© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/19 / 07. Juni 2019

Sozialdemokrat in der Anpassung
Georg Eckert (1912–1974): Vom Wehrmachtsbeamten zum international renommierten Schulbuchforscher
Konrad Faber

Georg Eckert ist heute eigentlich vor allem durch das von ihm begründete und später nach ihm benannte Schulbuchinstitut in Braunschweig bekannt. Die akademische Oberrätin Heike Christina Mätzing vom Institut für Geschichte der TU Braunschweig hat dem eigenwilligen Sozialdemokraten Eckert nunmehr eine detailliert recherchierte Biographie gewidmet. 

Der aus Berlin gebürtige Eckert studierte demzufolge mit dem Berufsziel Gymnasiallehrer Ethnologie, Geschichte, Geographie und Germanistik. Zugleich war er vor 1933 ein politisch aktiver Sozialdemokrat und überzeugter Sozialist. Sozialdemokrat wurde Eckert auch nach 1945 wieder. Nur lag dazwischen eine Phase, die man entweder mit „Täuschung“ oder aber mit „Anpassung“ umschreiben könnte. Eckert verlegte nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 unverzüglich seinen Studienort von Berlin nach Bonn, trat dort, wo man ihn nicht kannte, in die SA und in den Nationalsozialistischen Studentenbund ein und meldete sich freiwillig zum Arbeitsdienst. Dem folgten 1936 der Eintritt in den NS-Lehrerbund und 1937 der Eintritt in die NSDAP. 

Auch zur Wehrmacht meldete sich Eckert freiwillig, erhielt eine Ausbildung als Funker und wurde als Gefreiter im Februar 1941 aus dem Wehrdienst entlassen. Der mittlerweile mit einer 59 Seiten starken Dissertation über das Geschlechts- und Sozialleben einiger Südseevölker promovierte Ethnologe wollte jetzt nämlich Wehrmachtsbeamter werden. Nach einer Kurzausbildung als Marinemeteorologe fand Eckert mit den Gebührnissen eines Majors ein nicht nur im meteorologischen Sinne „warmes Plätzchen“ in Nordgriechenland. 

Hier betrieb er neben der Wetterberatung der Kriegsmarine seine Habilitation zu einem altamerikanischen ethnographischen Thema, trieb private ethnologische Studien vor Ort und knüpfte im Juli 1944 Beziehung zur griechischen Widerstandsorganisation ELAS. Hierzu sicherte sich Eckert ab, indem er diese Beziehungen mit Wissen und im Auftrag der „Abwehr“ zu unterhalten vorgab. Daß seine politischen Sympathien nicht dem Dritten Reich galten, dokumentierte Eckert, als er sich im Oktober 1944 nicht der anlaufenden Evakuation aller Wehrmachtseinrichtungen Richtung Norden anschloß, sondern am 29. Oktober 1944 zur ELAS überlief. Am 20. Januar 1945 ging Eckert freiwillig in englische Gefangenschaft. 

Die Engländer beabsichtigten Eckert nach einer gründlichen politischen Überprüfung im Rahmen der Umerziehung der Deutschen einzusetzen, doch kam hier eine schwere und langwierige Lungenerkrankung dazwischen, die Eckert nur knapp überlebte. Nach Deutschland überführt, trat er am 31. Dezember 1945 erneut der SPD bei und absolvierte als „Widerstandskämpfer“ bravourös die obligatorische Entnazifizierung. Mehr zufällig geriet Eckert auf der Suche nach einem neuen Berufsfeld an die in Braunschweig zwecks Ausbildung neuer Lehrer geschaffene Pädagogische Hochschule, welche 1978 in die TU Braunschweig eingegliedert wurde. 

Hier erhielt Eckert durch Beziehungen zu Sozialdemokraten in leitender Funktion 1946 eine Dozentenstelle, später eine Professur für Geschichte. Dies bedeutete für den promovierten und habilitierten Ethnologen den Abschied vom einstigen Forschungsfeld und dem Neubeginn einer Karriere als Historiker, Lehrerbildner und später auch als international geachteter und geehrter Schulbuchforscher. Besonders seine Beziehungen nach England erwiesen sich hier als günstig. 

Eckert galt als Arbeitstier, der sich unermüdlich auf den Feldern der Sozialgeschichte, Geschichte der Arbeiterbewegung und der Geschichte der Sozialdemokratie betätigte. Dabei besaß Eckert keinerlei Berührungsängste. Für das heutige, völlig moralgesteuerte Deutschland fast unglaublich klingt, daß Georg Eckert an seinem Braunschweiger Institut als seinen „zweiten Mann“ einen Altersgenossen, den Berliner Historiker Otto Ernst Schüddekopf (1912–1984) anstellte. Immerhin war Schüddekopf einst Mitarbeiter im SS-„Ahnenerbe“ und später gar noch im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) im SD-Ausland als Referent für England tätig gewesen. 

Doch obwohl sich Eckert unermüdlich im sozialdemokratischen Sinne betätigte, kam er zur Erkenntnis, daß die Nachkriegs-SPD doch nicht mehr „seine SPD“ wäre, wie er sie aus der Zeit vor 1933 kannte. Heike Christina Mätzing hat eine durchaus kritische Biographie eines deutschen Akademikers verfaßt, der sehr gekonnt und erfolgreich das Handwerk der Selbststilisierung beherrschte.

Heike Christina Mätzing: Georg Eckert 1912–1974. Von Anpassung, Widerstand und Völkerverständigung. Verlag J. H. W. Dietz, Bonn 2018, gebunden,  589 Seiten, Abbildungen, 48 Euro