© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/19 / 21. Juni 2019

Eine Ansammlung politischer Torheiten
Werner J. Patzelt über die eng verschränkte Doppelgeschichte zwischen Union und AfD
Paul Leonhard

Den bekannten Ausspruch des Philosophen und Politikers Marcus Tullius Cicero hat Werner J. Patzelt seiner Materialsammlung aus eigener Feder „CDU, AfD und die politische Torheit“ vorangestellt: „Es zeugt von Torheit, die Fehler der anderen zu erkennen, die eigenen aber nicht zu beachten.“ 

Der in Dresden ansässige Politikwissenschaftler, der inzwischen von der Sachsen-Union als Co-Vorsitzender in die Wahlkampfkommission berufen wurde, hat sich frühzeitig mit dem Entstehen und Wachsen der Alternative für Deutschland beschäftigt. Der vorliegende Band umfaßt, chronologisch geordnet, seine wichtigsten Kommentare, Kurzanalysen sowie mit ihm geführte Interviews und berichtet so nicht nur von der Entwicklung der AfD, sondern auch über die des CDU-Mitglieds Patzelt vom hellwachen, neutralen Beobachter zum analytischen Wahlkämpfer an der Seite von Ministerpräsident Michael Kretschmer.

Patzelt selbst versteht sein Buch als eine Lektüreeinladung für jene, „die ihre Wahlentscheidung weniger auf Gefühle, als vielmehr auf das Verstehen genau der Wirkungszusammenhänge gründen wollen, in die sie am Wahltag persönlich eingreifen wollen“. Denn, daran läßt er keinen Zweifel, 2019 wird für Deutschland weichenstellend. Falls sich das bisherige Auf- (bei AfD und Bündnisgrünen) und Abstiegsgeschehen (bei Union und SPD) fortsetzt, sei an einer bleibenden Umschichtung des deutschen Parteiensystems nicht mehr zu zweifeln.

Die Konsequenz: Es könnte schwieriger werden, in einem Sechs-Parteien-System stabile Regierungsmehrheiten zu bilden. Zumal die deutsche Politik vor Minderheitsregierungen samt Tolerierungpraxen bisher zurückschreckt.Besonders die Union müsse innerparteilich eine Antwort auf die Schlüsselfrage finden, wie sie mit der AfD umgeht. Für die seit einigen Jahren eng verschränkte Doppelgeschichte zwischen Union und AfD lasse sich derzeit „kein Ende vorhersehen, das für beide Parteien und zugleich für unser Land gut wäre“.

Patzelt interessiert, zu welchem Preis und zu wessen Lasten sich die bisher den Staat tragenden Parteien weiterhin gegen die AfD zusammentun – das Beispiel in Görlitz macht es deutlich – und wie lange, unter welchen Umständen und Folgen sie das schaffen. Ursachendiagnosen der neuen Parteienkonkurrenz seien ebenso umstritten wie die versuchten Strategien. Politikfehler, so Patzelt, hätten die AfD zu einer nicht mehr vernachlässigbaren politischen Größe gemacht. Gleichzeitig habe rechte Demagogie die Überprüfung der AfD durch den Verfassungsschutz plausibilisiert, innerparteiliche Spannungen geschürt und Spaltungstendenzen begünstigt.

In einem Interview für den Evangelischen Pressedienst hat Patzelt im Oktober 2017, kurz nach der Bundestagswahl, Pegida als „ersten deutschen Vulkanschlot für jenes rechtspopulistische Magma von Politik- und Elitenempörung“ bezeichnet, „das unter ganz Europa brodelt“. Da sich die ebtablierten Politiker für die Entstehungsgründe von Pegida und AfD nicht interessierten, und deren Sympathisanten allenfalls als dumme Ostdeutsche und haßerfüllte Rassisten diskriminierten, habe sich um beide Organisationen herum „eine große Masse von zu Unrecht Beschimpften in trotziger Solidarität“ vereint. 

Einerseits habe also mit Pegida angefangen, was mit dem Bundestagswahlerfolg der AfD „zu einem gewissen Zwischenergebnis“ kam, andererseits hätten die falschen Reaktionen auf Pegida die „ebenso kontraproduktiven Reaktionen“ auf die AfD vorgezeichnet: „Weil Spitzenpolitiker und Medien nicht hören wollten, muß nun ein ganzes Land Übles fühlen. Was für eine politische Meisterleistung!“

Patzelts Ziel ist „AfD nach unten, CDU nach oben“

Allein damit die Qualität des Parlamentarismus nicht absackt, sei er als „Politiklehrer, allerdings mit ziemlich durchwachsenem Erfolg“ für die AfD tätig geworden, sagte Patzelt Ende Januar 2019 der Neuen Zürcher Zeitung. Er habe der AfD immer geraten: Trennt euch von Rassisten und Antisemiten, haltet euch vom Extremismus fern und übt eure Oppositionsrolle gemäß den Spielregeln parlamentarischer Demokratie aus. Das habe die Partei „mit den geringen intellektuellen Mitteln, die ihr zur Verfügung standen“, dann auch getan.

Inzwischen habe die CDU eingesehen, daß „meine Kritik stimmt“, erklärt Patzelt sein Enagement für die Sachsen-Union. Sein klares Ziel laute: „AfD nach unten, CDU nach oben – und zwar als neuerlicher Champion in der ganzen Spielhälfte zwischen politischer Mitte und dem rechten Rand.“

Das Gewinnen und Vermehren politischer Einsichten verspricht Patzelt bei der Lektüre des Buches, an dessen Ende eine Weisheit des chinesischen Philosophen Lü Bu We steht: „Glaubhafte Dinge nicht zu glauben und unglaubhafte Dinge zu glauben, das ist das Übel der Toren.“

Werner J. Patzelt: CDU, AfD und die politische Torheit. Weltbuch Verlag, Dreden 2019, broschiert, 292 Seiten, 14,99 Euro