© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/19 / 07. Juni 2019

Ein Riese, der auf drei Kontinenten fußt
Autoindustrie: Renault-Nissan will sich mit Fiat-Chrysler vereinen / Ist die Elektromobilität die Sollbruchstelle?
Christian Schreiber

Die Autowelt ist in Aufruhr. Der italienisch-amerikanische Autobauer Fiat-Chrysler (FCA) schlug Ende Mai eine Verschmelzung mit Renault vor. Der französische Autokonzern hat bereits eine enge Kooperation inklusive Aktientausch mit den japanischen Konzernen Nissan und Mitsubishi. Sollte der Mega-Deal gelingen, würde ein Konstrukt entstehen, das nach Verkaufs- und Mitarbeiterzahlen Global Player wie Volkswagen und Toyota überflügeln würde.

Die beiden Konzerne erhoffen sich Einsparungen in Höhe von fünf Milliarden Euro, unter anderem durch einen gemeinsamen Einkauf oder die Nutzung gemeinsamer Plattformen. Die Branche, die unter dem Druck der Diesel-Debatte steht und sich mit Forderungen nach mehr Elektro-Autos konfrontiert sieht, rätselt nun, ob es sich um einen Zusammenschluß der Stärke oder eine Verbindung der Schwachen handelt.

Für den italoamerikanischen Konzern ist vor allem die Entwicklung der Franzosen bei den Elektroautos interessant. Die Entwicklung hat der Konzern massiv verschlafen. Umgekehrt ist Fiat-Chrysler für Renault interessant, weil der italienisch-amerikanische Bund in den USA stark ist, wo die Franzosen bisher gar keine Marktanteile haben. Angesichts der hohen Kosten für neue Technologien und autonomes Fahren bleibe kein Stein auf dem anderen in der Autoindustrie, sagte Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer gegenüber dem Deutschlandfunk.

Ghosn-Fall verärgert Nissan-Manager

Geplant ist eine Fusion zu gleichen Teilen. „Der vorgeschlagene Zusammenschluß würde einen globalen Autohersteller schaffen, der herausragend ist bei Umsatz, Volumen, Rentabilität und Technologie“, teilte Fiat-Chrysler mit. Es habe bereits Gespräche zwischen beiden Unternehmen gegeben, um Produkte und Regionen für eine Zusammenarbeit zu identifizieren.

Doch die Fusion kann nur zum Erfolg werden, wenn Nissan mitspielt. Die Japaner sind dem Vernehmen nach nicht begeistert und könnten die Fusion zum Anlaß nehmen, die Kooperation mit Renault zu überdenken. Von einem schlecht gemachten Plan sei die Rede, so berichten japanische Tageszeitungen. Die Allianz beider Autokonzerne sei durch den Fall Carlos Ghosn schwer angeknackst. Der Ex-Renault-Nissan-Manager galt als Vater der Kooperation. Seit seiner Verhaftung im November aufgrund von schweren Finanzdelikten sei das Verhältnis zwischen den Franzosen und den Japanern deutlich abgekühlt. Zudem habe Renault den japanischen Partner nicht ausreichend über die mögliche Fusion mit Fiat-Chrysler informiert.

Der neue Riese würde VW und Toyota überragen

„Das ist unangenehm für sie und könnte unnötiges Mißtrauen bei Nissan-Managern gegenüber Renault schaffen“, erklärte Satoru Takada von der Beratungsfirma TIW in Tokio. Nissan-Chef Hiroto Saikawa hält sich derweil noch bedeckt. „Wir stehen einem konstruktiven Meinungsaustausch über eine Stärkung der Allianz immer positiv gegenüber“, hieß es in einer ersten Erklärung.

Auch aus Nissans Sicht sprechen einige Punkte für einen Zusammenschluß. Mit etwa 15 Millionen Fahrzeugen jährlich würde der folgende Viererbund mehr Autos produzieren als Toyota und VW. Diese größere Masse könnte die Einkaufskosten senken.

Als Risiko gilt allerdings die Tatsache, daß Nissan durch den Zusammenschluß mehr Marktanteile in Europa erwerben könnte, wofür das Unternehmen aber nicht gut aufgestellt sei, erklärte Experte Dudenhöffer: „Der Konzern hat eine überalterte Modellpalette und keine Elektroautos in der Pipeline. Man lebt bei Fiat mehr oder weniger von dem in die Jahre gekommenen Fiat 500.“  Der verstorbene FCA-Manager Sergio Marchionne habe Produktinvestitionen in Europa gestrichen und gleichzeitig die Fabriken verschlankt. Fiat-Chrysler verkaufe seine Autos dagegen überwiegend in Nordamerika. „Mehr als 50 Prozent der Neuwagen von FCA wurden 2018 im Nafta-Raum abgesetzt“, sagte der Professor für Betriebs- und Auto­mobilwirtschaft.

USA, Frankreich und Japan verfolgen verschiedene Ziele 

Die US-Regierung unter Donald Trump verfolgt eine Politik der Eigen-interessen. Doch auch der französische Staat hält nach wie vor 15 Prozent der Anteile an Renault. Die einflußreichen französischen Gewerkschaften könnten ihre Zustimmung zur Fusion an die Bedingung knüpfen, daß keine Arbeitsplätze abgebaut werden.

Dies dürfte den gewinnorientierten Amerikanern hingegeben kaum gefallen. In Italien stößt der französische Staatseinfluß bereits jetzt auf Kritik. Gerade diese Beteiligung sorgt bei der mitregierenden rechten Lega für Kritik. Der französische Staatsanteil sei eine „Anomalie“, sagte der Lega-Abgeordnete Claudio Borghi dem Fernsehsender La7.

Die Japaner dürften wie Franzosen und Amerikaner kaum daran interessiert sein, ihre Eigenständigkeit aufzugeben. Offiziell wird die japanisch-französische Allianz seit der Verhaftung von Ghosn Ende 2018 durch ein neues gemeinsames Gremium geführt. Im April hatte die neue Renault-Führung Nissan über eine japanische Investmentbank ein Angebot für eine Fusion unterbreiten lassen, das sich der Vorstand Medienberichten zufolge aber nicht einmal anschauen wollte. 





Scheidungsfall E-Mobilität

Der Umgang mit der E-Mobilität führt schon vor einem Zusammenschluß zwischen Renault und Fiat-Chrysler zu Spannungen. Fiat hat den Einstieg in den Bau von Elektro-Autos schlicht verschlafen, sagen Kritiker. Andere betonen, in Italien hätten weder Politik noch Wirtschaft ein Interesse an starker Förderung des Batterie-Antriebs. Auch die Amerikaner haben bisher wenig Interesse an der reichweiten-schwachen Technologie gezeigt. Daß diese Technologie innerhalb der Branche aber auf Vorbehalte stößt, mußte sogar VW-Vorstandschef Herbert Diess jüngst einräumen. Der potentielle Hauptkonkurrent des neuen Konzerns hatte seinen Anlegern erklärt: „Auf absehbare Zeit gibt es keine Alternative zum batterieelektrischen Antrieb.“ Doch dies kam bei Kleinaktionären und Vertretern institutioneller Anleger nicht gut an. Wenige glauben an eine große Zukunft für strombetriebene Autos. US-Präsident Donald Trump hat unlängst angekündigt, Programme zur Förderung von E-Mobilität auslaufen zu lassen. Nissan hingegen investiert Milliarden in diese Technologie.