© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/19 / 21. Juni 2019

Der Flaneur
Taxifahrt nach der Oper
Bernd Rademacher

Das Großkino zeigt nicht nur Popcorn-Ware aus Hollywood, sondern bringt auch Live-Übertragungen aus den großen Opernhäusern der Welt. Auf dem Spielplan steht die Walküre aus der Metropolitan-Oper in New York, sechs Stunden zeitversetzt live per Satellit gesendet. 

Billig ist das Vergnügen nicht, die Karten kosten für uns beide 56 Euro. Dafür bekommt man immerhin 320 Minuten Surround-Sound-Beschallung und ein gestochen scharfes Leinwandbild. Also online gebucht, die Reservierungsbestätigung ausgedruckt, rein in Anzug beziehungsweise Abendkleid und ins Taxi.

Die wichtigste Integrationslektion scheint der Mann bereits gelernt zu haben.

Die Darbietung erfüllt alle Erwartungen, dennoch wird das Vergnügen zeitweilig durch das ungute Gefühl gebremst, die Jugendlichen zu Hause könnten unsere Abwesenheit nutzen, um größtmöglichen Blödsinn anzurichten. Nach fünf Stunden Wagner bin ich fix und fertig – Taxi herangewunken und eingestiegen. Der Chauffeur kommt offenbar aus dem vorderorientalischen Kulturkreis und ist guter Laune. „Taxi nach Paris?“, scherzt er. Nee, nach Hause. 

Sein Handy klingelt. Mit einer Hand nimmt er den Anruf an und stellt auf Lautsprecher, mit der anderen lenkt er den Benz durch den ruhigen Abendverkehr. Am anderen Ende meldet sich eine Frauenstimme reiferen Alters. Ich verstehe kein Wort, aber offenbar überschüttet sie ihn mit einem Schwall vorwurfsvoll klingender Fragen. Er kommt kaum dazwischen, rechtfertigt sich anscheinend hilflos. Die zeternde Frau heizt ihm ganz schön ein. Ich muß schmunzeln.

Vor der Haustür bitte ich um eine Quittung. Er fragt: „Was soll ich aufschreiben? Hundert Euro? Soll ich einen Wochentag eintragen, statt Samstag?“ Der Mann versteht sich auf Steuertricks, die wichtigste Integrationslektion hat er also schon vorbildlich gelernt. Ich bleibe ehrlich und sage, er soll die richtigen Angaben eintragen. Eigentlich total bescheuert.