© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/19 / 21. Juni 2019

Sie tanzt noch einen Sommer
Mit vorgezogenen Neuwahlen bis Weihnachten rechnen so gut wie alle. Doch wer kann mit wem?
Matthias Matussek

Mit einer SPD in der Kernschmelze – in Sachsen kämpft sie bald um die Fünf-Prozent-Marke – und einer durch die ewige Kanzlerin auf prognostizierte 25 Prozent flach und platt gesessenen einstigen Volkspartei CDU sind die nun fieberhaften Pulsmessungen durch die Meinungsforschungsinstitute ein nicht unkomisches Schauspiel. Ungeduld! Es kann „denjenigen, die schon länger hier leben“ (Angela Merkel), jetzt nicht schnell genug gehen, die GroKo vom Tisch zu fegen.

Daß eine Neuwahl noch vor Weihnachten ins Land gehen wird, damit rechnen so gut wie alle Lager, also: Wer kann noch, und wenn ja, mit wem? Von Parteien mag man eigentlich kaum noch reden, denn deren Programme mischen sich wie zerlaufende Wasserfarben, nimmt man die konservative AfD aus, deren Vorstellungen von Politik hartnäckig an das kantenscharfe CDU-Programm aus den frühen Achtzigern erinnern, mit dem das Original nichts mehr zu tun haben möchte.

Wie konfus und hektisch nun die einst Konservativen nach der Zauberformel suchen, führte jüngst die im Tagesspiegel vorpreschende Bildungsministerin aus Kiel, Karin Prien, vor, die die CDU gern „gleichzeitig bürgerlicher und progressiver“ hätte, also die reichlich abgehetzte eierlegende Wollmilchsau noch einmal über die Plakatwände und durch die Wahlkampfarenen hinken lassen möchte. Völlig hypnotisiert durch die Umfragehochs der Grünen mit ihrem mobilisierenden quasireligiösen Endzeitwahn namens Klimakatastrophe, die sich – bei aller gebotenen Vorsicht, die man dem Umfragehype entgegenbringen sollte – vor die Christdemokraten geschoben haben, möchte Prien mit ihrer CDU eine „nachhaltige, sozial und ökologisch gerechtere Chancengesellschaft“ ansteuern. Von christlichen Werten ist nicht die Rede.

Was den Spagat zwischen Grünen und Liberalen in eine einzige Formel packt, denn das wäre wohl die einzige Chance: gleichzeitig den Linksgrünen und den Marktwirtschaftlern Stimmen abjagen. Hier dreht die eierlegende Wollmilchsau dann wohl endgültig durch, schaut links, schaut rechts, schwankt hin und her und bricht erschöpft zusammen.

Unglücklicherweise erinnert Prien in ihrem Aufsatz an den Aufbruch der CDU in den frühen achtziger Jahren, als die von Merkel später aus dem Weg geräumte CDU-Legende Kohl noch die „geistig-moralische Wende“ propagierte, neudeutsch: die Diskurshoheit von den Linken zurückerobern wollte.

Und dabei ist noch gar nicht ausgemacht, wer nun in den Ring steigt, denn daß es mit einer „asymmetrischen Demobilisierung“ à la Merkel („Sie kennen mich“), die Prien im nachhinein „genial“ nennt, nicht mehr klappen wird, ist beschlossene Sache. Damals konnte die Wollmilchsau noch im Stall ausschlafen.

Schwarz-Grün also? Da werden die Wähler wohl gleich dahin laufen, wo das Klavier steht, nämlich an der CDU vorbei zu den Öko-Phantasten. Wird die vorsichtig nach rechts tastende AKK ins Rennen geschickt? Der kantenlose Armin Laschet? Oder tritt Friedrich Merz aus der Kulisse?

Das andere zwar sehr unwahrscheinliche Koalitions-Lager aus Rot-Rot-Grün, das es rechnerisch kaum ohne die FDP schaffen wird, wäre ein weiteres Unding; besonders für die FDP, eine Art Jamaika unter wesentlich erschwerteren Bedingungen als beim letzten Versuch, denn es müßte unter grünem Diktat verhandelt werden, und Liberalen-Chef Christian Lindner würde sich nun erst recht unglaubwürdig machen, was ihm aber möglicherweise egal wäre, wenn es nur zum Sprung an die Futtertröge diesmal reicht (wobei er zumindest so tun würde, als ob er der alle Prinzipien niedertrampelnden Wollmilchsau einen kräftigen Tritt in den Hinterschinken geben würde).

In beiden Fällen hätte das Land eine deutlich linkere Regierung zu erwarten. Also ein Aufbruch in die genau falsche Richtung, in die der Kühnert-Enteignungs-Flausen, der humanitären Universalisten und Weltumarmer, der Genderkonstrukteure und Deutschland-Verächter (Robert Habeck: „Ich wußte mit Deutschland noch nie etwas anzufangen“), der Verbotsspezialisten und wohlstandsverwahrlosten Eventgeneration mit ihren schuleschwänzenden Kinderkreuzzüglern.

Bei all diesen Rechnereien ist vorausgesetzt, daß eine Koalition mit der AfD ausscheidet, denn die gilt, trotz ihrer rund acht Millionen Wähler, demokratisch als nicht salonfein. Und man wird sich erneut auf einen Wahlkampf einstellen müssen, der dieser Partei das Anmieten von Hallen oder Hotels aus Angst vor linken Vandalen erschwert, auf zerrissene Plakatwände und Wahlkampfstände unter Polizeischutz, auf ein Trommelfeuer aus Beleidigungen und auf Talkshows mit schon reflexhaften linkspopulistischen Beschuldigungen der Rechtsradikalität.

Allerdings: In den vor uns liegenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen wird diese Partei, die einzige, die die Sorgen über unkontrollierte Migration und innere Sicherheit der einfachen Leute ernst nimmt, sowie die einzige, die nicht den kalkulierten panischen Endzeit-Offenbarungen der Eliten aus dem Buche Greta nachgibt, sondern eher praktische Ziele verfolgt (Bildung, Familie), mächtig auftrumpfen.

Und allerdings: Schon jetzt finden es einige Sozialdemokraten wie Sigmar Gabriel ziemlich sexy, was Mette Frederiksen in Dänemark mit ihren Sozis vorgeführt hat: ein Wahlerfolg, der durch ein strenges migrationskritisches Programm möglich wurde, ohne die sozialen Nöte zu vergessen. Also mit einem AfD-Programm.

Die bittere Vorhersage in dieser an Prophetien reichen Zeit: Dieses Land wird wohl Klimahysterie und locker geknüpfte Koalitionen einer stümperhaften Linksregierung eine Zeitlang erdulden müssen, bevor es zur Besinnung kommt.