© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/19 / 28. Juni 2019

Überraschung!
Gerichtsentscheid: Der Fiskus ist knapp bei Kasse, da käme die Maut für Ausländer gerade recht. Doch diese Variante kassierte der EuGH. Wer zahlt nun?
Paul Leonhard

Auch nach dem ablehnenden Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) bleibt die Idee einer Pkw-Maut für deutsche Straßen in der Politik beliebt. Citymaut statt Ausländermaut lautet die neue Formel. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) teilte mit, er werde über eine Maut mit „ökologischer Lenkungswirkung“ nachdenken. Beifall erhielt er von Wissenschaftlern, Umweltverbänden, dem Umweltbundesamt sowie Grünen- und CDU-Politikern und dem Deutschen Städtetag.

Damit wäre die Maut eine vollkommen neue. Bisher sollte sie ausländische Autofahrer finanziell an der Unterhaltung der von ihnen genutzten Straßen beteiligen. Die einheimischen Autofahrer sollten die Abgabe auch zahlen, aber über eine Senkung der Kfz-Steuer entschädigt werden.

Scheuer richtete eine Arbeitsgruppe ein, die die finanziellen und organisatorischen Folgen des Urteils klären soll. Laufende Verfahren und Ausgaben zur Umsetzung der Maut wurden gestoppt. Bisher sollen für Gutachten und Beratungsleistungen mehr als 40 Millionen Euro ausgegeben worden sein. So hatte das CSU-geführte Verkehrsministerium bereits 2018 Verträge zur Umsetzung der Pkw-Maut geschlossen. In Kenntnis der Klage Österreichs und des damals ausstehenden EuGH-Urteils erhielt das österreichische Unternehmen Kapsch TrafficCom den Zuschlag für Planung, Entwicklung, Errichtung, Unterhalt und Betrieb des Maut-Systems. Zudem wurde Kapsch gemeinsam mit CTS Eventim mit der Erhebung der Pkw-Fahrer-Abgabe beauftragt.

Nach Angaben beider Unternehmen enthalten die von der Bundesregierung inzwischen gekündigten Verträge Schutzbestimmungen, die Vermögensschäden vorbeugen sollen. Es geht um Schadensersatz von 300 Millionen Euro für Investitionskosten und entgangenen Gewinn.

Die Retourkutsche wurde nach Österreich geschickt

Scheuer war sich zu sicher gewesen, daß der EuGH die Vertragsverletzungsklage Österreichs, der sich die Niederlande angeschlossen hatten, abweisen und grünes Licht geben würde. Unbegründet war das nicht, da die EU-Kommission 2017 und der Generalanwalt des EuGH im Februar in einem Gutachten schlußfolgerten, die deutsche Maut sei mit EU-Recht vereinbar, und daher eine Abweisung der Klage empfahlen.

Andererseits hatten sich die Österreicher vor ihrer Klage ebenfalls mit einem Gutachten abgesichert, das dem Rechtsverfahren gute Erfolgschancen bescheinigte. Höhnisch sprach der damalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, heute Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag, von „schwachen Argumenten“ und einer „Maut-Maulerei“ Wiens: „Die Maut kommt, und Österreich liegt falsch.“

Dem EuGH stieß das deutsche Getrickse auf:  „Die Infrastrukturabgabe ist diskriminierend, weil sie in Wirklichkeit ausschließlich die Fahrer und Halter von im Ausland zugelassenen Fahrzeugen belastet“, teilte EuGH-Pressesprecher Hartmut Ost mit. Außerdem verstoße die Maut gegen den freien Dienstleistungs- und Warenverkehr, da sie den Transport von ausländischen Waren nach Deutschland verteuert hätte.

Zwar dürfe jedes EU-Mitgliedsland grundsätzlich Abgaben zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur einführen, müsse aber das Diskriminierungsverbot beachten, entschieden die Richter: Wer eine Maut einführe, müsse alle EU-Bürger gleichermaßen zur Kasse bitten. Die Einnahmen aus der Maut, deren Start sich von 2015 auf Oktober 2020 verschoben hatte, waren fest im Bundeshaushalt eingeplant. Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht von jährlich 350 bis 500 Millionen Euro, die jetzt fehlen.

Ein Ausweg liegt auf der Hand: die Deutschen für die fehlenden Millionen zur Kasse zu bitten. Ein entsprechender Vorstoß kommt vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Dessen Hauptgeschäftsführer, Gerd Landsberg, hält die Abschaffung der Kfz-Steuer und die Einführung eines Mautsystems für alle Pkw für eine „intelligentere“ Lösung – auch im Sinne des Umweltschutzes. Merkels Wahlversprechen, daß es mit ihr keine Pkw-Maut geben werde, müßte nach ihrem Abgang auch nicht mehr gebrochen werden.

Die Retourkutsche nach Österreich  indes hat Scheuer schon losgeschickt. Nachdem Tirol seine Landstraßen für ausländischen Verkehr gesperrt hatte, um Maut-Umfahrer zu stoppen, bereitet der Verkehrsminister nun eine Klage gegen die Alpenrepublik vor. Grund: Dies sei „zutiefst diskriminierend“.