© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/19 / 07. Juni 2019

Umwelt
Wohnen und sterben
Erich Körner-Lakatos

Die Bewohner oberer Stockwerke leben länger als ihre Nachbarn im Parterre. Das fanden Sozialwissenschaftler der Universität Bern heraus. Sie haben dazu Daten aus der eidgenössischen Volkszählung mit der Sterbestatistik verknüpft und sich die anderthalb Millionen Schweizer gegriffen, die in einem zumindest vierstöckigen Wohnhaus leben. Erdgeschoßbewohner hätten ein um 22 Prozent höheres Risiko, an Lungenkrebs zu sterben als diejenigen, die im achten Stockwerk logieren. Das überrascht nicht, denn selbst Feinstaub gehorcht den Schwerkraftgesetzen und sucht eher niedrigere Stockwerke heim. Schon ein Blick auf die nach unten hin stärker verrußten Hauswände bei Straßenkreuzungen bringt diesen Befund ans Tageslicht. Doch Soziologen suchen immer nach kontra-intuitiven Ergebnissen, also nach solchen, die dem Hausverstand widersprechen. Dieser ist sozusagen ihr natürlicher Feind.

Erdgeschoßbewohner leben kürzer, dafür

stürzen sie seltener Kopfüber in den Tod.

Die Schlußfolgerung der Berner Forscher geht also dahin, daß höhernorts die betuchten Zeitgenossen wohnen. Sapperlot! Otto Normalbürger hätten doch glatt vermutet, Millionäre würden eher im Souterrain residieren, während das Sozialamt seine Klientel in zugigen Dachappartements unterbringt, wo es im Sommer kaum auszuhalten, dafür aber im Winter bitter kalt ist. Sollte man jetzt seine Erdgeschoßwohnung kündigen? Die bietet doch zahlreiche andere Vorteile: Geringere Miete, erfrischende Kühle im Sommer oder leichtere Erreichbarkeit im Alter – selbst wenn Fahrstuhl oder Treppenlift streiken. Und: Wer hoch hinauf will, kann tief fallen. Laut unseren Forschern verüben Bewohner höherer Stockwerke vermehrt Selbstmord durch Hinunterspringen. Und zwar rund zweieinhalbmal so oft wie Lebensmüde, deren Wohnung sich auf Straßenniveau befindet. Wie sagten schon unsere Großväter: „Wenn alle Strick’ reißen, häng’ ich mich auf.“