© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/19 / 07. Juni 2019

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Andrea Nahles’ Rückzug vom Partei- und Fraktionsvorsitz der SPD wird kaum helfen. Man muß nicht zu ihren Bewunderern gehören, um doch festzustellen, daß es wenig brauchbaren personellen Ersatz gibt. Hinzu kommt das Dilemma in programmatischer Hinsicht. Welche Richtung könnte die „alte Tante“ Sozialdemokratie jetzt einschlagen? Ihre Zeit ist vorbei, ganz gleich, ob sie versucht, die einfachen Leute zurückzugewinnen oder die Grünen zu kopieren.

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In Zentralafrika wurde eine Angehörige der katholischen Ordensgemeinschaft der Filles de Jésus de Massac-Séran ermordet. Die Frau war französischer Herkunft. Die Täter drangen in ihre Wohnung ein und erwürgten sie, stahlen aber nichts. Die Umstände wirken rätselhaft. Allerdings gaben einheimische Stellen an, daß es ein „esoterisches Verbrechen“ gewesen sein könnte, bei dem es nicht um Diebstahl ging, sondern darum, in den Besitz von etwas zu kommen, was im magischen Sinne „mächtig“ wirkt. Bekannt ist, daß die Friseure der Region die abgeschnittenen Haare von Weißen sammeln und für okkulte Praktiken zur Verfügung stellen.

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Hans von Hentig wies darauf hin, daß es in Krisenzeiten eine Tendenz zum „Südlichen“ im Kleidungsstil gibt, vor allem dem weiblichen, aber nicht nur. Die Entblößung trotz unwirtlicher Temperaturen ist in Mode, die nackte Schulter, das tiefe Dekolleté bei jeder Gelegenheit, das Herumlaufen in offenen Schuhen ohne Strümpfe, am liebsten mit Fußkettchen um die mehr oder weniger wohlgeformte Fessel.

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„Der ‘Nationalismus’, vor dem die Kanzlerin, der Kölner Kardinal und die Anhänger der ‘Europa-für-alle’-Bewegung warnen, ist ein Popanz, wie es früher die ‘gelbe Gefahr’, die Aliens und die Illuminati waren. Offenbar brauchen auch offene Gesellschaften etwas, wovor sie sich fürchten können. Das kommt dem ‘Zusammenhalt’ zugute, der in Friedenszeiten erodiert.“ (Henryk M. Broder)

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Man könnte gewisse Tendenzen der Verhätschelung und Überbehütung bei der Aufzucht des Nachwuchses vielleicht dadurch eindämmen, daß man den Eltern ein altes Weistum mitteilt: „Kinder sind undankbar!“

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Die Menge der Gefängnisinsassen in den USA hat einen neuen Höchststand erreicht: 720 Personen auf 100.000 Einwohner. Die Zahl der Inhaftierten stieg zwischen 1975 und 2015 von 240.000 auf zwei Millionen Menschen. Absolut gesehen gibt es damit in den Vereinigten Staaten mehr Sträflinge als in China und Rußland zusammen; etwa 25 Prozent aller Gefangenen weltweit, bei einem Bevölkerungsanteil von nur 5 Prozent. Nach einer neueren Untersuchung hat jeder zweite Amerikaner einen inhaftierten Verwandten; bei den Schwarzen sind es drei von fünf, bei den Weißen einer von sechs.

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Zu den verstörenden Momenten bei der Feier des Grundgesetzes gehört das völlige Fehlen jedes Hinweises darauf, daß es sich um die Verfassung des deutschen Volkes handelt.

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In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (Ausgabe vom 2. Juni) findet sich ein Kommentar Volker Zastrows zur Zerstörung der Union. Das Thema hat in seinem und dem Mutterorgan FAZ Tradition. In der Vergangenheit las man allerdings regelmäßig Mahnungen und Warnungen davor, daß die CDU, weniger die CSU, ihre Kernwähler vernachlässige – das konservative Bürgertum, die traditionsbewußten Christen, die aufgeklärten Patrioten, den Mittelstand, die Bauern –, jetzt liest man bei Zastrow, daß ausgerechnet die Hinwendung zu dieser Klientel das Desaster der Partei bei der Europawahl erkläre. Ob sich tatsächlich eine größere Zahl von Sympathisanten wegen eines von Frau Kramp-Karrenbauer initiierten Rechtsrucks abgewendet hat, sei dahingestellt. Interessanter ist aber die eigentliche Pointe von Zastrows Text: die Feststellung nämlich, daß die Enttäuschten zu den Grünen übergegangen seien, weil „eine fortschrittliche, in der Sachpolitik erkennbar grüne Kanzlerin“ bei der letzten Stimmabgabe gar nicht antreten durfte. Da müsse man, folgt man Zastrow, schon Verständnis haben für die, die zur einzig „anständigen Partei“ desertieren, die sich durch ihre kluge Programmatik, ihr maßvolles Auftreten und das Fehlen aller Häme empfehle. Diese Art der Anbiederung gegenüber den Grünen ist in der Frankfurter Allgemeinen auch nicht neu. Aber vielleicht wäre doch darüber nachzudenken, inwieweit die Gelassenheit der grünen Volkspartei und ihrer Führung der Tatsache zu verdanken ist, daß sie selbstverständlich auf die Deckung des politisch-medialen Komplexes rechnen kann und auf die Unterstützung einer vollkommen entpolitisierten Jugend, deren Ideenhaushalt im wesentlichen durch das bestimmt wird, was all die Sympathisanten der Ökopaxe in den Hochschulen, Schulen, Kirchengemeinden seit Jahrzehnten an Vorstellungen verbreiten und was längst bis in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen ist.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 21. Juni in der JF-Ausgabe 26/19.