© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/19 / 07. Juni 2019

Mit Rückenwind in den Wahlkampf
AfD I: Der sächsische Landesverband stellt sein Wahlprogramm für die Landtagswahl vor / Soziale Frage als Konfliktpotential für Bundespartei?
Björn Harms

Für die sächsische AfD könnte es derzeit kaum besser laufen. Mit viel Rückenwind geht der Landesverband, angespornt durch die Ergebnisse der Europawahl, bei der er mit 25,3 Prozent zur stärksten politischen Kraft im Freistaat aufstieg, in den anstehenden Wahlkampf zur Landtagswahl im September. Entsprechend selbstbewußt gab man sich auch am Samstag auf dem Landesparteitag in Lommatzsch im Landkreis Meißen. Dort präsentierte die AfD unter dem Motto „Trau dich Sachsen“ ihr Programm für die Landtagswahl – und das hat es in sich.

Bereits in der Präambel kündigt die Partei grundlegende Richtungswechsel in allen Politikfeldern an. Das gesetzte Ziel: eine „stolze, familienfreundliche und sichere Heimat“, geprägt durch eine „deutsche und sächsische Identität“. Vollmundig kündigte Parteichef Jörg Urban an: „Wir wollen regieren und deshalb heißt unser Wahlprogramm auch Regierungsprogramm“. Urban wird die Partei als alleiniger Spitzenkandidat in den Wahlkampf führen. Zuvor war über eine gemeinsame Doppelspitze mit dem Bundestagsabgeordneten Tino Chrupalla spekuliert worden. Der Görlitzer soll jedoch im Herbst in den Bundesvorstand wechseln, heißt es aus Parteikreisen. Er werde in Berlin benötigt.

„Manches am Programm paßt gut zur CDU“

Was also fordert die sächsische AfD in ihrem Regierungsprogramm? Einiges ist altbekannt: Der Landesverband setzt sich für eine rigorose Asylpolitik mit konsquenten Abschiebungen und schnelleren Verfahren ein. Der kulturelle Einfluß des Islams soll eingedämmt werden. „Moscheebauten, besonders mit Minarett“, lehnt die AfD ab. An Schulen müsse ein Kopftuchverbot herrschen. Beachtlich sind jedoch die umfassenden Sozialreformen, die der Landesverband vorschlägt und für die er sich auch auf Bundesebene einsetzen will. „Hartz IV ist ungerecht und muß in dieser Form abgeschafft werden“, heißt es. In seiner jetzigen Gestaltung müsse zumindest das Arbeitslosengeld I länger ausgezahlt werden als bisher. Zudem will man eine unternehmerische Obergrenze für Leiharbeit einführen und den Mindestlohn beibehalten. Sachsens Schüler sollen bis „auf einen einheitlichen Eigenanteil“ den Nahverkehr kostenfrei nutzen können. Personen, die pflegebedürftige Angehörige haben, will die AfD mit einem Landespflegegeld in Höhe von mindestens 300 Euro pro Monat unterstützen.

Um den Geburtenrückgang zu bekämpfen soll ein „Baby-Begrüßungsgeld“ einführt werden – bis zu 5.000 Euro, ausgezahlt in drei Raten. Weiterhin ist geplant, das Landeserziehungsgeld deutlich auszubauen. Demnach soll es von derzeit 150 Euro pro Monat auf mindestens 750 Euro erhöht werden. Beantragen könnten es nur jene Eltern, „die seit mindestens zehn Jahren die alleinige deutsche Staatsbürgerschaft und in Sachsen ihren Hauptwohnsitz hatten“.

Die hysterischen Reaktionen von links ließen nicht lange auf sich warten. Das Programm sei „im Kern offen rassistisch“, wetterte ARD-Journalist Georg Restle. Der ehemalige Landessprecher der sächsischen Grünen, Jürgen Kasek, legte noch eine Schippe drauf: „Die Zeichen stehen auf Faschismus“, bedauerte er. Andere Kommentatoren außerhalb der AfD sehen das Papier pragmatischer. Die AfD habe ein „gutes Gespür für Themen“, konstatierte etwa die Sächsische Zeitung. Auch Politologe Werner J. Patzelt, mitverantwortlich für das Wahlprogramm der sächsischen CDU, äußerte sich anerkennend: „Manches am AfD-Programm paßt unübersehbar gut zu Positionen der CDU“, schrieb er auf seinem Blog. Die AfD weiterhin als eine „sachlich inkompetente und rein populistische Partei hinzustellen“ sei „unglaubwürdig und wenig sinnvoll“. Damit nährt er weitere Spekulationen um eine blau-schwarze Koalition nach der Wahl.

Doch die soziale Ausrichtung des Wahlprogramms der sächsischen AfD ist auch ein Fingerzeig für die Bundespartei. Denn aktuell schwelt unter der Oberfläche ein Konflikt, der sich womöglich zu einem neuen Machtkampf ausdehnen könnte. Dabei geht es im Kern um zwischenzeitlich an den Rand gedrängte wirtschafts- und sozialpolitische Fragen. Auf der einen Seite stehen die westdeutschen Landesverbände, mit einer dezidiert liberal-konservativen Ausrichtung, auf der anderen ihre ostdeutschen Pendants, die sich zu einem Wohlfahrtsstaat bekennen, der deutschen Staatsbürgern unter die Arme greifen soll. Der thüringische AfD-Landessprecher Björn Höcke erhob erst kürzlich die „soziale Gerechtigkeit“ zum Wahlkampfschwerpunkt für die anstehende Landtagswahl im Oktober. 

Die AfD jedenfalls wird an dieser Debatte nicht vorbeikommen, immerhin gaben 23 Prozent der Arbeiter und 21 Prozent der Arbeitslosen der Partei bei der Europawahl ihre Stimme. In der Wählerschaft nimmt die soziale Frage mittlerweile eine zentrale Rolle ein. 66 Prozent der AfD-Anhänger sehen sich im Alter schlecht oder gar nicht abgesichert, das ist stark überproportional im Vergleich zum Bundesdurchschnitt (40 Prozent).

Sonderparteitag zur Sozialpolitik im September

„Niemand mit ernsthaftem politischen Sachverstand braucht  ‘Republikaner 2.0’ oder eine ‘FDP 2.0’, erklärt der Brandenburger AfD-Landesvorsitzende Andreas Kalbitz im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Der sozial-, familien- und mittelstandspolitische Fokus der AfD im Osten könne „sicher der Erfolgsgarant für die ganze AfD sein“. Fundamentale inhaltliche Diskrepanzen zwischen einer „Ost- und West-AfD“ will er allerdings nicht erkennen. Das Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft im AfD-Grundsatzprogramm gelte schließlich für die Gesamtpartei.

Daß es „in einzelnen Sachfragen unterschiedliche Meinungen gibt, ist nicht ungewöhnlich und durchaus erwünscht“, betont auch der Landesvorsitzende der AfD Rheinland-Pfalz, Uwe Junge, gegenüber der JF. Doch „gerade im Bereich der Sozialpolitik wird die AfD auf ihrem Sonderparteitag im September eine mehrheitliche Zielvorstellung erarbeiten und vorlegen können“, ist er sich sicher.