© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/19 / 21. Juni 2019

Ländersache: Sachsen
Umkrempeln an der Neiße
Paul Leonhard

Personell ist alles einfach: Die Hochschule der Sächsischen Polizei in Rothenburg/Oberlausitz hat mit dem bisherigen Referatsleiter im Innenministerium, Carsten Kaempf, einen neuen Rektor erhalten. Das Übel liegt aber tiefer. „Der sächsischen Polizei fehlt weiterhin ein definiertes gemeinsam getragenes Führungs- und Selbstverständnis. Es kann deshalb auch nicht gelehrt werden.“ Zu dieser Erkenntnis ist eine Kommission unter Vorsitz des Brigadegenerals a.D. Armin Staigis gekommen, die im Auftrag des Innenministeriums die Ausbildung an der Hochschule untersucht hat. 

Zuvor war die seit 1994 bestehende Einrichtung wiederholt in die Schlagzeilen geraten, weil Kommissaranwärter bei Prüfungen betrogen, andere randaliert hatten, ein Hochschullehrer an einer Schleusung beteiligt gewesen soll. Ein gewaltiger Imageverlust für die sächsische Polizei, wie Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar einräumt. „Ermittlung und Bewertung von möglichem Fehlverhalten einzelner Bediensteter sowie die Überprüfung von abgelegten Klausuren“ seien aber nicht Gegenstand der Untersuchung gewesen, heißt es in dem 191 Seiten umfassenden Abschlußbericht. Die straf- und disziplinarrechtliche Aufarbeitung sei Aufgabe der Staatsanwaltschaft und der Polizeidirektion Görlitz. 

Als „völlig aus der Zeit gefallen“ bezeichnet der Bericht den Zustand der Infrastruktur und der Ausstattung, insbesondere an den Polizeihochschulen in Rothenburg und Bautzen, aber auch in Leipzig und Chemnitz. Notwendige Investitionen seien seit Jahren nicht vorgenommen worden: „Es fehlt an allem fast überall.“ Selbst im Vergleich mit anderen öffentlichen Arbeitgebern in der Bundesrepublik seien die sächsischen Einrichtungen „rückständig“. Es gebe keine strategische Personalführung. Der Polizei fehle ein Leitbild, wie es sich die Bundeswehr gegeben habe, konstatiert der frühere Brigadegeneral. Auch passe die Bewerberkampagne „Verdächtig gute Jobs“ – ein Slogan, auf den das Innenministerium bisher stolz war – nicht zum Selbstverständnis von Polizisten. Dieses solle sich eher von dem Wort „Berufung“ herleiten. Außerdem sollte sich die Polizei für Bewerber aus Polen und Tschechien öffnen. Fazit: Der Freistaat muß die Polizeiausbildung komplett umkrempeln.

Diese Einschätzung ist eine gewaltige Ohrfeige für Innenminister Roland Wöller (CDU), dem die Polizeihochschulen unmittelbar unterstellt sind. Zumal die Probleme nicht neu sind: Eine Erhöhung der Attraktivität der an der Grenze zu Polen liegenden Hochschule, Personalentwicklungskonzepte, ein modernes zeitgemäßes Studieren – das alles fordert die Gewerkschaft der Polizei Sachsen seit Jahren. Positiv sehen die Gewerkschafter, daß künftig „Haltung und Charakter eine größere Rolle“ spielen sollen. Bislang stand dies hinter der körperlichen und der fachlichen Eignung zurück. 

Cathleen Martin, Landeschefin der Deutschen Polizeigewerkschaft, berichete in der Sächsischen Zeitung von zwei an einer Polizeiausbildung interessierten Mädchen, die beim Sporttest durchgefallen waren: „Sie hatten zu große Brüste. Bei den Liegestützen muß in Sachsen zuerst das Kinn den Boden berühren. Das tat es nicht.“ Die jungen Frauen bewarben sich anschließend erfolgreich in Sachsen-Anhalt. Eine weitere Absenkung der körperlichen Anforderungen lehnte die Kommission aber ausdrücklich ab.