© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/19 / 28. Juni 2019

Grundrechte entziehen
Mordfall Lübcke: Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, da steht schon fest: Die AfD ist mitschuldig
Björn Harms

Zwei Wochen nach der Festnahme des mutmaßlichen Täters im Mordfall Lübcke, treibt Politik und Medien vor allem eine Frage um: Gibt es Mitschuldige an dem Mord? Insbesondere Peter Tauber (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung, teilte in der vergangenen Woche kräftig aus. „Du bist verantwortlich für die Folgen und Reaktionen auf deine Hetze gegen Walter Lübcke. Du trägst Mitschuld an seinem Tod“, wandte er sich auf Twitter direkt an die Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, Erika Steinbach.

Die frühere CDU-Politikerin hatte im Februar einen Tweet mit Kritik an Lübcke veröffentlicht. Darin verlinkte sie einen Artikel, der Lübckes Aussage aus dem Jahr 2015 zitierte, Kritiker der Merkelschen Asylpolitik könnten das Land jederzeit verlassen, wenn sie damit nicht einverstanden seien. Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT wies Steinbach die Vorwürfe Taubers als „absurd“ von sich. 

Auch der ehemalige Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, der zuvor gewagt hatte, die Kritik zurückzuweisen, wonach deutsche Sicherheitsbehörden Rechtsextremisten nicht gut genug überwachen würden, bekam von Tauber sein Fett ab: „Man kann fast froh sein, daß Hans-Georg Maaßen nur noch ein Problem der CDU ist und kein Problem mehr dieser Republik“, so Tauber. „Endlich Gelegenheit, den Verfassungsschutz wieder schlagkräftig zu machen.“

In einem Gastbeitrag für die Welt  hatte Tauber zuvor zum Rundumschlag „gegen Rechts“ angesetzt. Erika Steinbach sei „ebenso wie die Höckes, Ottes und Weidels durch eine Sprache, die enthemmt und zur Gewalt führt, mitschuldig am Tod Walter Lübckes“, bekräftigte der ehemalige CDU-Generalsekretär. Angesichts der Gewalt durch Rechtsextreme müsse man Artikel 18 des Grundgesetzes anwenden. Danach können jenen Grundrechte entzogen werden, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpfen. Angewendet wurde der Artikel seit 1949 allerdings nie.

Der Vorschlag sorgte sogar unter linken Politikern für Unmut. „Wir brauchen eine härtere Gangart des Staates gegen rechte Gewalttäter und Terroristen, aber es ist doch völliger Blödsinn, ihnen die Grundrechte zu entziehen“, twitterte der Vizepräsident des Bundestags, Thomas Oppermann (SPD). „Den Rechtsstaat verteidigt man nicht, indem man ihn für einige abschafft“, pflichtete ihm der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Konstantin von Notz, bei. 

In einem waren sich die meisten Politiker jedoch einig, von Ralf Stegner (SPD) über Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) bis hin zu Friedrich Merz (CDU): Die AfD trägt eine Mitschuld an dem Mord. Das will die Partei so nicht stehenlassen. „Alles was wir tun, ist ein friedliches Politik-angebot zu machen“, verdeutlichte Parteichef Jörg Meuthen. „Die AfD ist nicht die Ursache von politischer Gewalt, vielmehr ist sie das Hauptziel der Angriffe“, echauffierte sich auch der Hamburger AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Wolf und berief sich dabei auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion. Demnach gab es im ersten Quartal dieses Jahres 114 Straftaten, die sich direkt gegen Parteimitglieder und Mandatsträger der AfD richteten. Mit weitem Abstand folgen SPD (21), Grüne (19), Union (16) und Linkspartei (9).

Fest steht: Der Fall Lübcke läßt sich noch nicht sicher einordnen, auch wenn die Medien dies krampfhaft versuchen. Ein (noch nicht aufgeklärter) Mord soll zudem rechtsextreme Strukturen belegen. Gesichert ist bislang, daß am 2. Juni ein Angehöriger Walter Lübcke kurz nach Mitternacht bei seinem Wohnhaus in Wolfhagen auffand, mit einer Schußwunde im Kopf leblos auf der Terrasse liegend. Weil die Polizei keine Tatwaffe entdeckte, schloß sie einen Suizid aus und sprach von einem Tötungsdelikt. 

Am 8. Juni 2019 nahm die Polizei den Sanitäter fest, der in der Tatnacht Erste Hilfe geleistet hatte, ließ ihn aber wegen fehlender Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung wieder frei. Seine Rolle ist nach wie vor dubios. Er soll versucht haben, Spuren auf der Terrasse verschwinden zu lassen und zudem mit dem Sohn von Lübcke befreundet sein.

Tatverdächtiger lebte     zuletzt völlig unauffällig

Acht Tage später vermeldete die Bundesanwaltschaft die nächste Festnahme. Dringend tatverdächtig: Stephan E., lange Zeit in der hessischen Neonazi-Szene aktiv. Am Tatort wurde seine DNA gefunden. Doch E. schweigt zu den Vorwürfen. Der 45jährige ist mehrfach vorbestraft und soll 1993 einen Rohrbombenanschlag auf eine Asylunterkunft in Hohenstein-Steckenroth verübt haben. 

Das letzte Mal tauchte er in den Akten der Sicherheitsbehörden 2009 auf, als Rechtsextreme eine Gewerkschaftskundgebung in Dortmund angriffen. Seitdem jedoch lebte er völlig unauffällig mit seiner Frau und zwei Kindern in Kassel. Ein Iraner sei sein bester Freund gewesen, erzählen Arbeitskollegen in der Bild-Zeitung. Daß er rechtsextrem sei, davon habe man nichts mitbekommen.

Die ARD-Sendung „Monitor“ jedoch behauptete, E. sei weiterhin mit führenden Rechtsextremisten in Kontakt. Er habe erst im März an einem konspirativen Treffen der verbotenen Gruppierung „Combat 18“ teilgenommen. Als Beweis diente ein undeutliches Foto, auf dem E. während der Veranstaltung im sächsischen Mücka zu sehen sein soll. Bereits einen Tag später widersprach der Spiegel. Es handle sich um eine Verwechslung. Auch aus sächsischen Sicherheitskreisen heißt es: Das Foto zeige nicht Stephan E., sondern einen anderen, namentlich bekannten Rechtsextremisten.

JF-TV Interview mit Erika Steinbach:  www.bit.ly/2X85xeo