© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/19 / 28. Juni 2019

Glatt die Landreform vergessen
Südafrika: Präsident Ramaphosa fordert sein Volk auf, groß zu träumen / Zukunftspläne ohne Substanz
Liz Roth

Eine Regenbogennation am südlichen Zipfel Afrikas war Nelson Mandelas großer Traum. Heute, ein Vierteljahrhundert nach Ende der Apartheid, hat das neue Südafrika es nicht geschafft, die neun Volksgruppen und 31 kulturellen Gruppen mit ihren 14 offiziellen Landessprachen, acht Religionen und 25 Glaubensgemeinschaften friedlich miteinander zu verbinden. 

Im Gegenteil, die Spaltung scheint größer als je zuvor. Da helfen auch keine Versprechungen und optimistischen Prognosen durch den im Mai wiedergewählten Staatspräsidenten Cyril Ramaphosa, die er am vergangenen Donnerstag während der Ansprache zur Lage der Nation in Kapstadt gab. Über 27 Prozent und weiter steigende Arbeitslosigkeit, brutale Kriminalität mit 57 Morden täglich, schlechte medizinische Versorgung, eine kaputte Infrastruktur sowie keine gesicherte Stromversorgung sind nur eine Auswahl aus der langen Liste von Problemen, die das Land hat.  

Opposition enttäuscht, hofft aber weiter 

In seiner fast anderthalbstündigen Rede forderte Ramaphosa sein Volk auf, ganz groß zu träumen. Er wiederholte die Rhetorik der Vergangenheit und legte fünf Ziele für die nächsten zehn Jahre fest: kein Südafrikaner werde mehr hungern müssen, die Wirtschaft schneller wachsen als die Bevölkerung, zwei Millionen Jugendliche würden Arbeit haben, Schulen bessere Bildungsergebnisse erzielen und jedes zehnjährige Kind richtig lesen können. Schließlich werde die Anzahl der Gewaltverbrechen halbiert, wenn nicht eliminiert sein. Wie er diese Ziele erreichen will, sagte er nicht,  und er bot auch keine Lösungen für die aktuell kritische Situation. 

Der von Korruption geplagte ANC hatte bei den Wahlen im Mai viele Stimmen eigenbüßt, konnte aber dennoch mit über 57 Prozent die absolute Mehrheit halten. 

Um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierungspartei zu stärken, hatten viele auf spezifische und gehaltvolle Lösungsvorschläge gehofft. Konkret sprach Ramaphosa aber nur zwei Punkte an: Die südafrikanische Zentralbank (SARB) wird unabhängig bleiben, und die Regierung wird mit über 230 Milliarden Rand (knapp 15 Milliarden Euro) den öffentlichen Stromanbieter Eskom retten, der kurz vor dem Bankrott steht, damit die Lichter im Land erst mal anbleiben. 

Optimistisch legte er die sieben Prioritäten seiner Regierung dar: Wirtschaftswandel und Schaffung von Arbeitsplätzen; Bildung, Ausbildung und Gesundheit; den Soziallohn durch verläßliche, qualitative Grunddienste festigen; Integration, Siedlungen und Verbesserung von lokalen Behörden; sozialer Zusammenhalt und sichere Gemeinden; einen fähigen, ethischen und entwickelten Staat; ein besseres Afrika und eine bessere Welt. 

Immer wieder betonte Ramaphosa, daß in Südafrika Wirtschaft im Vordergrund stehen müsse. „Wir können das Blatt nicht wenden, ohne unseren erbarmungslosen Fokus auf wirtschaftliches Wachstum zu setzen“, so der Präsident vor den Abgeordneten in der Nationalversammlung. 

Zwar erhielt er viel Applaus für seine Worte, die Opposition reagierte aber verhalten. Pieter Groenewald von der Freedom Front Plus (FFP) nannte die Rede eine „Wunschliste ohne konkrete Wege“. Kenneth Meshoe von den Afrikanischen Christdemokraten zog ein ähnliches Fazit: „25 Jahre wurde unserem Volk gesagt, daß die Menschen große Träume haben sollen, daß  sie aus den Slums in richtige Wohnungen ziehen können. Dem Volk wurde schon oft gesagt zu träumen, und wir sind überrascht, daß der Präsident erst jetzt damit anfängt.“ Er nannte es die typische „Was-Rede“ der ANC-Regierung, obwohl das Land eine „Wie-Rede“ gebraucht hätte.

Für die Democratic Alliance, die im Vorlauf der Ansprache praktische Lösungen gefordert hatte, fehlte ebenfalls die Substanz. „Die große Herausforderung ist die Arbeitslosigkeit, und heute hat der Präsident uns keinen Weg gegeben. Er hat die Herausforderungen erklärt, aber uns keinen greifbaren Plan präsentiert. Es war lediglich Rhetorik. Die große Enttäuschung der Rede heute war, daß wir keinen bewußten Zukunftsplan für die nächsten fünf Jahre hören konnten“, so Parteichef Mmusi Maimane im Interview mit dem staatlichen Fernsehsender SABC. 

Die große Enttäuschung des Abends war für den linken Extremen Julius Malema von den Economic Freedom Fighters (EFF), die mit elf Prozent der Stimmen zu den großen Gewinnern im Mai gehören, daß Ramaphosa die Enteignung der Weißen ohne Kompensation in seiner Rede nicht erwähnte. Malema ist eng mit Simbabwe und der Mugabe-Regierung verbunden, und sein Ziel ist die Verbannung der Weißen aus Südafrika, die komplette Verstaatlichung und eine militärische Kommandostruktur im Land. Sogar die Kommunistische Partei Südafrikas hat sich von ihm und der EFF distanziert.

Mehr Begeisterung als sein Vorgänger Jacob Zuma

Daß Ramaphosa diese Angelegenheit konkret umgeht, ist allerdings keine Überraschung. Vergangene Wahlen haben gezeigt, daß man das Thema Landreform und Enteignung gerne vorher hochkocht, um Stimmen zu gewinnen und es danach still und leise auf dem Abstellgleis parkt. Nach der Auswahl des Kabinetts vor einigen Wochen versicherte die neue Ministerin für Landwirtschaft und Landreform Thoko Didiza, daß sich ein Komitee der Gesetzentwürfe für eine mögliche Enteignung ohne Kompensation annehmen werde. Wann und wie das passieren soll, wurde nicht gesagt. 

Ob weiße Farmer kurzzeitig aufatmen können, ist fraglich, denn auch ohne Verfassungsänderung finden die Behörden immer wieder andere Wege, eine Enteignung durchzusetzen. So wurde Farmer Pieter Claassen seine Zuckerrohrfarm genommen, nachdem er mit seiner Bürgerinitiative gegen eine Neuregelung der Wasserversorgung vor Gericht gegangen war und die Gerichtskosten nicht zahlen konnte (JF 41/18). 

Die landwirtschaftliche Interessenvereinigung der Buren (Transvaalse Landbou Unie Südafrika; TLU SA) nahm die Rede mit gemischten Gefühlen auf.  Ramaphosas „State of the Nation“ beinhalte zwar nichts Neues, dennoch habe der 66jährige „etwas mehr Begeisterung“ gezeigt als sein Vorgänger, lobte TLU SA-Präsident Louis Meintjes. Den Worten müßten aber endlich Taten folgen. Wieder habe Präsident Ramaphosa jedoch die Gelegenheit verpaßt, die Farmmorde zu verurteilen. „Wir  können seine Vision einer Hochtechnologiewirtschaft unterstützen, aber dann sollte er sich und die Regierung bedingungslos von jeder Form des Sozialismus distanzieren. Darauf warten wir noch“, betonte Meintjes.