© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/19 / 07. Juni 2019

Bierlein soll’s richten
Österreich: Mit Vorschußlorbeeren aller Parlamentsparteien startet die neue Regierungschefin ihre Amtsgeschäfte
Curd-Torsten Weick

Die stürmischen Zeiten scheinen – vorerst – vorbei. Aus den Reihen der Opposition, die noch vor knapp einer Woche Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und seiner Regierungsmannschaft das Mißtrauen ausgesprochen hatte, waren nur lobende Worte über Neukanzlerin Brigitte Bierlein zu hören. Vor allem die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner ließ ihrer Freude anläßlich der Vereidigung der „ExpertInnenregierung“ am Montag  freien Lauf: „Mit Brigitte Bierlein steht nun erstmals eine Frau an der Spitze der Regierung. Das ist ein tolles frauenpolitisches Signal.“ Lobend erwähnte Rendi-Wagner, daß Bierlein sie regelmäßig über den Stand ihrer Vorschläge zu den einzelnen Ministerien informiert habe. 

Hinter den Kulissen tobt bereits der Wahlkampf

Rendi-Wagner hatte gut lachen. Zwar gelten sechs der neuen Minister als ÖVP-nah, aber immerhin vier als der SPÖ nahestehend und nur einer – Verkehrsminister Andreas Reichhardt – gilt als Mann der FPÖ. Dennoch fanden auch die Freiheitlichen nur lobende Worte. So würdigte deren designierter Vorsitzender Norbert Hofer Bierlein als „integre Persönlichkeit“, die „Garant“ dafür sei, daß die Regierungsgeschäfte „frei von parteipolitischen Einflüssen und Auswirkungen des beginnenden Wahlkampfs mit Sachkompetenz, Umsicht und Rücksicht auf die Erfordernisse der budgetären Herausforderungen bewältigt werden können.“

Die neue Bundeskanzlerin, die bis dato Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs war, lobte bei ihrer Antrittsrede die Bundesminister für die Übernahme einer „verantwortungsvollen Aufgabe“. „Sie alle eint ihre unbestrittene Expertise und der treue, lange Dienst im Interesse der Republik.“

Österreich, so die 69jährige, sei ein Land mit einer „starken, unabhängigen Justiz, freien Medien und einer transparenten öffentlichen Verwaltung“. Ziel dieser Übergangsregierung sei klar: „Wir werden uns mit aller Kraft um das Vertrauen der Bürger, der im Parlament vertretenen Parteien, der vielen Amtsträger, der Vertreter der Zivilgesellschaft sowie der Religionsgemeinschaften bemühen.“ Den Bürgern würden alle Dienstleistungen des Staates uneingeschränkt zur Verfügung stehen, versicherte die Bundeskanzlerin. Ein besonderes Anliegen sei dabei der sorgsame Umgang mit Steuergeldern. Nun gehe es darum, „möglichst rasch“ die Vorkehrungen für die bevorstehenden Neuwahlen in die Wege zu leiten.

Den Ball für die im September anstehende Parlamentswahl nahm der Ex-Grüne Peter Pilz gerne auf. Um „Klassen besser“ als die Vorgängerregierung bezeichnete der Politiker der Liste Jetzt die frisch angelobte Bundesregierung. 

 „Auf der mittleren Ebene Proporz und ein Paintballminister“, dies seien die Mängel an der Regierung, so Pilz in Anspielung auf Reichhardt, dem er zu große Nähe zu Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache vorwirft.

Auch der zurückgetretene Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) eröffnete den Wahlkampf. Er wünsche der Übergangs-Bundesregierung für ihre Arbeit alles Gute. Auch sei er „zuversichtlich“, daß die von Bierlein ausgewählten Minister die Verwaltung bis zu den Wahlen gut weiterführen werden.

Im September, so der geschäftsführende Fraktionsvorsitzende der FPÖ, stehe die Entscheidung an, ob der in der ÖVP/FPÖ-Regierung eingeführte Kurs fortgesetzt werden könne. „Dieser Kurs beinhaltet eine restriktive Asyl- und Migrationspolitik, von der sich die ÖVP leider zuletzt abgewandt“ habe.

Auch Franz Schnabl, Vorsitzender  der SPÖ Niederösterreich, ließ kein gutes Haar an der ÖVP. Kurz’ Partei habe abermals den „Wettbewerb der tiefsten Untergriffe“ in den Vordergrund gestellt. Während die SPÖ den Nichtraucherschutz oder strengere Transparenzregelungen in den Mittelpunkt stelle, betreibe die ÖVP „Politik-Bashing in reinster Form“. Der ÖVP sei „jedes Mittel recht, um mit kalt berechnend gesetzten Schachzügen ihre Machtposition zum Wohle lediglich eines einzelnen auszuweiten“, so der SPÖ-Politiker.

Dagegen sieht sich ÖVP-Chef Sebastian Kurz in seinem Kurs bestätigt. Denn einer Umfrage der Krone zufolge kann die ÖVP auf 38 Prozent zulegen, die SPÖ fällt auf 21 und die FPÖ auf 19 Prozent. NEOS und Grüne kommen auf jeweils zehn Prozent.