Themenschwerpunkte: eine dem Kontrollverlust entgegenwirkende Einwanderungspolitik, eine neu gedachte Außen- und Entwicklungspolitik sowie eine robuste und realistische Islampolitik innerhalb Deutschlands. Dabei läßt Sarrazin sich nicht von der Versuchung leiten, dem Islam seine religiösen Eigenschaften abzusprechen. Statt dessen wird explizit auf die „Selbstvergewisserung“ der eigenen ethnischen und kulturellen Identität gesetzt.

Sind die Muslime das zentrale Problem? Wir sollten die Religionsfreiheit hochhalten und eine Glaubenspraxis anmahnen, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, unseren Gesetzen sowie der deutschen Kultur identifizierbar ist.

Auch die Haltung des Historikers Egon Flaig zum Islam ist eindeutig: „Hierbei ist das Problem nicht die Glaubenswelt des Islam, sondern die Scharia. Sie verpflichtet die Gläubigen mindestens auf drei politische Ziele: Erstens zur Zerschlagung aller nichtmuslimischen politischen Ordnungen, wenn nötig mittels des Dschihad, zweitens zur Unterwerfung aller Andersgläubigen in einer religiösen Apartheid, drittens zur Errichtung einer nichtsäkularen, theokratischen Ordnung“ (Flaig, „Wie entscheidungsfähig sind Demokratien? Historische Rückbesinnung auf Gemeinwohl und politische Kohäsion, in: „Die Zukunft der Demokratie“).

Was können wir als freiheitliche Bürger aber gegen diese Entwicklung tun? Für Flaig ist entscheidend, daß wir uns von einem neutralen Staatsverständnis verabschieden müssen, um unsere säkulare Ordnung zu verteidigen. Zentrale Aufgabe muß sein, „einen integrationsunwilligen Islam in der Minderheitenposition zu halten, mittels politischer Maßnahmen bei der Einwanderung, Freizügigkeit und Einbürgerung“.

Auch Flaig spricht dem Islam seine Religionseigenschafft nicht ab, sondern stellt folgerichtig Forderungen, die die kulturelle Homogenität stärken sollen. Beide Autoren fordern eine neue Identitätspolitik für Deutschland, die eine repressive Eskalation verweigert. Sie wollen mehr bevölkerungspolitische Souveränität gegenüber dem entstandenen Riß wagen.

Wer nur in Verboten Antworten sucht, ist gemeinhin nicht viel besser als Innenpolitiker etablierter Parteien, die in denkverwandter Art und Weise die patriotische Jugendbewegung der „Identitären“ verbieten wollen, wie jüngst die CDU-Fraktion im Brandenburger Landtag. Die als Migrationskrise erscheinende tektonische Verschiebung im Gefüge Europas hat der Debatte um die kulturelle Zukunft dieses Kontinents eine neue Dimension gegeben. Wer unsere Demokratie beleben will, muß die Stärkung des Eigenen durch einen freiheitlichen Patriotismus und den Willen zum Volksbewußtsein als Aufgabe suchen.

Sind die Muslime das zentrale Problem? Nach der Analyse, die sich an Karlheinz Weißmann orientiert, ist nicht der Islam als Religion dafür verantwortlich, daß die Gesellschaft sich entfremdet. Ursächlich ist ein aus linken und liberalen Vorstellungen gespeister Kosmopolitismus, der wirkmächtig zur Entwurzelung des Menschen als einem nur noch produzierenden und konsumierenden Wesen beiträgt („Rubikon. Deutschland vor der Entscheidung“). Es ist, konkreter gedacht, eine noch immer andauernde Politik der offenen Grenzen, die der kulturellen Segregation Tor und Tür geöffnet hat.

Wir sollten die Religionsfreiheit hochhalten und eine Glaubenspraxis anmahnen, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, unseren Gesetzen sowie der deutschen Kultur identifizierbar ist. Gut integrierte und staatstreue Muslime sind wertvolle Mitglieder unserer Gesellschaft. 






Jan-Phillip Tadsen, Jahrgang 1988, studierte Geschichts- und Politikwissenschaften in Kiel und Greifswald und schloß 2016 an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität mit dem Master ab. Derzeit arbeitet er als Fachreferent für Inneres und Europa der AfD-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern.

Foto: Scharia-Vollstrecker in Indonesien warten vor einer Moschee auf die Auszupeitschenden (oben); Jugendliche – darunter  Muslime – hören ein christliches Gebet bevor sie am Holocaust-Gedenktag „Stolpersteine“ putzen (unten): Der Islam ist, wie jede Religion in Deutschland, geschützt. Problematisch ist nach Karlheinz Weißmann vielmehr die übertriebene Weltbürgerlichkeit der Linken und Liberalen.