© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/19 / 31. Mai 2019

Klima- statt Klassenfrage
Zeithistoriker tagten wieder in Ingolstadt
Klaus Fritsch

Dem modischen Wehrmachts-Bashing setzte Oberst a. D. Manfred Backerra (Hamburg) auf der Frühjahrstagung der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt (ZFI) das Bild einer Armee entgegen, die sich auch durch viele Akte der Ritterlichkeit ausgezeichnet habe. Dieses Faktum werde heute „ausgeblendet“, bedauerte Backerra (ehemals Bundeswehr-Führungsakademie). Er erinnerte an „ritterlich-menschliche Handlungen“ in Heer, Luftwaffe und Marine, die zum Teil weit über die Forderungen der „10 Gebote für die Kriegsführung des deutschen Soldaten“ hinausgegangen seien. „Daß Bella Italia trotz der kulturbarbarischen angelsächsischen Kriegführung noch existiert, ist der die Kulturstädte und -stätten schonenden deutschen Operationsführung zu verdanken.“ Der Traditionserlaß der Bundeswehr hebe zwar den erfolglosen militärischen Widerstand als traditionswürdig hervor, „weiß aber nichts vom erfolgreichen Widerstand gegen rechtswidrige Befehle und von Gehorsamsverweigerungen gegen unsinnige Führungsbefehle, die sehr viele Leben gerettet haben“. 

Der Publizist Dirk Bavendamm beschrieb, wie mit Donald Trump, dem Aufstieg Chinas zur Weltmacht und der „Selbstbehauptung“ Rußlands unter Putin die bipolare Welt sich aufzulösen begann. Augenscheinlich habe Trump kein Interesse an den nordatlantischen Beziehungen. Davon sei vor allem Deutschland betroffen, dessen Führungsschicht es schwerfalle, vom Franklin D. Roosevelts Zeitalter Abschied zu nehmen. „Denn mit dem Aufstieg der AfD und der Grünen als Herausforderer der bisherigen Blockparteien begann sich das multipolare Denken auch hierzulande durchzusetzen“, resümierte Bavendamm. Dadurch habe der innenpolitische Diskurs einerseits an Farbe und Dramatik gewonnen. Andererseits seien aber „ökosozialistische“ Tendenzen zu erkennen, die unter dem Primat der Klimafrage wie einst unter dem der Rassen- und Klassenfrage zu totalitären Strukturen führen könnten.

Der Gießener Emeritus Wolf Oschlies lenkte in Ingolstadt den Blick auf anhaltende Irritationen im (sudeten-)deutsch-tschechischen Verhältnis. Sein Urteil: Präsident Benesch habe den Deutschen eine „Kollektivschuld“ auferlegt, die im Grunde weiter gelte. Vaclav Havel, nach der „Wende“ 1989 zum Staatsoberhaupt aufgestiegen, habe sich um die Verbesserung des Verhältnisses zu Deutschland bemüht – „erfolglos“. Oschlies’ Fazit: „Die Tschechen wollten nicht, die Deutschen verstanden ihn nicht, hatten auch kein Interesse an der Problematik.“