© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/19 / 07. Juni 2019

Angeboten wie Sauerbier
Ibiza-Affäre: In dem Politthriller, der die österreichische Koalitionsregierung platzen ließ, treten immer mehr Akteure auf
Hinrich Rohbohm

Die Ibiza-Affäre weitet sich aus. Wie berichtet, hatten der Detektiv Julian H. sowie der Wiener Rechtsanwalt Ramin M. im Sommer 2017 eine Video-Falle mit kompromittierendem Bild- und Tonmaterial für die inzwischen zurückgetretenen FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus eingefädelt (JF 23/19). Doch was einst als fragwürdiges Geschäftsmodell mit dem Ziel begann, brisantes Filmmaterial über FPÖ-Spitzenpolitiker zu einem möglichst hohen Preis an potentielle Interessenten zu verkaufen, entwickelt sich zusehends zu einem Polit-Thriller, in dessen Plot zusehends mehr Personen hineingeraten.

So wurden H. und M. von zwei bosnischen Sicherheitsbediensteten assistiert, von denen einer auch einen geheimdienstlichen Hintergrund aufweist. In Bosnien studierte auch der von dem Quartett engagierte weibliche Lockvogel, der sich gegenüber Strache und Gudenus als russische Oligarchennichte Aljona Makarowa ausgab. 7.000 Euro soll die Studentin der Agrarwissenschaften als Tagesgage für den Job erhalten haben. Sie spricht vier Sprachen, unter anderem fließend Russisch, verfügt zudem über Detailkenntnisse aus der Jagd- und Fortwirtschaft, mit denen sie Johann Gudenus beeindruckte.

Kickls Razzia im BVT        erscheint in neuem Licht

Selbst den Frauentyp Straches ermitteln die Video-Produzenten. Nichts überläßt das Quartett dem Zufall. Auch die bereits verwanzte Finca auf Ibiza ist möglicherweise nicht irgendeine Immobilie. So heißt es auf der Internetseite „EU-Infothek“ des österreichischen Geschäftsmannes Gert Schmidt, das Haus sei schon für andere verdeckte Operationen des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) genutzt worden.

Sollte dies zutreffen, ist nicht auszuschließen, daß auch das BVT von der Existenz des Videos wußte und sogar mitschneiden konnte. Dies würde nicht zuletzt eine angeordnete Razzia des damaligen österreichischen Innenministers Herbert Kickl (FPÖ) beim BVT in ein neues Licht rücken, bei der er hochsensible Daten beschlagnahmen ließ. Ein Vorgang, der nicht nur zu einer Vertrauenskrise zwischen ÖVP und FPÖ geführt hatte, sondern auch zu einem Zerwürfnis zwischen Kickl und den ausländischen Nachrichtendiensten der EU, dessen Verhältnis aufgrund dessen Nähe zu Rußland ohnehin als belastet galt. Kickl war bis Januar 2018 auch FPÖ-Generalsekretär. Sollte es bei der Razzia darum gegangen sein, das brisante Filmmaterial in die Hände zu bekommen? Immer wieder hatte es Gerüchte über ein belastendes Video gegeben. Schließlich hatten die Produzenten es 2017 erfolglos mehreren potentiellen Abnehmern angeboten. Von einem Verkaufspreis zwischen 1,5 und fünf Millionen Euro ist die Rede.

Doch wie glaubwürdig ist der Unternehmer Gert Schmidt und seine „EU-Infothek“-Plattform als Quelle? Sein Professorentitel entstammt nicht akademischen Meriten. Vielmehr hatte er ihn 2010 vom österreichischen Bundespräsidenten verliehen bekommen. An einer Universität lehrt Schmidt nicht. Ein Blick auf die Internetseite www.miracle-woman.com läßt zudem wenig Seriosität erahnen. Zwei vollbusige asiatische Frauen springen einem auf der Seite als erstes ins Auge. Ein Online-Versandhandel für Dessous und Bademoden. Erst Umwege führen zu Gert Schmidt. Die Seite wird von der Anexus GmbH betrieben, die wiederum der Profi Media GmbH gehört. Erst bei der Suche nach dem Eigentümer von Profi Media stößt man auf Gert Schmidt.

Das gleiche Versteckspiel erfolgt auch auf der Internetseite siamresidence.com, der Seite eines Hotelresorts auf der thailändischen Insel Koh Samui. Adresse für zentrale Reservierungen des Luxusresorts: Neubaugasse 68 in Wien. Dem Sitz der Anexus GmbH.

Andererseits: Schmidt betreibt neben der Seite „EU-Infothek“ auch die Detektei Omnia, hatte zudem schon früher eine gute Spürnase bewiesen, als er 1992 noch vor der Soko Österreich den Aufenthaltsort des Mörders und mutmaßlichen Serienmörders Jack Unterweger in Miami ausfindig machte. Unterweger war letztlich dem FBI in die Falle gegangen, als er versuchte, einen Vorschuß für ein Interview mit Schmidts Magazin zu erhalten.

27 Jahre später ist es erneut ein Interview mit Schmidt, das für Aufklärung sorgen könnte. Laut eigener Darstellung habe sich „eine der wichtigsten Personen der Ibiza-Affäre“ bei Infothek „telefonisch“ gemeldet. Und demnach bestätigt, sich in München mit einem „der größten Medienhäuser Deutschlands, welches auch ein Nachrichtenmagazin herausgibt, getroffen zu haben“. „Sie forderten 300.000 Euro für weitere Informationen“, konfrontiert „EU-Infothek“ den „Insider“ mit einer Information. Der bestätigt erneut.

Darauf sei ein „mehrstündiges, persönliches Gespräch in der Nähe der deutschen Grenze“ erfolgt, in dem der „Insider“ ausgepackt habe. Demnach entwickelten „erfahrene Sicherheits­söldner“ gemeinsam mit Ramin M. ein Geschäftsmodell, das so funktioniert habe: „Zuerst wird das Problem einer politischen Partei oder eines Konzerns angesprochen, dann wird auf Eigenregie die ‘Lösung’ produziert. Das fertige ‘Produkt’ wird dann der politischen Gruppierung oder Partei oder dem Konzern zum Kauf angeboten.“

Und zum Kauf angeboten hatte das Quartett das Video offenbar mehreren Akteuren aus Wirtschaft und Politik. So bestätigte einem Bericht der österreichischen Tageszeitung Die Presse zufolge Zoltán Aczél nicht nur, das Video angeboten bekommen, sondern es auch teilweise gesehen zu haben. Aczél ist als Lobbyist für den österreichischen Baukonzern Strabag tätig. Vorstandsvorsitzender des Konzerns war bis 2013 Hans Peter Haselsteiner, der ab diesem Jahr Ministerkandidat der liberalen Partei Neos wurde und sie maßgeblich unterstützt hatte. Nach dem Koalitionsbruch gilt Neos nun als potentieller neuer Regierungspartner der ÖVP. Strabag gehört zu 26,4 Prozent der Haselsteiner-Gruppe, 25,9 befinden sich im Besitz des russischen Oligarchen und mit US-Wirtschaftssanktionen belegten Oleg Deripaska.

Aufsichtsratsvorsitzender von Strabag ist pikanterweise Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) – für den wiederum der eng mit der SPÖ verbandelte Rechtsanwalt Gabriel Lansky 2006 eine Wahlplattform geleitet hatte. Lanskys Kanzlei ist es auch, für die Ramin M. als Anwaltsanwärter zwischen 2002 und 2004 ausgebildet wurde. Wie berichtet, soll M. schon früher versucht haben, einem SPÖ-Mitarbeiter Videos anzubieten, auf denen Strache mit Drogen zu sehen sei. Gegenüber dem österreichischen Magazin Profil bestätigt nun ein SPÖ-Berater, daß ihm das Ibiza-Video ebenfalls angeboten wurde.

Nicht auszuschließen ist, daß M. auch seine Kontakte zu den alten ÖVP-Seilschaften der Vor-Kurz-Ära spielen ließ, um auch dort das Video anzubieten. Sebastian Kurz hatte bei seiner Amtsübernahme einen radikalen personellen Schnitt in seiner Partei vollzogen, der viele Verlierer zurückgelassen hatte. Hoffte M. darauf, bei ihnen landen zu können?

Verbindungen zur ÖVP    und ein günstiger Zeitpunkt

Die heutige Moderatorin bei Krone TV, Katia Wagner, ist langjährige Geschäftspartnerin von Ramin M. Gemeinsam unterhielten sie Gesellschaftsanteile an Immobilienfirmen und Schönheitssalons. Wagner ist Mitglied der ÖVP, gilt als enge Freundin des ehemaligen Vizekanzlers und einstigen ÖVP-Chefs Reinhold Mitterlehner. Auch zum Pressesprecher Mitterlehners, Josef Pröll, pflegt M. gute Kontakte. Pröll ist seit Bekanntwerden der Ibiza-Affäre für die Medien nicht zu sprechen, löschte sämtliche seiner Twitter-Botschaften.

Doch die potentiellen Käufer winkten ab. Es war der Sommer 2017. Für Schmutzkampagnen gegen politische Gegner ein ungünstiger Moment. Es ist die Zeit der Silberstein-Affäre, die vor allem die SPÖ stark in Bedrängnis gebracht hatte. Der damalige Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern hatte den israelischen Politikberater Tal Silberstein angeheuert, der ein sogenanntes „Dirty Campaigning“ gegen den neuen ÖVP-Chef und Kern-Herausforderer Sebastian Kurz initiieren sollte. Die Sache flog auf, Silberstein wurde zudem in Israel wegen Bestechung, Urkundenfälschung und Geldwäsche festgenommen. Die SPÖ löste den Beratervertrag mit ihm wieder auf.

Zwei Jahre später, wenige Wochen vor der Europawahl, ergibt sich eine erneute Gelegenheit zum Verkauf. Laut „EU-Infothek“ bot Anwalt M. das Video spätestens jetzt namhaften österreichischen Medien an. Ohne Erfolg. Kenner des Videos hätten ihm indes empfohlen, es in Deutschland zu versuchen.

Unter Berufung auf ihre Informanten behauptet „EU-Infothek“ nun, der mit M. lange befreundete Julian H. habe die Berliner Anwaltskanzlei des einstigen taz-Mitgründers Johannes Eisenberg „ersucht“, ihn „beim Verkauf des Videos an Medien in Deutschland oder an politische Gruppierungen oder Parteien zu unterstützen“. Eisenberg gilt als Anwalt der linken Szene, war als Berater der Geschäftsführung und Justitiar für die taz tätig.

Laut „EU-Infothek“ seien die Mittelsmänner fündig geworden. Ein Verein sei bereit, das Video zu kaufen, jedoch nicht für die geforderte Millionensumme. Man habe sich auf 600.000 Euro geeinigt, habe dafür aber nur sieben Sequenzen des Films erhalten. Die Summe soll in Krügerrand-Goldmünzen beglichen worden sein.

Laut „EU-Infothek“ soll es sich bei dem Verein um das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) handeln. Jener Verein, der auch von dem Satiriker Jan Böhmermann unterstützt wird, der mit Insiderwissen schon Wochen vor der Video-Veröffentlichung durch den Spiegel und die Süddeutsche Zeitung kokettierte. Das ZPS dementiert. Im deutschen Vereinsregister findet sich über ihn übrigens kein Eintrag. Offensichtlich handelt es sich bei dem Zentrum um eine reine Aktivistengruppe, die sich oftmals am Rande der Legalität bewegt. Gegründet wurde sie 2008 von dem Aktionskünstler Philipp Ruch, gegen den die Staatsanwaltschaft Gera 16 Monate wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelte.

Daß es auch um politische Motive geht, bestätigt zudem Ramin M. „Es war ein zivilgesellschaftliches Projekt, bei dem investigativ-journalistische Wege beschritten wurden“, läßt er über seinen Anwalt verkünden. Ex-FPÖ-Chef Strache geht inzwischen in die Offensive: Bei den Staatsanwaltschaften München und Hamburg erstattete er Strafanzeige gegen Personen, die an Herstellung und Verbreitung des Videos beteiligt waren.





Chronik

Juli 2017

Falle in der Finca: Die FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus treffen sich in einer Villa auf Ibiza mit der angeblichen Nichte des russischen Oligarchen Igor Makarow und deren vorgeblichem Bekannten Julian Thaler. Strache spricht über illegale Methoden zur FPÖ-Finanzierung, bietet an, der Nichte nach einem FPÖ-Wahlsieg öffentliche Bauaufträge zuzuschanzen zum Nachteil des Bauunternehmens Strabag, wenn diese im Gegenzug die Kontrolle über das Massenblatt Kronen-Zeitung übernähme zwecks FPÖ-freundlicher Berichterstattung. Die Gespräche werden heimlich in Bild und Ton aufgezeichnet. Mutmaßliche Drahtzieher des Coups: Detektiv Julian H. und Anwalt Ramin M. 

Spätsommer 2017

Anwalt M. bietet das kompromittierende Material unter anderem SPÖ, ÖVP und Strabag gegen Millionenbeträge zum Kauf an, behauptet der Journalist Gert Schmidt.

15. Oktober 2017

Im Ergebnis der österreichischen Nationalratswahl wird Strache Vizekanzler in der Regierung Sebastian Kurz.

13. April 2019

Der Fernseh-Satiriker Jan Böhmermann macht öffentlich Andeutungen: „Ich hänge gerade ziemlich zugekokst (...) mit ein paar FPÖ-Geschäftsfreunden in einer russischen Oligarchenvilla auf Ibiza rum und verhandele darüber, ob und wie ich die Kronen-Zeitung übernehmen kann (...).“ Böhmermann steht dem „Zentrum für Politische Schönheit“ nahe, das gegen rechte Politiker agitiert.

Donnerstag, 16. Mai 2019

Am Abend vor der Ibiza-Veröffentlichung äußert Böhmermann in seiner ZDF-neo-Sendung: „Kann sein, daß morgen Österreich brennt.“

Freitag, 17. Mai 2019

Spiegel Online und Süddeutsche.de sowie die Website falter.at veröffentlichen Ausschnitte des Ibiza-Videos.

Samstag, 18. Mai 2019

Strache und Gudenus treten von allen Partei- und politischen Ämtern zurück.  Am Abend Bruch der Regierungskoalition aus ÖVP und FPÖ.

3. Juni 2019

Es wird bekannt, daß Strache nach Österreich auch Anzeige bei den deutschen Staatsanwaltschaften München und Hamburg erstattet hat gegen alle Personen, die für Herstellung, Verbreitung und Veröffentlichung des Ibiza-Videos verantwortlich sind. München ist Sitz der SZ, Hamburg der des Spiegels.