© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/19 / 21. Juni 2019

Die Liebe ist stärker als der Tod
Kino: Xaver Böhms Film „O Beautiful Night“ ist eine romantische Metapher
Sebastian Hennig

Eine in Todesangst durchfieberte Nacht setzt Xaver Böhms Film „O Beautiful Night“ in Szene. Seine stillen Hauptdarsteller sind holländische Blumenstilleben des 17. Jahrhunderts. Die Vorbilder heißen nicht, wie man auf den ersten Blick meinen könnte, Godard, Antonioni oder Jarmusch, sondern Van Huysum, Mignon und De Heem. Eidechsen und Käfer umwimmeln die vergängliche Schönheit geflammter Tulpenblüten. Der zarte Prunk dieser vegetativen Erotik bedarf gar keines mahnenden Totenschädels als Beigabe, um die Nähe des Verfalls sichtbar zu machen. Die Details aus den Gemälden werden Farbeffekten unterworfen und gliedern und deuten den Fortgang der theatralischen Handlung. Diese visuellen Manipulationen lassen die gemalten Blumen zuweilen wie geöffnete Leiber erscheinen, aus denen die Innereien saftig hervorleuchten.

Auch die reale Handlung des Films ist vom künstlichen Licht bestimmt. Während einer Nacht begegnet der junger Musiker Juri (Noah Saavedra) dem Tod (Marko Mandic). Alles beginnt mit der Vision einer Todeserwartung. Juri hat eben noch einem Horn wehmütige Klangfolgen entlockt, dann liegt er auf dem Bett und eine Krähe zehrt an seinem Herzen. Mit dem Schnabel zupft er blutige Stücken aus der Brust des Menschen.

Die Panik treibt ihn nächtens ins Freie. In einer trostlosen Spielhalle bedrängt ihn ein verkommener und tätowierter Typ, der vorgibt auf jemanden zu warten. Er erzwingt eine wechselseitige Vorstellung und eröffnet Juri, daß er ihn erwarte. Eine speckige Tarotkarte mit dem Skelett dient ihm als Visitenkarte. Er bietet aus der zerknüllten Packung Zigaretten der Marke „Death“ an. Natürlich mag Juri noch nicht mitkommen.

Als der Tod sich eines abgestellten Fahrzeugs bemächtigen will, kommt es zum Zweikampf mit einem bulligen Russen. Eindrucksvoll stellt der Tod in der Verfolgungsjagd seine Macht unter Beweis. Juris Fluchtversuche führen zu Wiederbegegnungen mit dem Unausweichlichen an immer finsteren Orten. Unterirdisch entweicht der Szene jede Farbe. Der Einfärbung der Filmszenen liegt beinahe eine stärkere Intensität zugrunde als der Präsenz der Akteure. „O Beautiful Night“ ist ein malerisches Tableau.

Der Tod stellt seinem Delinquenten in Aussicht, vor seinem Ende immerhin noch etwas zu erleben. In der Opium- und Kräuterhöhle einer alten Koreanerin begegnet er Nina (Vanessa Loibl), die sich in einer dubiosen Bar prostituiert. Aus dem Sumpf erblüht die Blume der Liebe. Es ist eine Liebe, die aus der Erkenntnis kommt, nicht allein aus dem Bauch und dem Genital, sondern auch aus Herz und Hirn.

Eine Reise durch die Finsternis zum Licht

Der Hauptfeind jeder Progression, der Tod, ist der zerbrechliche Held dieses Films. Er will nicht abgeschafft, er will überwunden und bestanden werden. Das Leben ist eine Vorbereitung auf den unausweichlichen Endkampf mit ihm. Das Dunkel dieses Films wirkt nicht destruktiv, sondern organisch. Der Melancholie der Malerei entnimmt der Film seine Palette. Aus der dichterischen Romantik ist seine metaphorische Handlung abgewandelt. Die durchzieht das große Thema einer Reise durch die Finsternis zum Licht, das wir von Calderons „Das Leben ein Traum“ über Goethes Faust, Novalis „Hymnen an die Nacht“ bis zu Ludwig Derleths „Der Tod des Thanatos“ kennen. Dieser Erkenntnis flieht der moderne Mensch. Indem er unausgesetzt Spaß zu haben sucht, verscherzt er sich zugleich die Befähigung zur Freude. Er scheut die Finsternis wie das Licht. Statt sich vom Dunkel der Erkenntnis einnehmen zu lassen, wird er geblendet vom Licht eines Esoterikhandels. Ein derart unhygienischer Film über den Tod ist ein ästhetisches Ereignis und kommt der Manifestation einer reaktionären Subkultur gleich. Die Intuition besiegt das Räsonnement. Bilder dürfen unkommentiert von der Paradoxie allen Seins erzählen.  

Die wissenschaftlich und museal gebändigte Romantik wird von Xaver Böhm und seinen Mitstreitern wieder entfesselt. Dabei ist es weniger die deutsche Romantik als deren Widerschein in Edgar Allan Poe, Charles Baudelaire und Paul Verlaine. Die Male der Verkommenheit und des Lasters kennzeichnen den Film. Trotz des genüßlichen Auskostens dieser Aspekte sind sie kein Selbstzweck. Es wird nicht im Trüben gefischt. Drogen, Suff, Gewalt, Raub, Perversion und niedere Sinnlichkeit sind wie auf den Malereien nur der dunkle Hintergrund, auf dem die göttliche Wesenheit hervorleuchtet.

Die Pointe der Handlung liegt dann unvermutet in der Kraft der Liebe, wie sie Paulus im Korintherbrief verkündet. Ganz anschaulich werden wir letztlich zu Zeugen, daß die Liebe stärker sei als der Tod. Als es zu tagen beginnt, liegt der Tod im Sterben, denn auch er wird geliebt von den Liebenden. Was für Murnaus „Nosferatu“ atmosphärisch die hochgiebelige Speicherstadt von Lübeck bedeutete, das bewirken hier die träumerisch-tristen Drehorte in Berlin und Brandenburg. In ihrer Verfremdung mittels Farbgebung und Ausleuchtung erscheinen sie ungeahnt bedeutungsvoll. Die Fotografin Jieun Yi verleiht „O Beautiful Night“ mit ihrer Kamaeraarbeit jene bedrohliche Schönheit, die an die Filme des Japaners Shuji Terayama erinnert. Eine exklusiv von Xaver Böhm und Paul Eisenach für den Film komponierte und eingespielte Musik steigert die Stimmung zum Gesamtkunstwerk.