© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/19 / 14. Juni 2019

Goodbye, Tommy – oder doch nicht?
Militärischer Brexit: Bis Ende des Jahres wollen die Briten fast vollständig aus Deutschland abgezogen sein
Claus-M. Wolfschlag

Brexit oder doch nicht so ganz? Diese Frage ist nicht nur im Vereinigten Königreich noch nicht entschieden, sondern auch beim militärischen Brexit vollzog London Zickzackbewegungen. Nun steht fest, wie es mit den britischen Truppen in Deutschland weitergeht.

Gemäß dem ursprünglichen Plan sollten sie bis 2035 in Deutschland verbleiben und innerhalb dieser Zeit schrittweise reduziert werden. Ihren Standort im niedersächsischen Osnabrück haben die Soldaten aus dem Vereinigten Königreich bereits 2009 geräumt. Im Oktober 2010 verkündete der damalige britische Premierminister David Cameron jedoch einen früheren militärischen Brexit. Plötzlich sollte alles viel schneller gehen. Die noch rund 20.000 hierzulande stationierten britischen Soldaten sollten nunmehr bereits bis 2020 komplett aus ihren Garnisonen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen abgezogen werden. Die konservative Regierung begründete dies seinerzeit mit einer neuen strategischen Ausrichtung. 

Der geänderte Plan wurde zügig umgesetzt. Bis 2015 wurden die letzten niedersächsischen Standorte Celle, Hameln, Bergen-Hohne und Fallingbostel vollständig geräumt. Auch in Nordrhein-Westfalen zogen die Briten aus zahlreichen Liegenschaften ab.

Rückblick: Am Ende des Kalten Krieges 1990 befanden sich noch knapp 800.000 Soldaten ausländischer Mächte auf dem Territorium des wiedervereinigten Deutschland. Im Zwei-plus-Vier-Vertrag wurde auch die militärische Zukunft der Bundesrepublik festgelegt. Demnach mußten die noch rund 400.000 sowjetischen Soldaten bis 1994 vollständig abgezogen werden. Auf dem Territorium der einstigen DDR würden in Zukunft kein ausländisches Militär und keine Nuklearwaffen stationiert, dafür durfte das wiedervereinigte  Deutschland Mitglied der Nato bleiben.

Im Westen verlief der Abzug langsamer. Kanada, Belgien, die Niederlande und Frankreich gaben ihre Stützpunkte vollständig auf. Nur sehr kleine militärische Restbestände existieren heute noch im Rahmen von bi- und multinationalen Nato-Kooperationsprojekten, so beispielsweise der Deutsch-Französischen Brigade oder des 1. Deutsch-Niederländischen Korps. Die USA zogen zwar beachtliche Teile ihrer Truppen ab und übergaben eine hohe Zahl an Standorten, doch bleiben sie weiterhin auf deutschem Boden präsent. Von den 227.000 amerikanischen Militärangehörigen 1990 sind aktuell etwa 35.000 Soldaten in Deutschland übrig. Sie konzentrieren sich weitestgehend auf die südliche Pfalz um Kaiserslautern und die Ramstein Air Base sowie um den Truppenübungsplatz Grafenwöhr in Bayern. 

Sicherheitslage macht weitere Vorposten nötig

Eigentlich sollte auch Nordrhein-Westfalen bis Ende dieses Jahres ohne Truppen aus dem Vereinigten Königreich sein. Doch Anfang 2018 machte London einen teilweisen Rückzieher vom militärischen Brexit. General Nick Carter, seinerzeit Stabschef der britischen Armee, ging mit der Überlegung an die Öffentlichkeit, nun doch einen kleinen Restbestand an Soldaten in Deutschland zu belassen. Nach dem von Carter mitgetragenen Programm „Army 2020“ ist dies Teil der internationalen Umstrukturierung der britischen Streitkräfte. Begründet wurde dieser Schritt mit der veränderten Sicherheitslage, die sich durch die russische Annexion der Krim ergeben habe. Da die britische Armee in Zukunft Entfernungen von 2.000 Kilometern auf dem Schienenweg und auf Straßen möglichst rasch zurücklegen wolle, seien Vorposten zur Lagerung von Munition, Fahrzeugen und Material vonnöten. 

Genannt wurden dabei die Fahrzeug-Basis in Möchengladbach-Rheindahlen und Paderborn-Sennelager mit dem dortigen Truppenübungsplatz. Im Oktober vergangenen Jahres wies Verteidigungsminister Gavin Williamson außer auf Rußland auch auf den Iran und das nordkoreanische Atomwaffenarsenal als Gefahren hin, die die verstärkte weltweite Präsenz britischer Streitkräfte künftig wieder nötig machten. Erhalten bleibt nunmehr der Standort Paderborn; als größter, mit etwa 200 Soldaten, die dort mit ihren Familienangehörgen leben werden. Ebenso nutzen die Briten weiterhin Depots in Möchengladbach und Wulfen samt Wachpersonal. Zudem arbeiten rund 80 britische Flußpioniere in der Mindener Herzog-von-Braunschweig-Kaserne mit Bundeswehrsoldaten zusammen. 

Paderborns Landrat Manfred Müller und Bürgermeister Michael Dreier (beide CDU) äußerten sich erfreut: „Die große Freundschaft und Herzlichkeit ist ja gerade bei der jüngsten Parade ‘Freedom of the City’ deutlich geworden.“ Und Mitte Mai verlieh der Kommandeur des Landeskommandos Nordrhein-Westfalen, Brigadegeneral Torsten Gersdorf, im Auftrag von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) dem Hauptquartier der britischen Streitkräfte in Deutschland zum Abschied das Fahnenband der Bundesrepublik. Bei der feierlichen Zeremonie, dem einem Zapfenstreich ähnlichen „Beating the Retreat“ vor dem Düsseldorfer Landtag, betonten beide Seiten die enge Verbundenheit ihrer Truppen. Daß durch den Brexit die militärische Zusammenarbeit mit Deutschland nicht gefährdet sei, hatte Londons Verteidigungsminister Williamson früher schon klargestellt: „Wir hatten immer historisch starke Verbindungen zwischen Großbritannien und Deutschland. Darauf wollen wir aufbauen.“ 

Doch der konservative Politiker schied Anfang Mai aus dem Amt. Wenig später kündigte auch Premierministerin Theresa May ihren Rücktritt an. Folgt nun – in der Tradition ihrer bisherigen Zickzackbewegungen – die Rolle rückwärts? Oder doch der komplette militärische Brexit? Ein bißchen offen könnte wieder sein, für welchen Weg sich die Briten letztlich entscheiden.