© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/19 / 21. Juni 2019

Pankraz,
M. O’Sullivan und die Spur des Profits

Bücher über den Kapitalismus gibt es zur Zeit wie Sand am Meer, es sind meistens grimmige Anklageschriften gegen „geile Gewinnmacherei, entfesselten Egoismus, rücksichtslose Profitwirtschaft“.  Das Wort „Profit“ ist zum Unwort des Jahrzehnts geworden. Selbst überzeugte junge  Konservative sprechen verächtlich von ihm. Das Streben nach Profit, so heißt es allenthalben,  werde von den zur Zeit Regierenden angebetet wie ein gräßlicher Fetisch. Man opfere ihm blindlings alles übrige, seien es nun einstmals sichere Renten oder noch vorhandene nationale Eigenarten oder simple menschliche Anständigkeit.

Die „Lehren von 1989“, die der Untergang des Kommunismus geliefert hat, sind verblaßt. Diese Lehren liefen bekanntlich darauf hinaus, daß ein Gemeinwesen, das den Faktor Profit  ignoriert und unterdrückt, zum Scheitern, zur Verrottung und Zerbröselung verurteilt ist. Jeder Staat, der funktionieren und blühen will, braucht dazu einen ordentlichen Kapitalismus, ein risikofreudiges, in seinen Dispositionen möglichst freies Unternehmertum, das Chancen des Profitmachens erkennt und ausnützt und seinen Profit auch ohne Gesetzesverletzung und schlechtes Gewissen nach Hause bringen darf.

Wie gesagt, von diesen Lehren scheint in der Wirtschaftswissenschaft, zumindest in der europäischen,  nichts mehr übtiggeblieben zu sein. Die irische, zur Zeit in Genf lehrende (und sehr beredsame) Wirtschafsthitorikern Mary O’Sullivan (52) war da bisher die große Ausnahme. Wird auch sie jetzt etwa wacklig? In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung konstatiert sie in merkwürdigverhängtem Tonfall:


Wenn wir den Anfang des Kapitalismus bestimmen wollen, müssen wir wissen, wann das Streben nach Profit die wichtigste Motivation der Ökonomie wurde. Aber wir wissen noch immer nicht, was Profit ist, woher er kommt und kam: von der Produktionsinnovation, der Arbeitsausbeutung, vom Markt? (…) In  den Wirtschaftswissenschaften sind die Profite des Kapitalismus ein Tabu: Man tut noch immer so, als ob es sie nicht gebe, auch wenn sie in den letzten Jahren explodiert sind.“

Dazu wäre festzuhalten: Nicht die große Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler macht ein Tabu aus dem Profit, sondern allenfalls die Regierenden, die mit den Profitmachern zurechtkommen müssen. Die Wirtschaftswissenschaft ihrerseits kann sich, wie schon erwähnt, gar nicht genug tun mit der Gleichsetzung von Kapitalimus und Profiterlangung, und sie hat damit – abgesehen von der von vornherein negativen Bewertung des Profits – recht. Kapitalismus und Profitmachen sind identisch, meinen im Grunde dasselbe. Nicht zuletzt die Arbeiten von Frau O’Sullivan bezeugen das.

Man kann es auch so ausdrücken. Den Kapitalismus als ausgedachtes „System“ wie etwa den Sozialismus gibt es in der ökonomischen Realität gar nicht. Es gibt nur das Streben nach „Mehrwert“ in Form privaten Eigentums, also die Sehnsucht nach der Verbesserung des eigenen Lebens, ein natürlicher, vitaler Antrieb, der in allen sozialen, zu Papier gebrachten Konventionen als „Menschenrecht“ („Recht auf Eigentum“) fixiert und unter Schutz gestellt wird. Mary O’Sullivan sollte es endlich begreifen: Wir wissen sehr wohl, was Profit ist, nämlich ein Menschenrecht.

Schon in der Antike hat man das gewußt, wenn auch nie genau beim Namen genannt. Das lateinische Wort „profectus“, von dem der Name herkommt, bedeutete so viel wie „private Zunahme“ und löste „innerhalb der Mauern“, wo die Polis, der „Rat der Weisen“ oder eine jeweilige Nummer eins regierten, eine gewisse Verlegenheit aus. Es galt, den Protectus mit dem Willen dieser Formationen in Übereinstimmung zu bringen. Und draußen „vor den Mauern“ führten die phönizischen Kaufleute eine derart schlaue Form von Profitmacherei vor, daß man darüber nur baß erstaunen konnte.


Vor allem die Erfindung von Zins und Zinseszins löste Diskussionen aus: Daß man Geld verlieh, es „investierte“, um es später mit Zins und Zinseszins zurückzufordern, leuchtete den frühen Christen überhaupt nicht ein. Zinsen zu nehmen, galt vielen als Todsünde. Erst der große Thomas von Aquin sorgte dann im hohen Mittelalter mit seinen von Realismus getränkten Theorien für eine Abschaffung des Zinsverbotes überall im Abendland.Wenn Mary O’Sullivan heute nach dem Beginn des Kapitalismus qua Profitwirtschaft fragt, so könnte man ihr erwidern: Damals mit Thomas von Aquin begann die Profitwirtschaft.

Bemerkenswert dann wohl noch jene berühmte Unterscheidung Joseph Schumpeters (1883–1950) zwischen „Kapitalist“ einerseits, „Unternehmer“ andererseits. „Ein Kapitalist“, so der österreichische Nationalökonom Schumpter, „verfügt über eine Summe von ökonomischen Werten (Kapital), die er planmäßig dazu einsetzt, um eine größere Summe als die zuvor eingesetzte zurückzuerhalten. Für den entsprechenden Investitionsprozeß trägt er selbst das wirtschaftliche Risiko. Ein Unternehmer hingegen hat die Funktion, Innovationen, das sind neuartige Kombinationen von Produktionsfaktoren, in den Wirtschaftsprozeß einzuführen.“

Mag sein, der von Schumpeter  verwendete deutsche Begriff  „Unternehmer“ ist seinem Wortsinn nach nicht die richtige Bezeichnung für die gemeinte Sache; vielleicht dachte der große Prophet der „schöpferischen Zerstörung“ bei der Formulierung auch mehr an den internationalen, hier viel besser passenden Begriff des „Entrepreneurs“, dem die Sache, um die es geht, im Grunde völlig gleichgültig ist, dem es allein um Profitmacherei zu tun ist. Kein Zweifel, daß es diesen Typ tatsächlich gibt, immer – auch in der transmenschlichen lebendigen Natur – gegeben hat und wahrscheinlich immer geben wird.

Absahner als Kaputtmacher, ob nun Firmenbesitzer, Politiker oder Medienfürst – das sind die wirklichen Gefährder unserer Ökonomie. „Schöpferische Zerstörung“, Joseph Schumpeter sei’s geklagt, gibt es nicht, nur Zerstörer, die hohe Profite damit erzielen.