© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/19 / 07. Juni 2019

Ein Falke unter Tauben
Jens Weidmann: Warum der potentielle EZB-Präsident einen schweren Stand hat
Joachim Starbatty

Angela Merkels Abneigung gegen Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, hat eine Vorgeschichte. Im Frühsommer 2012 stand der Euro auf der Kippe. Die Zinsen für Anleihen überschuldeter Staaten in der Eurozone waren stark gestiegen. Es war absehbar, daß deren Regierungen so hohe Zinsen auf Dauer nicht würden zahlen können und aus der Eurozone ausscheiden müßten. Nach Absprachen zwischen den tonangebenden Mitgliedstaaten hat Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), mit einer umfassenden Bürgschaftszusage – „whatever it takes“ – die Eurozone zusammengehalten. Weidmann war allein mit seiner ablehnenden Haltung. Danach hat Draghi sein Ankaufprogramm von Staatsanleihen in Höhe von 2,6 Billionen Euro aufgelegt. Weidmann hat auch das nicht gern gesehen.

Die deutsche Bundesregierung hat sich dagegen bei den Verhandlungen um die Rechtmäßigkeit dieser Politik vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof immer auf die Seite der EZB geschlagen und damit gegen die Bundesbank positioniert. Sie räumte dem Zusammenhalt der Eurozone den Vorrang vor der Erhaltung der Verträge ein. Ihre Position hat sich nicht geändert.

Als Jens Weidmann Anfang dieses Jahres sein Interesse an einer Nachfolge Draghis zu erkennen gab – Weidmann attestierte jedem Mitglied des Zentralbankrates und des EZB-Direktoriums die Fähigkeit zur Übernahme des Präsidentenamtes – war zu erwarten, daß die Kanzlerin seine Kandidatur nicht unterstützen würde. Sie hat das wie folgt begründet: Für sie sei eine Kandidatur Manfred Webers für die Präsidentschaft der Kommission wichtiger. Zwei Deutsche auf Spitzenpositionen in der EU seien den Partnern nicht zu vermitteln. Franz-Christoph Zeitler, vormaliges Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank, hat dazu angemerkt, aus deutscher Sicht müsse die Besetzung des EZB-Präsidenten vorrangig sein, weil hier für Deutschland entscheidende Beschlüsse getroffen würden. Aber gerade deswegen verweigert Merkel ihre Unterstützung. Eine an den Verträgen ausgerichtete Geldpolitik und damit eine Abkehr von der Politik seines Vorgängers wäre ein Risiko für den Zusammenhalt der Eurozone. Das aber durfte nicht sein, da der Euro angeblich ja alternativlos ist.

Nun werden nach den Wahlen des EU-Parlaments die Karten neu gemischt. Daß Manfred Weber, Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), Jean-Claude Juncker als Präsident der EU-Kommission ablösen wird, ist inzwischen ziemlich unwahrscheinlich geworden. Weder steht die Mehrheit des Parlaments hinter ihm, noch haben Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán ihren Widerstand gegen ihn aufgegeben. Merkel ist sich dessen bewußt; sie räumte ein, es müsse bei der Besetzung der Spitzenpositionen der EU zu Kompromissen kommen. Wer die Gepflogenheiten der EU kennt, weiß, daß die relevanten Politiker an einem sorgfältig austarierten Personaltableau arbeiten. 

Und nun ist Weidmann wieder im Spiel. Wenn Weber nicht durchzusetzen ist, muß die Kanzlerin ihren Widerstand gegen Weidmann aufgeben. Eine weiterhin ablehnende Haltung würde in Deutschland niemand verstehen. Doch ist entscheidend, mit welchem Nachdruck sie sich für ihn einsetzt und ob er den Regierungen der überschuldeten Staaten in der südlichen Peripherie zu vermitteln ist. Diese befürchten, daß eine von Draghi abweichende Politik wieder die Frage aufkommen läßt, ob sich alle Staaten in der Eurozone halten könnten. Als Tauben wollen sie eine weiche Geldpolitik.

Jens Weidmann gilt als Falke, der an den Verträgen auch dann festhält, wenn das zum Ausscheiden einzelner Mitgliedstaaten aus der Eurozone führen könnte. „Ein Falke im Taubenstall“ – davon wären sie nicht begeistert. Daher muß ein Falke Kreide fressen, um akzeptiert zu werden. Und Weidmann übt sich schon darin. Nullzinsen lehnt er nicht ab: Sie könnten Investitionen erleichtern und die Konjunktur unterstützen. Das ist ziemlich genau O-Ton Mario Draghi. Dabei wird aber ausgeblendet, daß bei Nullzinsen verschuldete Staaten weniger genötigt sind, ihre Staatshaushalte zu sanieren, und Banken sich zu riskanten Kreditgeschäften verleiten lassen. Im traditionellen Anleihemarkt sind wegen der Ankaufspolitik der EZB die Verdienstspannen so geschrumpft, daß dort für sie nichts mehr zu holen ist.

Inzwischen stellt Draghi die geldpolitischen Weichen so, daß seinem Nachfolger die Hände gebunden sind. Jürgen Stark, früherer Chefvolkswirt der EZB, sagt, daß die Behörde personell auf Draghi eingestellt sei und ihre geldpolitischen Entscheidungen bis in das Jahr 2023 hineinreichten. Auf die Frage, wie reizvoll es für einen zukünftigen EZB-Präsidenten wäre, als Falke die Entscheidungen von Tauben verkünden zu müssen, sprach Weidmann zunächst von intensiven gemeinschaftlichen Diskussionen im Zentralbankrat, um dann nachzuschieben, er könne die hinter der Frage stehende Überlegung nachvollziehen.

Geldpolitik vollzieht sich nicht in einem politisch luftleeren Raum. Kein Geldpolitiker kann einen vertragstreuen Stabilitätskurs durchhalten, wenn die Regierungen der überschuldeten Mitgliedstaaten ihn anfeinden und die eigene Regierung ihn nur halbherzig unterstützt. Daher weiß man nicht, ob man Jens Weidmann bei der Wahl zum Präsidenten der EZB Glück wünschen sollte oder ob es nicht besser wäre, Tauben die Entscheidungen von Tauben verkünden zu lassen.






Prof. Dr. Joachim Starbatty ist Ökonom und war Abgeordneter des Europäischen Parlaments.