© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/19 / 21. Juni 2019

Freunde werden Feinde
„Machtverschiebung“: Der langjährige Hauptstadtkorrespondent Günter Bannas liefert eine präzise Analyse des Berliner Politikbetriebes
Jörg Kürschner

Es war der CDU-Konservative Christean Wagner, der die Parteispitze nach der Bundestagswahl 2009 eindringlich warnte. „Die Probleme der SPD von heute können die der Union von morgen sein“. Zehn Jahre später scheint der einstige hessische Fraktionschef recht zu bekommen. Nach der SPD befindet sich auch die CDU im freien Fall, nicht nur in den Umfragen, sondern auch bei Wahlen. Auf mickrige 28,1 Prozent kamen CDU/CSU bundesweit bei der Europawahl vor einem Monat.

Günter Bannas, renommierter Hauptstadtkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und kurz auch der Süddeutschen Zeitung, hat den Abstieg der Unionsparteien aus nächster Nähe beobachten können. „Knorrige Konservative waren nicht mehr gefragt“, resümiert der Autor die pragmatisch orientierte Amtszeit (2000–2018) der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel, die inhaltlich keinen Wert auf den nationalkonservativen Flügel gelegt habe. „Das Mantra der Unionsparteien, rechts von ihr dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben, galt nicht mehr.“ Ergebnis der Merkelschen Ignoranz und Arroganz war der Aufstieg der AfD, die bald nach ihrer Gründung 2013 in sämtliche Parlamente einzog, den Bundestag eingeschlossen.

Die Mächtigen aus der Nähe erlebt

Es verwundert, daß der bestens informierte Autor die AfD nur am Rande erwähnt, hat deren Erfolg doch entscheidend zu den Umbrüchen des Parteiensystems beigetragen. Wie vergleichsweise Anfang der achtziger Jahre die Grünen, deren Aufstieg Bannas mit einiger Sympathie begleitet. Doch wäre der Vorwurf, hier habe nur einer der vielen grün gestrickten Journalisten seine Erinnerungen vorgelegt, höchst ungerecht. Der Verfasser enthält sich weitgehend politischer Wertungen, überzeugt vielmehr durch präzise Beobachtung und Analyse.

Zwei Beispiele. Das Grundgesetz kennt das Amt eines Vizekanzlers nicht, trotz über 60 Änderungen seit 1949. Doch die verfassungspolitische Wirklichkeit sieht anders aus. Seit den Zeiten des Vizekanzlers Franz Müntefering (SPD) gibt es in dem Ministerium, das der Stellvertreter des Kanzlers leitet, den Posten eines beamteten Staatssekretärs, der sich um die Koordinierung der Regierungsschäfte des kleineren Koalitionspartners zu kümmern hat. Neben dem Kanzleramt entstand ab 2005 ein „Vizekanzleramt“, derzeit beheimatet im Leitungsbereich von Finanzminister Olaf Scholz (SPD).

Zu beobachten war des weiteren im vergangenen Herbst eine beispiellose Schlappe Merkels, da die Unionsfraktion gegen ihren ausdrücklichen Wunsch Ralph Brinkhaus zum neuen Vorsitzenden wählte. Der langjährige Amtsinhaber und Merkel-Getreue Volker Kauder fiel krachend durch. Die Bundeskanzlerin gestand ihre Niederlage ein und versicherte, sie wolle Brinkhaus unterstützen, „wo immer ich das kann“. Welch ein verqueres Verfassungsverständnis, ist doch die Regierungschefin auf die Unterstützung des Fraktionsvorsitzenden angewiesen, um die Regierungsarbeit geräuschlos zu organisieren.

Anschaulich schildert der Verfasser etwa die emotional aufgeladene Kontroverse über den Bonn-Berlin-Umzug von Parlament und Regierung. Kein Zweifel, der Autor wäre lieber am Rhein geblieben. An der Spree wurde die Politik hektischer, auch oberflächlicher, wie er zu Recht feststellt. Den Kontrast bildeten in der historischen Bundestagssitzung die staatsmännische, entscheidende Rede Wolfgang Schäubles (CDU) und die weinerliche Debatten-Eröffnung durch Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU). „Laßt dem kleinen Bonn Parlament und Regierung“, setzte sich am 20. Juni 1991 nicht durch.

Da war Bannas schon zehn Jahre Korrespondent eines Leitmediums, das bei Politikern aller Couleur hoch im Kurs steht. Müntefering, Gerhard Schröder, Helmut Schmidt (alle SPD), Otto Schily (Grüne, später SPD), Joschka Fischer (Grüne) ... Bannas hat die Mächtigen der rot-grünen Ära aus der Nähe erlebt und weiß ihre Charaktere und Eigenarten treffend zu beschreiben. Schröder zählte Bundespräsident Horst Köhler nicht zu seinen Freunden, Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel pflegte seine Abneigung gegenüber Andrea Nahles, der jüngst zurückgetretenen Nach-Nachfolgerin.

Eher knapp handelt Bannas die FDP ab, die immerhin 45 Jahre als Regierungspartei die Geschicke des Landes bestimmt hat. Für die Unionsparteien war der FAZ-Journalist im Redaktionsalltag nicht zuständig. So wird der Dauerkanzler Helmut Kohl (1982–1998) trotz seiner entscheidenden Rolle bei der Wiedervereinigung eher indirekt erwähnt, etwa als anfänglicher Förderer von Angela Merkel oder in seinem gespannten Verhältnis zu seinem letztlich verhinderten Kanzler-Nachfolger Schäuble.

Über vier Kanzler (Schmidt, Kohl, Schröder, Merkel) hat Bannas berichtet und kennt daher die unabdingbaren Voraussetzungen wie Machtbewußtsein und Ausdauer für dieses kräftezehrende Amt. Zusammengefaßt: „Er hat zu gewärtigen, daß Freunde zu Feinden werden. Üble Nachreden darf er nicht fürchten“. Ein hoher Preis für den Eintrag ins Geschichtsbuch.

Angela Merkel sah sich 1998, am Ende der Ära Kohl, zu der Aussage veranlaßt, „ich will kein halbtotes Wrack sein, wenn ich aus der Politik aussteige“. Seit nunmehr 29 Jahren ist die bald 65jährige in der Politik, seit 2005 als Kanzlerin. 

Günter Bannas:  Machtverschiebung. Wie die Berliner Republik unsere Politik verändert hat. Propyläen Verlag, Berlin 2019, gebunden, 336 Seiten, 24  Euro