© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/19 / 07. Juni 2019

Turbulenzen im rechten Lager
Israel: Regierungsbildung gescheitert / Dauerzwist zwischen Premier Benjamin Netanjahu und seinem Ex-Partner Avigdor Lieberman
Thorsten Brückner

Selten hat es eine israelische Regierung in den vergangenen 25 Jahren geschafft, die reguläre Legislaturperiode von vier Jahren zu überstehen. Diesmal gingen die Auflösungsprozesse noch schneller. Nur fünf Monate nach der scheinbar triumphalen Wiederwahl von Premierminister Benjamin Netanjahu, werden die Israelis am 17. September erneut zu den Wahlurnen gerufen. Die Regierungsbildung ist gescheitert.

 Verantwortlich dafür war ausgerechnet jener Politiker, dessen Austritt aus der Regierung im November 2018 bereits vorgezogene Neuwahlen im April notwendig machte. Es gehe ihm nicht um Rache, sondern um Prinzipien, betonte der Vorsitzende der Partei „Unser  Heim Israel“, Avigdor Lieberman. Streitpunkt einmal mehr: der Militärdienst für ultraorthodoxe Männer. Diese genießen weiterhin eine großzügige Befreiung, um sich ihren Studien in den Thora-Schulen widmen zu können. Für Lieberman ein unhaltbarer Zustand. Obwohl einer der unpopulärsten Politiker des Landes, gewählt vornehmlich von russischen Einwanderern, kann sich Lieberman in dieser Frage der Zustimmung der meisten säkularen Israelis sicher sein. Ihnen sind die Sonderrechte für die „Haredim“ schon lange ein Dorn im Auge.  

 Nicht wenig spricht dafür, daß die alte Knesset, die sich vergangene Woche nur sieben Wochen nach ihrer Wahl auf Drängen Netanjahus auflöste, der seinem Widersacher Benny Gantz nicht die Chance auf den Versuch einer Regierungsbildung geben wollte, so aussehen könnte wie die neue. Erste Umfragen sagen dem rechten Lager unter Netanjahu erneut eine knappe Mehrheit voraus.Allerdings nicht ohne die Stimmen von ebenjenem Lieberman, dem die Demoskopen statt seiner bisherigen fünf nun acht bis neun Sitze prognostizieren. 

Netanjahu war bereit, über seinen Schatten zu springen

Was ist nach dieser beispiellosen Regierungskrise eigentlich noch das rechte Lager? Für Netanjahu gehört Lieberman nicht mehr dazu. Lieberman sei „besessen davon, rechte Regierungen zu stürzen“ geiferte Netanjahu. Er gehöre nun endgültig zum linken Lager.

 Der Rechtsaußen-Politiker von der Westbank, der einst die Bombardierung des Assuan-Staudamms ins Gespräch brachte und mit der Hamas umgehen wollte „wie die Amerikaner mit Japan im Zweiten Weltkrieg“, schoß postwendend zurück. „Der Mann aus Cäsarea nennt den Mann aus Nokdim einen Linken“, höhnte der ehemalige Außen-und Verteidigungsminister. Kaum zu glauben, daß beide – Netanjahu und Lieberman – erst vor sechs Jahren zusammen auf derselben Liste fürs Parlament kandidierten. Nicht nur Netanjahu wird im Herbst versuchen, eine Mehrheit ohne den gebürtigen Moldawier zu bilden, der sich während seiner Anfangsjahre im Land als Türsteher verdingte. Auch die Ultraorthodoxen sind sauer. „Wir wurden erpreßt, und das werden wir nicht vergessen“, sagte der Vorsitzende des Parteienbündnisses Vereinigtes Thora-Judentum, Jaacov Litzman.

 Daß es sich bei Netanjahu durchaus um einen Pragmatiker handelt, bewies er nach dem Scheitern des Koalitionsabkommens. In einer Last-Minute-Aktion versuchte er ausgerechnet die bei den vergangenen Wahlen schwer gebeutelte Arbeitspartei in die Koalition zu holen. Der bei linksliberalen Israelis im Großtraum Tel Aviv beliebten Shelly Yachimovitch, die zwischen 2011 und 2013 die Partei führte, soll Netanjahu laut einem Bericht von Yedi’oth Acharonot sogar das Justizministerium angeboten haben. Aber nicht einmal die Versuchung, die Justizreformpläne der rechten Hardlinerin Ayelet Shaked zu beerdigen, war für die Erben von Yitzhak Rabin stark genug, um den Fehler von 2001 zu wiederholen, als sie mit einem Beitritt zur Nationalen Einheitsregierung von Ariel Scharon ihren Abstieg einleiteten.