© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/19 / 21. Juni 2019

Für die irrationalen Deutschen ein schwieriges Geschäft
Jenseits von Rationalitätsillusion und Egalitarismusdilemma: Der Publizist Ulrich Hintze stellt die alte Frage nach dem „Wesen des Politischen“ neu
Felix Dirsch

Es spricht nicht gerade für die Zunft der Politikwissenschaft, wenn die fundamentale Frage dieser Disziplin, nämlich die nach dem „Wesen des Politischen“, jahrzehntelang ignoriert wird. Es mußte ein gelernter Zahnmediziner mit enormer geistes- und sozialwissenschaftlicher Bildung kommen, um grundlegende Vorschläge zur Beseitigung dieses Desiderates neu zu unterbreiten. Diese haben eine intensivere Rezeption verdient als bisher geschehen. 

Ulrich Hintze hat es sich als Aufgabe erwählt, eine „Theoria Politica Generalis“ zu entwerfen. Er begründet plausibel, warum Fachleute gerne einen Bogen um diese Problematik machen: „Die in diesem Zusammenhange immer wieder aufgerufene besondere deutsche Schuld bildet nur die aktualisierende Begründung eines sehr tief in der deutschen Geschichte verankerten charakteristischen Verhaltensdefektes, welcher alleine die oft bemerkte Eigentümlichkeit erklärt, daß diese Schuld mit wachsendem zeitlichen Abstand als immer wesentlicher imponieren kann“. Solche Sätze belegen, daß der Autor um den Sprengstoff weiß, den das Thema birgt.

Fixpunkte sind Carl Schmitt und Hermann Schmitz

Jede Beschäftigung mit der heiklen Quintessenz kommt an Carl Schmitts fulminanter Definition in dessen Schrift „Der Begriff des Politischen“ nicht vorbei. Demnach wird ein Sachverhalt dann politisch, wenn er in die Nähe der Unterscheidung von Freund und Feind rückt. Ein Extremfall davon ist der Fall des Krieges. Die Eventualität einer stärkeren Dissoziation muß Schmitt zufolge aufrechterhalten werden, wenn Politik nicht verschwinden soll.

Hintze wendet gegen diese berühmte Distinktion ein, daß sie viel zu kurz greife und als unterkomplex gelten müsse – in langen Friedenszeiten wie den unseren ohnehin. Er sucht stattdessen nach Prinzipien, die in der Lage sind, oberste existentielle Bedingungen des Zusammenlebens zu markieren. Zu diesen Fundamentalkategorien zählen Ordnung, Disziplin, Freiheit und Verantwortung. Sie werden ausführlich erörtert. Jedweder linker Destruktivismus, wie er sich im jüngst wieder aufgeflammten egalitaristischen Kampf gegen das Privateigentum zeigt, wird verworfen. Auffallend ist, daß sie durchaus eine innere Balance bilden: Ordnung bietet ein gewisses Widerlager zur Freiheit (und auch umgekehrt!) Das eine schafft Stabilität und in wohlbestimmter Hinsicht Kontinuität, das andere fördert Spontaneität und Unabhängigkeit.

Interessant sind auch die zentralen Gewährsleute, auf die Hintze rekurriert. Wichtige Einsichten liefert der phänomenologisch ausgerichtete Philosoph Hermann Schmitz. Sein umfangreiches Werk ist bisher nur von einer überschaubaren Gemeinde von Anhängern aufgenommen worden. Die Rezeption ist schon deshalb schwierig, weil der Kieler Gelehrte das riesige Gedankengebäude der Klassiker von Homer an einbezieht.Darüber hinaus stellt Hintze den österreichischen Wirtschaftswissenschaftler Ludwig von Mises heraus, der aus Hintzes Sicht – anders als von Hayek – der Rationalitätsillusion entgeht.

Am Ende der Darstellung, die aktuelle politische Kontaminierungen nicht außer acht läßt, benennt der Autor das Hauptproblem: die realitätsfernen Einstellungen weiter Teile der Deutschen. Nirgendwo kann man diese Haltung besser erkennen als an Entscheidungen über kostenintensive Welt- und Klimarettungsprojekte. Die Suche nach einem „Wesen des Politischen“, das staatliches Handeln grundieren könnte, dient einer verstärkten Hinwendung zur Anerkennung der oft rauhen Wirklichkeit. Das verbindet Hintze mit Schmitt.

Ulrich Hintze: Theoria Politica Generalis. Das Wesen des Politischen. Gerhard Hess Verlag, Bad Schussenried 2018, gebunden, 599 Seiten, 29,80 Euro