© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/19 / 14. Juni 2019

Kastrieren statt totknüppeln
Das Geschäft mit dem Auslandstierschutz: Wie verfolgten Hunden in Osteuropa wirklich geholfen werden könnte
Martina Meckelein

Süße kleine Racker, die mit ihren großen Welpenaugen vertrauensvoll in die Welt blicken und mit dem Schwanz wedelnd auf verdreckten Holzpaletten rumtapsen. Verängstigte, zitternde alte graue Schnauzen scheinen sich ihrem Schicksal zu ergeben. Als ahnten sie, was auf sie zukommt: ein grausamer Tod durch die Spritze, den Knüppel oder Strom. So beginnen viele Berichte über Hundeschicksale in Tötungsstationen in Spanien, Griechenland oder Rumänien. Sie enden mit der Bitte, einem dieser Tiere doch in Deutschland ein Heim zu geben. Welcher mitfühlende Mensch würde bei diesen Bildern hier nicht helfen wollen? Doch am Auslandstierschutz scheiden sich die Geister. Sollten Straßenhunde nach Deutschland eingeführt werden, oder sollten sie vor Ort, also in ihren Heimatländern, betreut werden? Ist die Kritik an der Einfuhr von osteuropäischen Streunern gar rassistisch? Wie wirkungsvoll ist die Hilfe für die Tiere vor Ort? Die JUNGE FREIHEIT fragte Experten: Was ist der richtige Weg, um den geschundenen Tieren zu helfen?

Kobraeffekt: Lernen von den Schlangenfängern

„Anders als in Deutschland ist das Töten herrenloser Hunde in vielen Ländern der EU erlaubt, zum Beispiel in Rumänien, Frankreich und Spanien“, sagt Lea Schmitz, Sprecherin des Deutschen Tierschutzbundes, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. „Aus Tierschutzsicht ist es natürlich nicht akzeptabel, Tiere zu töten, nur weil sie aus gesellschaftlicher Sicht „zweitklassig“ oder gar „überflüssig“ sind. Zudem trägt die Tötung der Tiere auch überhaupt nichts dazu bei, die Straßenhundeproblematik dauerhaft zu lösen. Entstehende Lücken in der Population füllen sich schnell wieder.“ 

Eine Entwicklung, die als „Kobraeffekt“ bezeichnet wird. Das heißt: Maßnahmen, die ein bestimmtes Phänomen abstellen sollen, verstärken es sogar noch. Der Name bezieht sich auf ein Geschehen während der  britischen Kolonialzeit in Indien. Wegen einer Schlangenplage lobten die Briten ein Kopfgeld auf jedes getötete Reptil aus. Clevere Geschäftemacher begannen, sie zu züchten, enthaupteten die Tiere und kassierten die Prämie. Als die Sache aufflog, strich die Regierung das Geld, und die Schlangenfänger ließen ihre Tiere frei. Folge: Eine noch schlimmere Plage. 

Eine ähnliche Entwicklung ist auch bei Straßenhunden in Rumänien zu beobachten: Durch Entnahme der Tiere, verringert sich kurzzeitig die Population, steigt dann aber rasant an. Denn das Nahrungsangebot wird durch das Töten der Tiere nicht geringer, sondern für einen geraumen Zeitraum sogar größer, was wieder zu mehr Nachkommen führt. „Nach wissenschaftlichen Untersuchungen und unseren jahrelangen Erfahrungen ist das Prinzip „Fangen, Kastrieren, Freilassen“ die einzige nachhaltige und sinnvolle Lösung, um die Straßenhundeproblematik langfristig in den Griff zu bekommen“, erklärt Lea Schmitz. 

Aber die von Wissenschaftlern präferierte Methode wird von Politikern in einigen Ländern nicht umgesetzt. So dürfen in Rumänien kastrierte Straßenhunde nicht wieder freigelassen werden und müssen ihr gesamtes Leben im Tierheim bleiben. Würden sie wieder ausgesetzt, bestünde die Gefahr, daß sie eingefangen und getötet werden. „Das führt natürlich schnell zu einer Überfüllung der Tierheime“, so Schmitz.

Spaten oder Frostschutz – nur billig muß der Tod sein

Szenenwechsel: Die Smeura in Rumänien. Es ist nach Eigenangaben das größte Tierheim der Welt, eine ehemalige Fuchsfarm, 120 Kilometer von Bukarest entfernt. Auf fünf Hektar leben hier 6.000 Hunde, davon rund 400 Welpen. Bezahlt wird das Tierheim über Spenden. Der Verein Tierhilfe Hoffnung betreibt das Heim, hat 80 Mitarbeiter und verfüttert pro Tag 2,5 Tonnen Futter, sein Leiter ist Matthias Schmidt. Gegenüber der JF erklärt er, wie sich ihm die Situation in Rumänien darstellt. „Das Hauptaugenmerk des Auslandstierschutzes muß im Land, also Rumänien liegen“, sagt er dieser Zeitung. „Deshalb präferieren wir flächendeckende Kastrationen. Nach einer Erholungsphase werden die Hunde wieder dort ausgesetzt, wo wir sie eingefangen haben. Diese sogenannten Platzhalter müssen zurück in ihr altes Revier gesetzt werden, damit nicht unkastrierte Tiere nachrücken. In 13 Jahren, von 2000 bis 2013 kastrierten wir 33.000 Straßenhunde in der Stadt Pitesti und Umgebung. Doch dann erließ die rumänische Regierung am 26. September 2013 ein Gesetz, nach dem alle Streuner getötet werden.“ Hintergrund dafür war der Tod eines vierjährigen Jungen 2013 in Bukarest. Er soll von Straßenhunden regelrecht zerfleischt worden sein. Angeblich wurde von 51.000 Straßenhunden allein in Bukarest die Hälfte getötet. Der MDR berichtete, daß die Stadtverwaltung von 2013 bis 2015 dafür drei Millionen Euro ausgegeben hätte. Medien vermuten einen Korruptionsskandal. Aktuelle Zahlen werden nicht mehr von den Behörden geliefert. 

„Die Methode lautet: Fangen, beherbergen, töten“, sagt Schmidt. Wobei, so erklärt er, unter der sogenannten Beherbergung eine 14tägige Unterbringung der Hunde ohne Wasser und Nahrung in Verschlägen zu verstehen sei. Schmidt: „Nach dieser Frist werden die Tiere mit Frostschutzmitteln totgespritzt oder totgeschlagen.“

Die Tierrechtsorganisation Peta macht ebenfalls auf das „Euthanasiegesetz 258/2013“ aufmerksam. In der Hintergrundinformation zu einer Petition gegen die Hundetötung, die die Organisation ins Netz gestellt hat, bietet sie ebenfalls als Motiv für die Massentötungen das Geld an. Damit machten Kommunalpolitiker und Hundefänger ein gutes Geschäft. Peta geht von bis zu 250 Euro Kopfgeld pro Hund aus.

Sandra Lück ist in der Tierschutzpartei die Expertin für das Thema Auslandstierschutz. Gegenüber der JF sagt sie: „Zweckentfremdete EU-Gelder werden in Rumänien auf kommunaler Ebene in den Hundefang investiert.“ Doch die von Peta genannten Summen hält sie für zu hoch. „Da sind Kopfpauschalen höchstens bis zu 200 Euro pro gefangenem Hund drin.“

Smeura-Chef Schmidt kennt die genaue Vorgehensweise: „Das sogenannte Straßenhundemanagement untersteht in Rumänien der Müllabfuhr, also den Kommunen. Aus drei verschiedenen EU-Fördertöpfen, nämlich Tourismus, Tollwutprävention und Infrastruktur werden die Tötungsstationen, und nur so kann man hier die staatlichen Tierheime bezeichnen, finanziert.“ Laut Schmidt beträgt die Fangpauschale für einen Hund fünf Euro. „Das ist nachvollziehbar“, sagt er der jungen freiheit, „berechnet man das Fahrzeug, zwei Männer und die Gerätschaften. Dazu gibt es dann drei Euro Beherbergungspauschale pro Tag, macht pro Hund 72 Euro. Für die Einschläferung gibt es dann noch einmal 72 Euro pro Hund.“ Macht 149 Euro.

Es ist verständlich, daß Tierheimchef Schmidt unter diesen Umständen sagt: „Ich bin ein großer Befürworter davon, rumänische Straßenhunde nach Deutschland zu geben. Da haben sie die besseren Zukunftsperspektiven.“ Und es ist um so redlicher, daß er auch sagt: „Kritikern dieses Hunderettungstransportes allerdings Rassismus zu unterstellen, halte ich für unseriös.“

Genau das passierte Anfang des Jahres. Wieder einmal erschütterte ein Skandal den altehrwürdigen Hamburger Tierschutzverein von 1841. Diesmal ging es nicht um Unterschlagungen im Wert von weit über hunderttausend Euro, sondern um Kritik an den Arbeitsumständen im Verein und dem dazugehörigen Tierheim Süderstraße. Darüber hinaus prangerten Insider die Einführung von 576 Straßenhunden aus dem Ausland an. Die Vorwürfe bezogen sich nicht nur auf die enorme Anzahl der Tiere, sondern auch auf die unzulänglich ausgefüllten Begleit- und Impfpapiere. Die so angegriffene Vereinsspitze konterte mit Rassismusvorwürfen (die JF berichtete). Solche Vorwürfe verhärten die Fronten – den Tieren helfen sie nicht. 

Auch deutsche Tierheime verdienen am Hundeleid

Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten aus Hamburg hält im Gegensatz zu Tierheimchef Schmidt nichts davon, Hunde nach Deutschland zu importieren. „Wir vertreten die Meinung, daß unsere Tierheime in Deutschland voll sind“, sagt Kampagnenverantwortliche Daniela Schwarz. Genauso wie der Deutsche Tierschutzverein präferiert Vier Pfoten die Kastrationsprogramme in den Herkunftsländern. Denn die finanzielle Situation der rund 1.400 deutschen Tierheime, Gnadenhöfe und Pflegestellen ist prekär. Tierheime übernehmen kommunale Pflichtaufgaben, indem sie Fundtiere und beschlagnahmte Tiere aufnehmen. Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen geht hervor, daß die Aufnahmekapazität bundesweit für Hunde bei rund 13.300 Plätzen und die für Katzen bei rund 24.000 läge, aber: „Besondere Probleme würden den Tierheimen die Überfüllung und die unzureichende Kostenerstattung für die Unterbringung bereiten“, heißt es im Bericht. Dies führe zu einer kritischen Finanzlage vieler Heime. Die Folge sei ein Investitionsstau bei Sanierungen oder Modernisierungen. Denn abgesehen von Mitgliedsbeiträgen, Spenden und Erbschaften, zahlen die Kommunen den Tierheimen für die Unterbringung und Versorgung der Fundtiere Pauschalen, die bei weitem nicht kostendeckend sind. Der deutsche Tierschutzbund weist darauf hin, daß nur 25 bis 30 Prozent der Kosten durch die Kommunen beglichen würden.

Wenn also viele deutsche Tierheime den Import der Hunde aus dem Ausland unterstützen, muß das auch finanziert werden, aber von wem? Für die Einfuhr und Vermittlung der Tiere gegen eine Schutzgebühr brauchen Tierschutzvereine eine Erlaubnis nach Paragraph 11 des Tierschutzgesetzes durch die zuständigen Behörden in Deutschland, zum Beispiel das Veterinäramt. Die Tierschutzorganisationen führen dann via Auto von Rumänien die Überführungen nach Deutschland durch.

Der Chemnitzer Tierschutzverein bezieht gegen den Streuner-Import vehement Stellung auf seiner Internet­seite: „Die Rettung von Hunden aus Tötungsstationen ist zweifelsfrei ehrenvoll, aber dennoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, mit dem sich bedauerlicherweise viele Tierheime und Tierschutzvereine finanziell über Wasser halten.“ Denn die finanziellen Belastungen lägen auf seiten der Tierschützer vor Ort oder der späteren Besitzer der Hunde. Pflege, Kastration und Transport würden oftmals eben nicht von den hiesigen Tierheimen finanziert. Smeura-Chef Matthias Schmidt klingt sehr diplomatisch, wenn er, konfrontiert mit der Chemnitzer Sichtweise, sagt: „Ein gutes Tierheim gibt einen Teil des Geldes wieder an den Auslandstierschutz zurück – um weitere Kastrationen zu ermöglichen.“

 Doch der Chemnitzer Tierschutzverein kritisiert darüber hinaus auch die Rolle der deutschen Tierschützer. „Den Tierschutzorganisationen entstehen dabei fast keine Kosten, trotzdem werden oftmals Schutzgebühren in Höhe von 250 bis 400 Euro verlangt.“

Wenn es also nur um Geld geht, wäre es doch ein erster Schritt, daß die EU den Geldhahn zudrehte. Smeura-Chef Schmidt sagt: „Wir haben die EU damit konfrontiert – seit Jahren keine Reaktion.“ Auch diese Zeitung fragte bei der EU telefonisch und per E-Mail nach. Unsere Anfragen blieben unbeantwortet.