© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/19 / 07. Juni 2019

Vereint in der Trennung
Zwischen Kaffeekränzchen und Biertisch: Wie Feiergäste unbewußt den Frieden der Geschlechter wahren
Bernd Rademacher

Ob beim Nachbarschaftsfest, auf der Geburtstagsparty oder bei der Familienfeier, irgendwann kommt es zu dem Phänomen, daß sich die Geschlechter, wie von unsichtbarer Hand sortiert, separieren. Männer stehen plötzlich zusammen am Bierfaß, Frauen sitzen gemeinsam in der Polster­ecke. Diese unbemerkt stattfindende „Geschlechtertrennung“ wird scherzhaft „Westfälische Reihe“ oder „Sauerländer Runde“ genannt, ist aber nicht regionalspezifisch.

Je größer das Fest, desto eher teilt sich die Gesellschaft nach dem Geschlecht ihrer Mitglieder. Männer fachsimpeln über technische Themen und Sport, Frauen reden über Kinder oder nicht anwesende Bekannte. Das ist keine Böswilligkeit, es kommt unterschiedlichen Kommunikationsmustern entgegen: Männer interessieren lösungsorientierte Debatten, Frauen suchen dagegen eine interessante und freundliche Atmosphäre, in der soziale Netzwerke und Beziehungen diskutiert werden.

Möglicherweise fördert eine Vorliebe der Männer für Stehtische die Entstehung einer „Westfälischen Reihe“. Neu zusammengewürfelte Männergruppen können durch diverse Signale eine Hierarchie festlegen: etwa durch die Reihenfolge des Zuprostens. Interessant ist, daß eine Frau, die sich zu einer Männerrunde gesellt, oft freundlicher aufgenommen wird als ein Mann, der sich zu einem Frauenclübchen setzt. Andererseits erregen Frauen, die sich zu Männern stellen, zuweilen das Mißfallen ihrer Geschlechtsgenossinnen – nach dem Motto „Was will die von den (oft auch „unseren“) Männern, warum kommt die nicht zu uns?“

Der zwischengeschlechtliche Balzdruck entfällt

Die Paderborner Pädagogin Andrea Hötger nimmt die „Westfälische Reihe“ im Landwirtschaftlichen Wochenblatt in Schutz. Der historische Hintergrund sei die Sitzordnung in der Kirche, erklärt sie, die früher nach Geschlechtern getrennt war. Daß sich die Trennung trotz des Wegfalls der Konventionen automatisch vollziehe, liege nach ihrer Einschätzung daran, daß Männer und Frauen sich bei der Wahl der Gesprächsthemen lieber an ihresgleichen orientierten und die eigene sexuelle Gruppe Sicherheit bietet, weil man deren Regeln kennt.

Und natürlich entfalle in der eigenen Gruppe der zwischengeschlechtliche Balz- und Konkurrenzdruck. Männer wie Frauen bräuchten hin und wieder Rückzugsräume, was aber seltsamerweise nur dann gesellschaftlich akzeptiert sei, wenn die maskuline Hälfte der Menschheit außen vor bleibe. Mit einer Frauensauna gibt es beispielsweise kein Problem. Wenn dagegen den weiblichen Mitgliedern der Gesellschaft der Zutritt zu einer Studentenmensur verwehrt wird, folgt alsbald ein #MeToo-Geschrei. Das ist Ausgrenzung, Sexismus und „strukturelle Gewalt“. Dabei bedeute „Gleichberechtigung nicht, das Frau-Sein aufzugeben und in die Rolle der Männer zu schlüpfen“, kommentiert Hötger die Diskussion.

Solange sich Männer und Frauen zwanglos aus eigenem Bedürfnis vorübergehend vom anderen Geschlecht abnabeln, ist das völlig in Ordnung. Kritisch wird es ihrer Meinung nach, wenn eine Weltanschauung oder Religion das vorschreiben will.

Übrigens ist die Bildung von männlichen oder weiblichen „Bünden“ kein Phänomen bestimmter Altersgruppen. Bei Jugendlichen, Mittelalten oder Rentnern ist es gleich zu beobachten. Einen ähnlichen Effekt sieht man häufig, wenn mehrere Paare gemeinsam spazieren gehen. Doch spätestens beim Tanzen oder Essen löst sich die „Sauerländer Runde“ ebenso magisch wieder auf, wie sie entstanden ist.