© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/19 / 07. Juni 2019

Pankraz,
die Jugend und die Generation Youtube

Am besten wär’s, euch zeitig totzuschlagen“, so tönt bekanntlich der junge Bakkalaureus (heute sagt man „Bachelor“, also ein Student mit einigen erfolgreich absolvierten Semestern) in Goethes „Faust“ im Gespräch mit seinem (vemeintlichen) Doktorvater. Von diesem Bakkalaureus stammt übrigens auch die im zwanzigsten Jahrhundert bei den 68ern so populär gewordene Parole „Trau keinem über dreißig!“ „Das Alter“, spricht der Bakkalaureus, „ist ein kaltes Fieber. /  Hat einer dreißig Jahr vorüber, / so ist er schon so gut wie tot. / Am besten wär’s, euch zeitig totzuschlagen ...“

Zur Zeit erleben wir wieder einmal einen Triumph der jugendlichen Bachelors über die „alte“ regierende Politikerkaste. „Jugend an die Macht!“ tönt es aus sämtlichen Kanälen, und die führenden Politiker in ihren Büros machen sich ganz klein. Ja, stottern sie, man stimme der von der Jugend geforderten Klima- und Weltrettung voll und ganz zu, nur sollte man die anfallenden Kosten mitbedenken und müssse auch auf die „Normalbürger“ Rücksicht nehmen, die sich mit Schrecken an die rabiaten Mord- und Brandstifter-Methoden der 68er erinnerten.

Dazu nun beispielsweise der Spiegel: Es sei richtig, der revolutionäre Elan der neuen „Generation Youtube“ sei durchaus vergleichbar mit dem Revoluzzertum der 68er, beiden Bewegungen ging es, beziehungsweise gehe es um einen totalen, grundstürzendenWandel der Gesellschaft. Doch die Kampfmethoden hätten sich seit 68er-Tagen vollkommen gewandelt, und zwar zum Besseren! Heute gebe es das Internet mit seinen Netzwerken und seinen schier unendlichen Möglichkeiten der Verbildlichung und des erleichterten Zugriffs. Und die revolutionäre Jugend mache von alledem ungehemmt und versiert Gebrauch.


Ergibt sich aber, fragt Pankraz, aus der Verbesserung, mag sein sogar der Humanisierung, der Kampfmethoden automatisch eine Verbesserung und Humanisierung politischer Absichten und Ziele? Daran darf man zweifeln. Wer als Politiker Chaos, Zwangsregime oder gar nackte Diktatur anstrebt, steht moralisch nicht besser da als einer, der in (angeblich) menschenfreundlicher Absicht die übelsten Methoden praktiziert. Methode und Ziel bedingen einander. Mit Blick auf die Jugend kann man guten Gewissens nur fragen: Taugt sie besonders gut die Politik – oder hat sie da im Gegenteil ein altersbedingtes Manko?

Die Frage ist hierzulande um so dringlicher, als sich der Jüngling oder die Jungfrau als Politiker bei genauem Hinsehen als ein vor allem deutsches Problem erweisen. Andere Völker haben die Jungen gar nicht erst ans Zentrum ihrer Kultur herangelassen, von den Machthebeln zu schweigen. Homers „Ilias“ kann sich nicht genug tun, vor den „Vergehungen“ der Jünglinge zu warnen. Bei den französischen Klassikern galt das Jünglingsalter als eine charmante Unwesentlichkeit, und Jean-Paul Sartre hielt es gar für eine „bürgerliche Krankheit“; wahre Proletarier würden von der Kindheit direkt ins Erwachsenenalter übertreten.

Im übrigen sollte man sich vor falschen Alternativen hüten; nicht jeder Jüngling, nicht jedes junge Mädchen ist ein Kreativbolzen, und nicht jeder Erwachsene ein hartgesottener Routinier, den nichts mehr aus der Bahn wirft. Beide können voneinander lernen, Kommunikation ist möglich. Vielleicht liegt der Grund für die derzeitige Jugendwelle nicht zuletzt darin, daß es eine gründliche, sachliche Kommunikation gar nicht mehr gibt, nur noch auf momentane Medienwirkung erpichtes Gerede, bei dem einem sofort klar ist: Du versäumst nichts, du kannst getrost weiter mit deinem Smartphone spielen.

Wie lautet der Ehrentitel, mit dem sich die Generation Youtube so gern dekorieren läßt? „Kinder der Apolalypse“! Unter dem macht man es nicht. Wenn schon nicht „Weltrevolution“, wie bei den Kommunisten und den 68ern, dann eben Apokalypse – das ist sogar noch gründlicher, knalliger und mediennäher als die Weltrevolution. Man rettet nicht mehr nur einige Proletarier vor dem Verhungern, sondern buchstäblich die ganze Welt vor dem Klimatod, dem CO2-Tod, und man braucht dazu nicht einmal mehr eine Diktatur, sondern lediglich jugendlichen Schwung beim Umgang mit dem Internet.


Kein Geringerer als Goethe hat diese jugendliche „Ursünde“ dargestellt, nämlich im zweiten Teil seines „Faust“ in der Gestalt des Faust-Sohnes Euphorion, der so sehr von seinen Eltern geliebt wird. Dieser sei aber eigentlich, so Goethe im Gespräch mit seinem Vertrauten Eckermann, eher eine Schöpfung Mephistos denn Fausts gewesen, so wie auch der Bakkalaureus und der Knabe Wagenlenker in „Faust 2“. Euphorion ist von Temperament und Überzeugung her der geborene Himmelsstürmer. Er will alles anders machen als Zeus, der Schöpfergott, und Zeus zerschmettert ihn am Ende.  

Der Knabe Wagenlenker, den Mephisto in der Kaiserpfalz zum Mittelpunkt eines rauschhaften Karnevals macht, befördert seinerseits dort voller Begeisterung eine üble Fracht, nämlich Pluto, den Gott der Gewinnmacherei und Protzerei. Sowohl Euphorion als auch der Knabe Wagenlenker sind synthetische Figuren aus dem Geist der Hölle, wie auch als Dritter noch Bakkalaureus der junge Besserwisser. Alle drei sind schön, charmant, einfalls- und erfindungsreich, dazu von der samtigen Unbekümmertheit der Jugend. Doch Goethe zögert nicht, in furchtbarer Weise den Stab über sie zu brechen.

Während Faust vom Ewigweiblichen „hinangezogen“, das heißt gerettet wird, verfallen Euphorion & Co. nicht nur dem Hades, sondern sie nehmen das Ewigweibliche sogar noch mit hinab. „Laß im düstern Reich, Mutter, mich nicht allein“, fleht der sterbende Euphorion, und Helena kann dem erschütternden Ruf nicht widerstehen, stirbt mit ihm.

Die jugendliche Tat, mit sich allein gelassen und noch ungefiltert durch Lebenserfahrung und Leid, ist – so lehrt uns der Dichter – ihrem Wesen nach vernichtend und entmenschlichend. Der Wagen, den Knaben alleine lenken wollen, führt letzten Endes ins Verhängnis.