© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/19 / 28. Juni 2019

Deutschland dienen dürfen
Bundeswehr: Die Verteidigungspolitiker der AfD im Bundestag fordern eine grundlegende Reform der Streitkräfte / Wiedereinführung der Wehrpflicht und Einsatz im Innern / „Langzeitaufgabe“
Christian Vollradt

Friedrich Merz artikulierte die Sorge anderer und trat so eine Debatte los: „Einige Abgeordnete aus dem Verteidigungsausschuß“, gab der bei der Wahl zum CDU-Vorsitz knapp Unterlegene in der Bild am Sonntag zu Protokoll, hätten ihm in Gesprächen mitgeteilt, die Unionsparteien verlören „offenbar Teile der Bundeswehr an die AfD“. Wie die anderer Sicherheitsorgane so fühlten sich auch viele Angehörige der Streitkräfte „von ihren Dienstherren im Stich gelassen“, seien ganze Institutionen vom Vertrauensverlust betroffen. 

Daß sich nach Jahren einer unionsgeführten Ressortleitung die Unzufriedenheit in der Armee mit deren Zustand auch in einem Wechsel von parteipolitischen Präferenzen abbildet, sieht selbst der sprichwörtliche Blinde mit dem Krückstock. Personalmangel, zu wenig, oft veraltetes oder aus anderen Gründen nicht einsetzbares Material; die ständigen Umstrukturierungen und Reformen, die der Truppe arg zugesetzt haben; pauschale Vorwürfe, die Bundeswehr habe ein „Haltungsproblem“ (JF 36/17); dazu das Gefühl, daß von seiten der politischen Führung falsche Prioritäten gesetzt werden, etwa mit der aufdringlichen Betonung von „Vielfalt“ samt Einrichtung eines eigenen „Stabselements Chancengerechtigkeit“ mit „Workshops“ für sexuelle Identität oder „Diversity“ ... Das alles geht nicht spurlos an den Staatsbürgern in Uniform, die auch Wähler sind, vorbei. 

„Offizier ist zuerst Soldat, dann Akademiker“

Kein Wunder, daß die AfD auf manch Unzufriedene in Flecktarn attraktiv wirkt. Nicht zuletzt, weil sie überproportional viele frühere Militärs in ihren Reihen aufweist. Mit einer Spur von Fatalismus soll ein führender Standesvertreter der Soldaten im vertraulichen Plausch mit AfD-Abgeordneten bemerkt haben: „Die Bundeswehr habt ihr doch eh schon gewonnen.“

Die Verteidigungspolitiker der größten Oppositionsfraktion haben nun unter dem Titel „Streitkraft Bundeswehr“ eine Art „Weißbuch“ erarbeitet. Schon auf den ersten Seiten des Papiers steht vieles, was wie eine Antithese zur offiziellen Leitlinie im Bendlerblock wirkt: Seit vielen Jahren könne die Bundeswehr ihren hoheitlichen Auftrag, den Schutz des Landes, nicht mehr erfüllen, sei sie „als Ganzes nicht einsatzbereit“. Um die Verteidigungsbereitschaft Deutschlands wieder zu gewährleisten, reichten „partielle Maßnahmen“ längst nicht mehr aus; die Einsatzbereitschaft der Truppe wiederherzustellen „wird mehrere Legislaturperioden in Anspruch nehmen“, sind sich die Autoren sicher. Und mehr noch: „Zur Rekonstruktion der deutschen Streitkräfte ist neben materieller und personeller Aufrüstung auch eine geistig-moralische Reform der Truppe zwingend erforderlich.“

Wie diese aussehen soll? „Die Bundeswehr pflegt einen starken Korpsgeist.“ Die Befähigung und der Wille zum Kampf müßten im Zentrum jedes militärischen Denkens stehen, der Offizier „ist zuerst Soldat und dann Akademiker.“ Die Bundeswehr sei zudem Teil „einer jahrhundertealten deutschen Militärtradition.“ Dieses Selbstverständnis diene „der Befähigung und der Motivation jedes einzelnen Soldaten zum unerbittlichen Kampf im Gefecht“. Abweichend vom offiziellen Erlaß heißt es dazu im Papier: Was traditionswürdig ist und was nicht, beruhe immer auf Einzelfallbetrachtungen: „Persönlichkeiten und militärische Ereignisse sind stets im Kontext der jeweiligen Epoche zu bewerten.“

Die Personalstärke soll auf 230.000 Soldaten erhöht werden, unter anderem, indem die Aussetzung der Wehrpflicht zurückgenommen wird, die „den Wehrwillen des deutschen Volkes“ stärke. Frauen können weiterhin freiwillig dienen, die Wehrpflicht gilt für sie nicht. Der Wehrersatzdienst soll die Ausnahme bei Gewissensgründen sein und nicht den Mitarbeiterbedarf von Blaulichtorganisationen decken. Der im offiziellen Weißbuch des Ministeriums enthaltenen Anregung, die Truppe für Ausländer aus EU-Staaten zu öffnen, erteilen die AfD-Politiker eine klare Absage: „Deutschland schützt das bewährte Prinzip des Staatsbürgers als geborenem Verteidiger seines Vaterlandes. Ausländern bleibt der Dienst in der Bundeswehr verwehrt.“ Ebenso lehnt man sämtliche Pläne, eine EU-Armee zu schaffen, kategorisch ab. 

Reservisten sollen künftig in einem eigenen Reservekorps – ähnlich der amerikanischen Nationalgarde oder der Miliz in Österreich – zusammengefaßt werden. Und wie beim „Assistenzdienst“ in unserem Nachbarland soll dieses Reservekorps mit einer Sollstärke von 50.000 Mann auch für den Grenzschutz ausgebildet und herangezogen werden. Für noch mehr Aufsehen dürfte eine weitere, knapp formulierte Forderung sorgen: „Die Bundeswehr wird zum Einsatz im Inneren autorisiert.“ Dafür sei, das ist den Verfassern klar, eine „Änderung der grundgesetzlichen Bestimmungen“ notwendig. 

Während in der Praxis auf jahrelangen Druck linker Hochschulgruppen hin einzelne Hochschulen bereits sogenannte Zivilklauseln eingeführt haben, die eine Universität verpflichten, ihre Forschung nur zivilen Zwecken zu widmen, fordern die Verteidigungspolitiker der AfD-Fraktion das genaue Gegenteil: „Staatliche Universitäten sind zur Kooperation mit der wehrtechnischen Industrie angehalten.“ Die vom Grundgesetz gebotene Trennung von ziviler Verwaltung und Bundeswehr – Relikt der gegenüber dem Militär mißtrauischen Gründungszeit und heute verantwortlich für zuviel Bürokratie und Mißmanagement bei der Beschaffung – soll aufgehoben werden. 

Zurückhaltung fordert das Strategiepapier in Sachen Interventionen: Auslandseinsätze – etwa zur Stabilisierung fremder Staaten – müßten immer völkerrechtlich legitimiert und im deutschen Interesse sein.