© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/19 / 21. Juni 2019

„Schlimmeres verhindert“
EU-Parlament: 2014 schickte die AfD sieben Abgeordnete nach Brüssel – welche Bilanz ziehen sie?
Hinrich Rohbohm

Sie waren die ersten AfD-Abgeordneten in einem überregionalen Parlament: Bernd Lucke, Hans-Olaf Henkel, Bernd Kölmel, Beatrix von Storch, Ulrike Trebesius, Joachim Starbatty und Marcus Pretzell. Jeder von ihnen betrat damals, nach der Europawahl 2014, politisches Neuland. „Wie ein Sextaner“ habe er sich gefühlt, sagte Joachim Starbatty damals im Gespräch mit unserer Zeitung. 

Und heute? „Es war schon eine gewinnbringende Zeit“, zieht der emeritierte Volkswirtschaftsprofessor Bilanz. Eine Zeit, die der 79jährige sogar als „Krönung seines Lebens“ bezeichnet. Jetzt warten auf ihn „viele interessante Buchprojekte“, wie er sagt. Auch die Politik hat er noch nicht abgeschrieben. „Mit Bücherschreiben allein fühle ich mich nicht genug ausgelastet.“ Und wie lief es für ihn im Parlament? „Den EU-Kommissaren habe ich da doch manches Mal erfolgreich in die Suppe spucken können. Die haben den Euro als einzige Erfolgsgeschichte verkauft, wir konnten mit Zahlen belegen, daß dem nicht so ist.“ Das Parlament sei in seinem Wesen „auf Zentralisierung ausgerichtet“.

Das sieht auch Hans-Olaf Henkel so. „Ich halte das EU-Parlament in der jetzigen Form für gefährlich, es treibt uns in den Zentralismus.“ Beide, Henkel und Starbatty, verbindet inzwischen eine „gewachsene persönliche Freundschaft“.Seine Zeit in Brüssel und Straßburg faßt der 79 Jahre alte ehemalige Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie so zusammen: „Wir konnten nicht viel bewegen, dafür aber Schlimmeres verhindern.“ Etwa, daß die deutsche Autoindustrie beim Abgasskandal „in Sippenhaft“ genommen wurde. Auch bei den Energiesparzielen habe er mit dafür sorgen können, daß der Industrie Luft zum Atmen bleibe. Die größte Katastrophe sei für ihn der Brexit gewesen und daß dieser nicht verhindert worden sei.

Zu seiner Erfolgsbilanz zählt er ausdrücklich auch den Rauswurf von Beatrix von Storch und Marcus Pretzell aus der EKR-Fraktion. „Mit solchen Typen wollten wir einfach nicht mehr gesehen werden“, nimmt er dabei kein Blatt vor den Mund. Aus den sieben wurden fünf Abgeordnete, heute ist Beatrix von Storch als einzige der 2014er-Mannschaft nach wie vor in der AfD. In Brüssel habe man durchaus etwas bewegt, Akzente gesetzt – „etwa beim Thema ‘Gender’“ –, sagt sie im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Insgesamt habe sich seitdem der Wind politisch gedreht, sei der Block der EU-Kritiker in Brüssel größer geworden.

Kölmel plädierte für Sparsamkeit – vergeblich 

Von Storch wechselte nach ihrem Rauswurf zu Nigel Farages EFDD-Fraktion, Pretzell zu Marine Le Pens ENF. Das war 2015. Jenes Jahr, in dem die AfD ihren Gründer und Vorsitzenden Bernd Lucke abwählte. „Wir hatten die große Chance auf eine neue Politik. Heute ist die AfD leider eine Partei geworden, mit der niemand etwas zu tun haben möchte“, bedauert der 56 Jahre alte Professor für Volkswirtschaft. 

Lucke sieht sich als Kritiker der gegenwärtigen EU-Politik, nicht als EU-Gegner. Die großen politischen Themen würden zumeist am Parlament vorbeilaufen. „Nur etwa zehn Prozent der parlamentarischen Arbeit setzen sich mit den großen Themen auseinander“, stellte er während seiner Abgeordnetentätigkeit fest. Als besonderen Erfolg sieht er vor allem die von ihm mit auf den Weg gebrachte Verfassungsklage gegen die Geldpolitik der EZB. „Das Urteil steht noch aus, aber es hängt wie ein Damoklesschwert über der EZB. Obwohl sie noch immer expansive Geldpolitik für nötig hält, greift sie jetzt zu anderen Instrumenten als zur verbotenen monetären Staatsfinanzierung.“ Bernd Lucke wird nun wieder an seine alte Wirkungsstätte, die Universität Hamburg, zurückkehren. Ob man ihn noch einmal in der Politik wiedersehen wird, läßt er offen. „Derzeit gibt es da von mir keine Überlegungen.“

Auch Bernd Kölmel wird wieder an seine alte Arbeitsstätte beim Landesrechnungshof in Karlsruhe zurückkehren. Seine Bilanz: ernüchternd. „Die Situation ist noch dramatischer als vor fünf Jahren.“ Migrationskrise, Energiewende und Eurokrise stellten Europa vor existentielle Probleme. „Im EU-Parlament gibt es ein ‘Weiter so’ nach dem Motto vorwärts immer, rückwärts nimmer.“ Im Haushaltsaussschuß habe er für mehr Sparsamkeit plädiert – vergeblich. Erst als er sich für eine Maßnahme einsetzte, für die die EU mehr Geld ausgeben mußte, war er erfolgreich. „Ich plädierte für die Erhöhung der Mitarbeiterzahl bei Frontex, damit die Außengrenzen besser geschützt werden.“ Resultat: Die Stellen seien von 1.500 auf rund 10.000 Mitarbeiter aufgestockt worden. 

Ein Vorschlag Kölmels zur Gründung eines Fonds für die Opfer von Terroranschlägen wurde später von der EVP übernommen und mit ihm gemeinsam umgesetzt, ein von ihm initiiertes Pilotprojekt „Bäume für Afrika“ für nachhaltiges Wirtschaften ebenfalls realisiert. Ein politisches Comeback ist für den 60jährigen durchaus denkbar. Seine Hoffnung: eine neue politische Kraft der Mitte. Selbst eine Rückkehr zur AfD schließt er nicht aus, sollte es der Partei gelingen, sich von ihrem radikalen Flügel zu trennen. 

Endgültig mit der Politik abgeschlossen hat dagegen Ulrike Trebesius. „Das Arbeiten in der freien Wirtschaft macht einfach mehr Spaß“, sagt die 49 Jahr alte gelernte Bauingenieurin. Der Einfluß des Europaparlaments sei nach wie vor gering, vieles bestimme die deutsche Politik selbst. „Gott sei Dank“, wie sie sagt. „Hinzu kommt, daß man als Opposition besonders wenig bewirken kann.“ Vieles würde mit der Mehrheit von EVP und Sozialisten beschlossen, Grüne und Liberale würden sich zumeist anschließen. „Die EU-Kommission bereitet ja teilweise durchaus vielversprechende Entwürfe vor.“ Erst die EU-Parlamentarier mit ihren „Ideologien“ würden Entwürfe oftmals derart verwässern, daß sie sich zum Problem entwickelten.

„Viele da haben noch nie in der freien Wirtschaft gearbeitet“, kritisiert Trebesius, die davon überzeugt ist, daß ein wenig mehr Berufserfahrung so manchem EU-Parlamentarier guttun würde. „Da gibt es Leute, die sind erst 26 oder 27 Jahre alt, haben außerhalb von Schule und Hochschule noch keine Erfahrungen sammeln können und vorher noch nie ein Büro von innen gesehen.“ Mit Joachim Starbatty, Hans-Olaf Henkel und Bernd Kölmel verbindet sie auch über die parlamentarische Arbeit hinaus eine Freundschaft. Noch in diesem Sommer wird sie gemeinsam mit den drei Männern in einem Boot über den Bodensee segeln.