© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/19 / 07. Juni 2019

Pflicht und Gestaltung
Die Vergangenheit erscheint in der Gegenwart neu: Libet Werhahn-Adenauer erinnert sich an ihren Vater
Ansgar Lange

Gibt es nicht schon genügend Bücher über Konrad Adenauer? Dieser Gedanke wird vielleicht manchem angesichts des Titels „Erinnerungen an meinen Vater Konrad Adenauer“ durch den Kopf schießen. Doch dieses Buch ist anders und gerade deshalb lesenswert, denn es ist aus der Perspektive der 1928 geborenen jüngsten Adenauer-Tochter Libet geschrieben. Es fehlt also die wissenschaftliche Distanz. Dafür schildert die Autorin auf einfühlsame, aber nicht unkritische Weise die Jahre eines gemeinsamen Lebenswegs von Vater und Tochter.

In 21 kurzen Kapiteln berichtet die in diesem Jahr verstorbene Autorin über die frühe Kindheit in Köln, die schwierige Situation der Familie im Dritten Reich, über den frühen Tod ihrer Mutter und Konrad Adenauers zweiter Ehefrau 1948 sowie die gemeinsamen Reisen, die Tochter und ihr 52 Jahre älterer Vater gemeinsam unternahmen, als dieser Bundeskanzler und verwitwet war.Adenauer war bekanntlich ein frommer Mann. Sein Glaube an Gott, so betont die Tochter, habe ihm immer wieder geholfen, sich aus tiefster Traurigkeit und drohender Resignation zu befreien. Und das Leben hielt zahlreiche Prüfungen für Konrad Adenauer bereit. Er überlebte seine beiden Ehefrauen und war, als er schließlich Bundeskanzler wurde, ein oft auch recht einsamer Witwer in Rhöndorf bei Bonn. 

Religiosität und tiefe Liebe zur Natur 

Die Nationalsozialisten verfolgten den unbequemen katholischen Politiker. Er wurde nach Unkel verbannt und schöpfte dort viel Kraft aus der Lektüre der Erzählung „Taifun“ von Joseph Conrad, eines seiner liebsten Schriftsteller: „Ich las am Nachmittag dieses Tages und las über den Kampf, den der Kapitän mit dem Sturm führte. Ich las, daß der Kapitän ihn nicht durch seine Klugheit, sondern Geduld und Ausdauer bestand. Das Buch hat mich getröstet und meine Hoffnung neu belebt. Ich habe in den folgenden Jahren noch wiederholt in ganz schlechten, schwierigen Situationen nach ihm gegriffen.“

Ein eigenes Kapitel hat die Tochter den Wertvorstellungen ihres Vaters gewidmet. Als gläubiger Mensch ging er jeden Sonntag in die Kirche. In Rhöndorf wurde ihm später sogar ein eigener Platz zugeteilt, wo er immer kniete. Auch seine Kinder hielt er früh dazu an, regelmäßig die heilige Messe zu besuchen. Libet Werhahn-Adenauer schreibt, daß ihr Vater der festen Überzeugung gewesen sei, daß jeder Mensch religiöse Orientierung brauche, ohne die man nicht gut leben könne und keine Orientierung habe. Diese Orientierung mußte für ihn aber nicht unbedingt katholisch sein. Seine Religiosität verband sich mit einer tiefen Liebe zur Natur, in der er vor allem in der Zeit seiner politischen und privaten Isolation nach 1933 viel Kraft schöpfte.

Das schmale Büchlein ist reich bebildert und läßt sich aufgrund des angenehmen Druckbildes gut und zügig lesen. Besonders berührend fallen die Schilderungen über die Zuflucht des Vaters im Kloster Maria Laach, die Verhaftung der Eltern und über den Tod der Mutter aus. Vergnüglicher wird es bei der Schilderung der Reisen der Tochter mit ihrem Vater. Im romantischen Cadenabbia am Comer See machten Tochter und Vater gemeinsam Urlaub. Und in Frankreich, den Vereinigten Staaten oder in Persien lernte die junge Frau die große, weite Welt kennen. Der sonst oft kühl und herrisch wirkende „Machtmensch“ Adenauer zeigte sich bei diesen Anlässen zugänglich, zu Späßen aufgelegt, als Witwer die Begleitung seiner Tochter genießend.

Im Kapitel „Weihnachten“ schildert Libet Werhahn-Adenauer, wie die große Familie auch bis in die jüngste Gegenwart immer in Rhöndorf zusammenkommt, um gemeinsam zu feiern und sicher auch in Erinnerungen zu schwelgen. „Jedes Jahr am zweiten Weihnachtstag, wenn sich, wie es der Wunsch meines Vaters auf dem Sterbebett war, unsere ganze Familie in Rhöndorf versammelt, entsteht die Vergangenheit gleichsam in der Gegenwart neu“, schreibt die Tochter. 

Wem ist dieses Buch zu empfehlen? Sicher ist es interessant für Vertreter der älteren Generation, die sich vielleicht noch persönlich an den Bundeskanzler der frühen Bundesrepublik erinnern können. Aber zu empfehlen ist es insbesondere auch jüngeren Lesern. Denn sie erleben in Konrad Adenauer einen Politiker, dem es neben allem Streben nach Macht vor allem um Pflicht und Gestaltung ging. Und um eine Politik, die auf festen christlichen Wertvorstellungen gründete. Die selbstbezogene Eitelkeit mancher heutiger Politiker, die sich vor allem in den sozialen Medien inszenieren, war ihm völlig fremd.

Libet Werhahn-Adenauer: Erinnerungen an meinen Vater Konrad Adenauer. Bast Medien GmbH, Überlingen 2019, gebunden, 189 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro