© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/19 / 07. Juni 2019

Scharfsinnige Systemanalysen neben dumpfem Haß auf das Eigene
Elmar Altvater: Ein zwiespältiger Repräsentant des linken Intellektuellenmilieus der alten Bundesrepublik
Dirk Glaser

Jenseits von Mathematik und Naturwissenschaften gibt es keinen zuverlässigeren Indikator als die Chronologie, um ein Meinen mit Wissen verwechselndes, gestörtes Verhältnis zur Realität zu erfassen. Wer also, wie die Berliner Politologin Birgit Mahnkopf, die bereits im Mai 1940 einsetzenden britischen Luftangriffe auf das Ruhrgebiet als Folge der deutschen Bombardierung Coventrys in der Nacht vom 14. auf den 15. November 1940 verkauft, zeigt unwiderleglich, daß ihn kein historisches Wissen, sondern ein ideologisches Meinen leitet.

Mit dieser Ursache und Wirkung verkehrenden Fehldatierung unterläuft Mahnkopf aber nicht lediglich ein belangloser Schnitzer. Im Detail offenbart sich vielmehr das Ganze eines simplen linken Geschichtsbildes, das die Vergangenheit ausschließlich Schwarz-Weiß wahrnimmt. Wenn demnach die gute Royal Air Force Zivilisten tötet, dann tut sie es, aus dieser Maulwurfsperspektive betrachtet, allein aus Notwehr, weil ihr die böse deutsche Luftwaffe mit schlechtem Beispiel voranging.

Mahnkopf gibt ihre Auffassung vom Luftkrieg 1940 gleich zu Beginn einer Erinnerung an ihren im Mai 2018 verstorbenen Lebensgefährten Elmar Altvater zum besten (Blätter für deutsche und internationale Politik, 5/2019). Der spätere Berliner Politikwissenschaftler, einer der profiliertesten linken Theoretiker seiner Generation und zusammen mit Mahnkopf prominentester deutscher Globalisierungskritiker, erblickte 1938 in der Bergarbeiterstadt Kamen das Licht der Welt, dort, „wo das Eisen und der Stahl für den Eroberungskrieg der deutschen Wehrmacht herkamen“, und dort, wo unzählige Fliegeralarme den kleinen Elmar so verängstigten, daß er zeitlebens auf jeden Auto- und Flugzeuglärm „mit einer Flut von Beschimpfungen“ reagierte.

Durchsetzt von Vorurteilen und Ressentiments

Mahnkopfs Porträt will zum ersten Todestag mehr liefern als persönliche Reminiszenzen. Ihr Ehrgeiz zielt auf eine konzise Darstellung als exemplarische „linke Intellektuellengeschichte der Bundesrepublik“. Dabei ist zu unterstellen, daß Elmar Altvaters Autobiographie, hätte er sie denn geschrieben, die Akzente ähnlich gesetzt hätte, Mahnkopfs Deutung mithin sein Selbstverständnis authentisch ausdrückt. Und tatsächlich entstand das der Kapitalismuskritik und der politischen Ökonomie gewidmete Werk Altvaters vor dem Hintergrund jenes fragmentarischen Geschichtsverständnisses, dem auch die 1950 geborene Mahnkopf hemmungslos huldigt. Es ist, sehr erstaunlich bei „kritischen“ Intellektuellen, die so stolz darauf sind, ab 1968 das „Hinterfragen“ eingeübt zu haben, en masse durchsetzt von „Vorurteilen“, „Klischees“ und „Ressentiments“. So heißt es von Altvaters Vater: „Er war ein Nazi“. Mithin bereits vor 1950, als er aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrte, „psychisch verkrüppelt wie so viele“. Ein „autoritärer Charakter“, der seinen Kindern „dieselbe autoritäre Erziehung angedeihen ließ, die er selbst genossen hatte“. Auch Altvaters „dumme Lehrer“ wiesen den „unter Deutschen seinerzeit weit verbreiteten autoritären Charakter“ auf.

Aus solcher „Enge“ der Provinz entfloh der Student Altvater ins „liberale“ München, suchte im „militanten Antikommunismus der Adenauer-Ära“ politischen Rückhalt in den Reihen von SDS und SPD sowie den winzigen Zirkeln „ungebrochener Linkssozialisten und Kommunisten“ und konsequente geistige Orientierung im Marx-Studium. Als Marx-Kenner brauchte der 1972 ohne Habilitation an die FU Berlin an das dortige Otto-Suhr-Institut berufene Altvater, abgesehen von seinem schärfsten Kritiker, dem Privatgelehrten Robert Kurz (JF 11/17), bald keine Konkurrenten zu fürchten. Er stieg zu einem der wenigen international bekannten deutschen Wissenschaftler auf, die ihre Durchleuchtungen der „neoliberalen Konterrevolution“ und globalisierten Billiglohnökonomie auf „intensive Marxlektüre“ stützen. 

Wenn er als Globalisierungsanalytiker auch respektable Realitätsnähe bewies, behinderte ihn bis zuletzt das generationstypische Ideologieerbe: der einem verquasten Geschichtsbild entsprungene Haß auf das Eigene. Er ließ ihn den Zusammenhang von „Großer Industrie“ (Marx) und Massenmigration genauso verkennen wie die Vergeblichkeit seines Engagements bei mediokeren linken Parteien. Aber „ganz ohne Partei“ habe er sich halt nicht wohl gefühlt, so daß er nach seinen Austritten aus der SPD in den siebziger Jahren und den Grünen 2007 schließlich bei „Die Linke“ landete. In die er jedoch wohl keine ernstlichen Hoffnungen mehr investierte, da sie für die von ihm erwogenen „drei möglichen Zukünfte“ des herrschenden, nicht zukunftsfähigen, da alle Quellen des außermenschlichen und menschlichen Lebens zerstörenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystems keine Rolle mehr spielte. Weder für eine systemkonforme Wandlung hin zum „grünen Kapitalismus“ noch für die revolutionäre „Große sozial-ökologische Transformation“, noch, so die ihm wahrscheinlichere Variante, für die zu erwartende „lange Periode von gewalttätigen Auseinandersetzungen, Aufständen und Kriegen“.