© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/19 / 07. Juni 2019

Die Fundamente bewahren
Rückbesinnung mit Lesefreude: Das konservative „Cato“-Magazin hat sich am Markt etabliert
Marco Gallina

Das Dach brennt“, schreibt Cato-Chefredakteur Andreas Lombard. „Nicht nur das Dach der Pariser Liebfrauenkirche, sondern das der Kirche und einiger Staaten Europas auch.“ Lombard hält sein Wort, das er schon auf der Anfangsseite dem Leser mitgibt: Die Krise der Kirche und die Krise Europas sind nicht auseinanderzudividieren, und deswegen führt kein Weg daran vorbei, daß das neue Cato-Heft dem „Schwerpunkt Kirche“ satte 33 Seiten widmet.

Furios startet der Themenkomplex mit „Macron fängt Feuer“, einer Bestandsaufnahme Frankreichs im Frühling 2019, gezeichnet vom Mißtrauen zwischen Bevölkerung und herrschender Elite, von Ungereimtheiten beim Brand von Notre-Dame und allgegenwärtigen Kirchenschändungen. Eva-Maria Michels zeigt dabei auf, daß nicht so sehr ein muslimisches Attentat, sondern auch eine Spekulation von Immobilienhaien auf eine Umgestaltung der historischen Île de la Cité den Argwohn der Franzosen schürt. Der historische Kern von Paris liegt auf dem Präsentierteller von Globalisten, Modernisten und identitätslosen Snobs wie Macron, die in der Notre-Dame keine Kirche, sondern eine Attraktion sehen, der ein gläsernes Restaurant und Gewerbeflächen fehlen.

Frankreich erlebt einen „spirituellen Aufbruch“ 

Daß der Brand der Kirche ein „Fanal“ in der Hinsicht ist, daß es sich nicht nur um einen „Sakralbereich“, sondern auch um ein „Leuchtfeuer“ handeln könnte, führt Walter Kardinal Brandmüller aus. Gerade der Verlust eines so wichtigen christlichen Symbols könnte zu einem „christlichen Wiedererwachen“ der „Ältesten Tochter der Kirche“ führen. Die Ergriffenheit der Franzosen angesichts der Katastrophe zeige, daß Frankreich einen „spirituellen Aufbruch“ erlebe.

Der von Cato gesetzte Höhepunkt bildet das Gespräch zwischen dem Jour-

nalisten Geoffrey Lejeune und dem Bestseller-Autor Michel Houelle-

becq, eine Übersetzung aus dem amerikanischen Magazin First Things. Thema: die Restauration der Kirche. Der Agnostiker Houellebecq macht aus seiner Sympathie für die Katholische Kirche keinen Hehl. Er ruft Denker wie Auguste Comte, Charles Maurras oder Eric Zemmour in Erinnerung, die als „nichtchristliche Katholiken“ die „Organisation der 

ganzen Gesellschaft“ als größtes Werk Roms ansehen.

Houellebecq empfiehlt der Kirche mehr Orthodoxie

Houellebecq konstatiert jedoch bereits ab dem 12. Jahrhundert einen Abstieg der römischen Kirche, bedingt durch die Trennung vom Osten; der Versuch, Verstand und Glauben zu versöhnen, habe in die „zivilisatorische Katastrophe“ der Renaissance und zuletzt in den Protestantismus geführt. Eine deutliche Empfehlung des „Soumission“-Autors lautet demnach: Annäherung an die Orthodoxie, Distanzierung vom Protestantismus, mehr Gefühl, weniger Vernunft. Zudem spricht sich Houellebecq gegen die Einmischung in politische Angelegenheiten aus, Stichwort Flüchtlingskrise: „Das nervt jeden, das muß man ganz klar sagen.“

Der Agnostiker zieht einen Vergleich zu Papst Clemens VII., der Heinrich VIII. die Annullierung seiner Ehe versagte, wonach dieser seine eigene Kirche gegründet habe – leider ein hinkender Vergleich, der mehr über die Verweltlichung Houellebecqs als die der Kirche aussagt, für welche das Sakrament der Ehe eben keine zivile Sache ist.

Es sind Passagen wie diese, die zwar das „katholische Gefühl“ des Diskutanten verdeutlichen, jedoch zugleich das mangelnde Wissen über die Lehre – und damit: Essenz – der römischen Kirche. In Fragen der Sexualmoral erteilt der Experte für die Dekadenz des westlichen Geschlechtslebens („Elementarteilchen“) der Kirche Ratschläge, wie sie sich seit Augustinus wiederholen. Ähnlich verhält es sich mit der Kernthese, daß die Kirche weniger weltlich werden müsse; so weit war der junge Theologe Joseph Ratzinger bereits im Jahr 1958, als er die notwendige Verkleinerung und Entweltlichung der katholischen Kirche postulierte und dabei die „sakramentale Ebene“ als die „eigentliche innere Wesensebene der Kirche“ bezeichnete. Das bedeutet, daß auch das Sakrament der Ehe, und damit zwangsläufig die Sexualmoral, eine bedeutende theologische Komponente auf dem Weg zum Seelenheil darstellt.

Kirchgänger Lejeune, Chefredakteur eines wöchentlichen Finanzmagazins, dem diese Logik bekannt ist, erweist sich demnach nicht nur besser geschult, was das Wesen und die Geschichte der Kirche angeht, sondern kennt auch die Paradoxien: Die Kirche mische sich nicht zuwenig in die Politik ein, sondern an den falschen Stellen. Der Journalist hebt vor, daß nur ein einziger Bischof mit den Gelbwesten gesprochen habe. Der liberalen Rosinenpickerei stellt er die Schlagkraft der allumfassenden Lehre entgegen, deren Klarheit und Verbindlichkeit über Jahrhunderte als Richtlinie gegolten habe. Der Relativismus in der Lehre habe ihre Erhabenheit untergraben. Die Kirche habe sich selbst zurückgezogen, zeige kein Gesicht mehr, ähnlich, wie Priester auf der Straße nicht mehr in Soutane, sondern in Zivil gingen: „Die Kirche scheint sich für ihre Existenz zu entschuldigen.“ Und: „Vielleicht würde die Kirche wieder mehr Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn sie aufhörte, sich wie eine NGO aufzuführen, die sich karitativ gibt, aber nicht für Christus einsteht, der die Quelle ihrer Großzügigkeit ist.“

Der zweite Schwerpunkt des Heftes liegt auf dem hundertsten Jahrestag des Versailler Vertrages. Der Militärhistoriker Martin van Creveld bilanziert unter dem Motto „Nichts Neues unter der Sonne“ den Vertrag in beeindruckend nüchterner Weise. Gebietsabtretungen? Entwaffnung? Entmilitarisierung? Mit Hinweis auf andere Verträge entkräftet der israelische Historiker das Vorurteil eines einzigartigen Diktatfriedens und wirft zuletzt die Frage auf, „warum der Versailler Vertrag in Deutschland, aber auch im Ausland einen so schlechten Ruf genießt“.

Die Argumentation zum Kriegsschuldartikel 231 („nur formaler Niederschlag eines Umgangs, der in der Geschichte so selbstverständlich war“) mag allerdings nicht ganz überzeugen: Van Creveld orientiert sich größtenteils an den Siegfrieden antiker Herrschaft, aber kaum an dem diplomatischen Kongreßwesen der Neuzeit, zu denen seit 1648 (Westfälischer Friede: „Es seye beyderseiths ein ewige Vergessenheit vnd Vffhebung alles dessen“) gewöhnlich der Wille zur Aussöhnung und nicht jener zur Demütigung zählt.

Exklusive Kolumne von Jordan Peterson

Auch Chefredakteur Lombard greift beim Stichwort Versailles zur Feder. In seinem Artikel beschreibt er das Schicksal der deutschen Flotte, die sich am 21. Juni 1919 selbst versenkte. „Die Royal Navy hatte gewonnen, ohne gesiegt zu haben, und entsprechend hatte die deutsche Flotte verloren, ohne geschlagen worden zu sein.“ Das bittere Ende deutscher Flottenhoffnungsträume tritt plastisch vor Augen. Die „einzige unmittelbare Widerstandshandlung gegen den Versailler Vertrag“ spielt dabei den Briten in die Hände, die bei einer Aufteilung der Flotte unter den Entente-Mächten am wenigsten profitiert hätten. Das Ende der kaiserlichen Marine gerät für diese zu einem „Akt des Friedens“, für die Deutschen ist sie eine „Ehrenfrage“, Lombard betont die „elegante Diplomatie“ hinter der Tat. Scapa Flow zeichnete das aus, was Versailles fehlte.

Abgerundet wird das Magazin mit einem analytisch luziden Beitrag von Hervé Juvin über die aufstrebende Weltmacht China – der am Ende mehr denn je die Frage offenläßt, wo die Alte Welt im Angesicht des Drachen bleibt – sowie eine Würdigung der Konzertaufnahmen Wilhelm Furtwänglers in der Zeit von 1933 bis 1945. Den alten Gaul, warum der größte deutsche Dirigent seiner Zeit sich für den Nationalsozialismus hergab, reitet der Historiker und Publizist Jörg Friedrich nicht: „Er war Hohepriester und hätte diese Travestie geißeln können. Damit wäre sie nun keineswegs zu Ende gewesen.“

Weitere hochkarätige Beiträge, unter anderem von Karlheinz Weißmann, sowie die Cato-Kolumnen des kanadischen Psychologen Jordan Peterson, des ehemaligen Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, sowie der Bundesvorsitzenden der „Christdemokraten für das Leben“ (CDL), Mechthild Löhr, prägen den Gesamteindruck einer gelungenen Ausgabe, die bleibenden Eindruck hinterläßt.