© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/19 / 07. Juni 2019

„Menschlich tief enttäuscht“
Eklat: Weil er bei der Kommunalwahl für die AfD ein Mandat holt, muß der Vizepräsident des Deutschen Handballbundes zurücktreten
Moritz Schwarz

Die Vorwürfe wiegen schwer. Weil er sich offen „zu den nationalistischen, diskriminierenden und antidemokratischen Positionen und der Nutzung der populistischen Phrasen“ bekenne, schade er „der Reputation der sächsischen Handballer“. Ein offener Brief des Leipziger Spielbezirks beendet die langjährige Karriere des Sportfunktionärs Uwe Vetterlein. Sein „Vergehen“: Er hatte auf der Liste der AfD für den Dresdner Stadtrat kandidiert – erfolgreich. Ein Gespräch über Politik im Sport, Vielfalt und menschliche Enttäuschung.

Herr Vetterlein, war das ein Rauswurf?

Uwe Vetterlein: Im Grunde ja. 

Wie sehr hat Sie das getroffen? 

Vetterlein: Schlimmer noch als mein Rücktritt als Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB) ist für mich mein Rücktritt als Präsident des Handballverbands Sachsen (HVS). Das tut schon sehr weh. Handball ist quasi mein Leben, und der HVS war wie eine Familie für mich. All das, wofür ich mich über 26 Jahre mit so viel Engagement, Zeit und vor allem Herzblut eingesetzt habe, wurde mir nun genommen.

Warum? 

Vetterlein: Eigentlich weiß ich das nicht. Denn ich habe mir nicht das geringste zu schulden kommen lassen. 

Sie fühlen sich verraten?

Vetterlein: Ich fühle mich enttäuscht – menschlich tief enttäuscht. Vor allem weil ich am 18. Mai – nur zwei Tage bevor das alles gegen mich losbrach – auf dem offiziellen Verbandstag des HVS mit achtzig Prozent als Präsident wiedergewählt wurde. 

Sie ahnten also nichts von Ihrem Sturz? 

Vetterlein: Nicht das geringste – ich war zwölf Jahre HVS-Präsident, wurde bereits dreimal wiedergewählt! Man macht seine Arbeit gut, genießt Respekt und Vertrauen, baut zum Teil tiefe menschliche Bindungen zu anderen Präsidiumsmitgliedern auf. Und dann das ...  

Laut Ihren verbandsinternen Kritikern  passen Ihre Wertvorstellungen in Sachen Demokratie, Rechtsstaat und Menschlichkeit nicht zu denen des HVS. 

Vetterlein: Meine Kritiker konnten nicht einen Fall nennen, in dem ich mich auch nur angeblich in dieser Hinsicht je einer Verfehlung schuldig gemacht hätte. Ausgegangen sind die Vorwürfe vom Spielbezirk Leipzig, von dem sich das Präsidium hat instrumentalisieren lassen.

Wie kann der Protest nur eines von vier Spielbezirken des HVS dazu führen, daß das Präsidium von seinem Präsidenten abrückt, dem es über Jahre und zuletzt vor 48 Stunden mit absoluter Mehrheit das Vertrauen ausgesprochen hat?

Vetterlein: Das frage ich mich auch. Aber auf das Protestschreiben hin wurde eine Präsidiumssitzung anberaumt. 

Um dem frisch gewählten Präsidenten den Rücken zu stärken? 

Vetterlein: Sie wissen, daß es nicht so war. Aber ja, eigentlich hätte man genau das erwartet. Doch es ging um meinen Rücktritt – wegen meiner Kandidatur bei den sächsischen Kommunalwahlen am 26. Mai für die AfD in Dresden.

War die vor Ihrer Wahl auf dem Verbandstag des HVS etwa nicht bekannt?

Vetterlein: Auch wenn ich selbst meine AfD-Kandidatur vorher nicht propagiert habe – da der Sport politisch neutral sein soll und aus meiner Sicht bis dahin auch gewesen ist –, war sie bekannt. Vor meiner Wahl auf dem Verbandstag wurde sogar eine kritische Anfrage dazu gestellt. 

Gab es sonst neue Fakten, die 48 Stunden zuvor noch unbekannt waren?

Vetterlein: Nein, und deshalb erklärte ich auch, daß es nicht den geringsten Grund für einen Rücktritt gibt. Schließlich engagieren sich viele Sportfunktionäre – keineswegs nur im Handball – in Parteien oder gar als Mandatsträger. Das ist normal und gut, weil man so etwas für den Sport tun kann. 

Warum sind Sie dennoch zurückgetreten? 

Vetterlein: Ein Präsident muß das Vertrauen seines Präsidiums genießen, sonst hat das keinen Zweck. Deshalb habe ich meine Weigerung unter den Vorbehalt gestellt, daß dieses mir nicht das Vertrauen entzieht – was dann aber passiert ist.

Womit Sie nicht gerechnet haben? 

Vetterlein: Wie schon gesagt, das waren vor allem Leute, mit denen ich seit Jahren vertrauensvoll zusammengearbeitet und zu denen ich ein persönliches Verhältnis hatte und die mir noch zwei Tage zuvor ihre Stimme gegeben haben. 

Haben Sie die Betreffenden hinterher darauf angesprochen? 

Vetterlein: Nein, ich habe meine Konsequenzen gezogen: zunächst als HVS-Präsident zurückzutreten – und nach der gleichen Enttäuschung im DHB-Präsidium ebenso als dessen Vizepräsident. 

Auch dort hat keiner das Gespräch mit Ihnen gesucht, um zu erklären, warum er so plötzlich das Vertrauen in Sie verloren hat?  

Vetterlein: Nein, ich bin darüber nur informiert worden.

Sie wurden also klassisch „fallengelassen“.

Vetterlein: Tja, ich vermute, die Leute hatten einfach Angst. 

Wovor?

Vetterlein: Daß sie, stellen sie sich nicht öffentlich gegen mich, als nächste dran sind. 

Aber sowohl bei den Kommunalwahlen wie bei der zeitgleich am 26. Mai stattgefundenen EU-Wahl hat die AfD in Sachsen sehr gut abgeschnitten. Man hätte vermutet, dort wäre ein Engagement für die Partei am wenigsten ein Problem. 

Vetterlein: Der Zuspruch bei den Bürgern war auch gut. Ich habe ein Mandat für den Dresdner Stadtrat errungen und das mit zwölf Prozent in meinem Wahlkreis – bei immerhin 55 Kandidaten. Aber ich glaube, es ging darum, an mir ein Exempel zu statuieren.

Was meinen Sie?

Vetterlein: Letztlich ging es darum, klarzumachen: Das passiert dem, der sich für die AfD um ein Amt bewirbt! 

Die „taz“ meint, Leute wie Sie müßten weg, damit der Handball, der bisher unter einem „kartoffeldeutschen Image“ leide, künftig „Migranten und Flüchtlingen eine Heimat bieten“ könne – außerdem gerierten Sie sich nun als Opfer.

Vetterlein: Also bitte, wenn das keine Diskriminierung ist! Ich meine, mir wurde ausdrücklich gesagt, daß ich mich für jede andere Partei um ein Mandat hätte bewerben dürfen – nur nicht für die AfD. Was, wenn nicht das ist Diskriminierung? Das ist eindeutig ein Fall davon, anderen Toleranz zu predigen, sie selbst aber nicht zu üben. Und von allen Seiten wird doch ständig betont, der Sport sei „bunt“! Warum gehört dann die Farbe Blau nicht dazu?

Ist denn der Sport tatsächlich bunt? 

Vetterlein: Was Ausländer und Flüchtlinge angeht auf jeden Fall. Die sind bei uns selbstverständlich jederzeit willkommen, und das ist auch gut so. Aber ansonsten herrscht ziemliche Angst davor, etwas vermeintlich politisch Falsches zu sagen. Ja, man kann sagen, daß die politische Meinung regelrecht kanalisiert und an das angepaßt wird, was als offiziell erwünscht gilt. Es herrscht eigentlich das Gegenteil von Vielfalt, die man sonst bei jeder Gelegenheit preist. 

Trotz des Bekenntnisses, Sport dürfe sich mit Blick auf unsere Geschichte nie wieder instrumentalisieren lassen, geschieht also genau das? 

Vetterlein: Das ist zumindest das, was ich persönlich beobachtet habe. Jedoch denke ich, daß das im Handball bisher noch lange nicht so weit gediehen war, wie etwa schon im Fußball. Und daher muß mein Fall leider wohl auch als eine neue Qualität in der Politisierung im Handballsport betrachtet werden. 






Uwe Vetterlein, war seit 2017 Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB) sowie seit 2007 Präsident des Handballverbands Sachsen (HVS). Der Diplomingenieur und ehemalige Geschäftsführer, Jahrgang 1959, ist für die AfD Mitglied im Rat seiner Vaterstadt Dresden.

Foto: Handball:  „Es ging darum, an mir ein Exempel zu statuieren: Das passiert dem, der für die AfD kandidiert“