© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/19 / 28. Juni 2019

Vermüllte Urlaubsträume
Kolumbien: Umweltbewußtsein ist gerade in der Küstenregion wenig vorhanden
Jörg Sobolewski

Auf den ersten Blick erscheint die Verbandsgemeinde Acandi-Choco mit ihren kleinen Stränden und Buchten wie ein Stück Karibik aus dem Bilderbuch. Nur kleine Dörfer drücken sich an die Hänge des dichten nordkolumbianischen Bergdschungels an der Grenze zu Panama. Viehhaltung und Schmuggel gelten als sichere Geschäftszweige und das Leben verläuft langsamer und ruhiger als auf dem Festland. Touristen, die in einem der Schnellboote von der anderen Seite des Golfs von Uraba übersetzen, sind begeistert von dem klaren Wasser und den schneeweißen Stränden. Zumindest waren sie es früher. Wer heute die beschwerliche Anreise auf sich nimmt, findet an den einst unberührten Stränden regelrechte Müllgürtel vor, die – je nach Strömung und Gezeitenlage – mal wachsen oder schrumpfen aber nie ganz verschwinden. Der Traum von einer unberührten Robinsonade zerplatzt für so manchen schneller als gedacht. 

Silvio R. sieht abends viele desillusionierte Gesichter unter seinen Gästen, er betreibt ein kleines Hostel in einem der Orte der Verbandsgemeinde. Der Schweizer ist ein ruhiger Vertreter seines Volkes. Er ist der Sonne wegen hierher gekommen und hat sich schnell mit dem abgefunden, was Europäer an seiner Wahlheimat stört. „Akzeptieren – oder gehen.“ So beschreibt er mit einem Lachen seine Wahlmöglichkeit. Spricht man ihn auf das Müllproblem an, wird er dennoch gesprächig, und was er erzählt, läßt den umweltbewußten Touristen ungläubig staunen: „Vor einigen Jahren wurde die einzige Müllkippe in Capurgana geschlossen, eine Alternative hatten wir aber auch nicht. Also haben die Leute begonnen ihre Müllsäcke beim nahe gelegenen Riff ins Meer zu werfen. Das ging natürlich überhaupt nicht gut, so daß verzweifelte Hotelbesitzer in der Nacht zu der geschlossenen Müllkippe geschlichen sind und das Ding an vier Ecken angezündet haben. Nach fünf Tagen Schmorbrand war der Müll soweit heruntergebrannt, daß die Kippe wieder geöffnet wurde.“

Die Nachfrage nach der Strategie der verantwortlichen Verwaltung winkt er müde ab: „Da tut sich nichts.“

Besagte Verwaltung steht für ein Interview nicht zur Verfügung, verweist aber auf eine neu angeschaffte Recyclingmaschine für Plastikflaschen. Die steht tatsächlich auf dem zentralen Marktplatz, benötigt aber zur Funktion größere Mengen an Karton. Der wiederum nur spärlich vorhanden ist, denn alle Güter werden per Schnellboot herangebracht, Platz für Kartons ist rar, die meisten Güter sind lose gestapelt. So liegen rund um die Maschine Berge an Plastikflaschen, die der Wind hin und wieder in den Fluß treibt, der auch als Kanalisation eines Hotelkomplexes dient. Dort enden sie, wenig überraschend, im Meer. 

Lothar Berg betreibt ebenfalls eine Unterkunft am Strand. Im Gegensatz zu Silvio R. hat er sich aber auf hochpreisige Hütten direkt an einem der unberührtesten Strände der Region spezialisiert. Seine „Bahia Lodge“ ist nur mit einer Nußschale zu erreichen. Als er vor zwölf Jahren in diese Gegend kam, fand er auf Anhieb sein tropisches Paradies. Das Geschäft läuft gut, und auch sein Strand bietet Touristen immer noch das Postkartengefühl, das Europäer hier gerne suchen.

Spricht man ihn auf das Müllproblem an, nimmt er einen wortlos beiseite und zeigt einem Bilder vom letzten großen Sturm. Es sind Bilder des Grauens: Plastikabsätze, Spielzeug, Flaschen und Berge an Plastiktüten. „Was wir eben so alle zwei Wochen finden.“ 

Mit viel Mühe und Geld hält Lothar seinen Strand so gut es geht sauber. Er hat Pech, er liegt genau auf der Seite der Bucht, wo Wind und Strömung regelmäßig größere Mengen Abfall antreiben. Auch er ist nicht gut auf die Verwaltung zu sprechen „Die Boote kommen voll an, aber sie fahren leer wieder ab. Angeblich darf der Müll nicht mitgenommen werden. Dabei würde ein Wort des Bürgermeisters vermutlich dieses Problem lösen.“

Auch diesmal weigert sich der Bürgermeister der Gemeinde, die Fragen zu beantworten, seine Sekretärin vertröstet mit der Aussicht auf eine „kommende Recyclingstrategie“.

Eine Aussage, die Evelyn Paula mit einer Handbewegung zur Seite wischt. Die promovierte Biologin arbeitet für die Naturschutzbehörde und sieht das Problem vor allem in der Mentalität der Leute und der Unfähigkeit der lokalen Verwaltung: „Die Leute verstehen nicht, daß der Müll, den sie ins Meer kippen, früher oder später die Touristen verscheuchen wird – und davon leben mittlerweile viele Familien im Ort.“ Sie gerät in Rage: „Daß die Verwaltung nichts tut, ist fahrlässiges Versagen. Die Technologie ist da. Bereits eine zentrale Sammlung des Mülls würde enorm viel bewirken, aber stattdessen verklappt die Gemeinde den Müll in Strandnähe, weil dort der Boden leichter auszuheben ist. Ein Sturm und das ganze Zeug liegt im Meer.“ 

Ob denn nicht auch viel Müll im Meer aus anderen Ländern am Atlantik käme? Die resolute Frau winkt ab. Natürlich sei auch die Lage in den anderen Staaten nicht gut, aber aus Europa lasse sich da kaum etwas finden. Es sei mehrheitlich ein hausgemachtes Problem der Karibikanrainer, in denen ein Umweltbewußtsein kaum zu finden sei. Eine Aussage, die mit Blick auf die Strömungskarten durchaus vertretbar ist. Sie fährt fort, man nehme gern das Geld der Touristen, aber ein grundlegendes Verständnis für Recycling sei nicht vorhanden. Mit Wut in der Stimme zählt sie die damit einhergehenden Probleme auf: Schildkröten, die nicht mehr an den Strand zur Eiablage kämen, weil sie schlicht nicht über den Müll kriechen könnten. Tiere, in deren Mägen kiloweise Plastiktüten zu finden seien, weil der von Quallen nicht zu unterscheiden sei und Riffe, in denen sich bunte Fische neben Autoreifen tummeln. 

Der Klimawandel? Sicher, die Erwärmung des Meeres sei ein Problem für die Korallenriffe, aber das Meer verfüge über Selbstheilungskräfte. Da sei sie sich sicher, aber die Müllschwemme, das käme einem Mordversuch gleich.

Einwegplastiktüten sind das größte Problem

Dennoch, ganz so schwarz will sie die Lage nicht stehenlassen: „Es ist vor allem ein Mentalitätsproblem an der Küste. Im Landesinneren haben die Leute verstanden, daß Flüsse und Meere keine Müllkippe sind.“ Tatsächlich sind in Kolumbien große Unterschiede zu erkennen. In den Metropolen Medellin und Bogota sind die Straßen und Parks wie geleckt. Nicht nur, weil ein Heer an Bediensteten diese in emsiger Arbeit sauber hält, sondern auch, weil die Bewohner selbst auf der Straße liegenden Müll aufheben und diesen entsorgen.

In Fernsehprogrammen und vor Kinofilmen wird mit emotionalen Bildern auf die Plastikproblematik hingewiesen, und auch ein Verbot von Plastiktüten wird mittlerweile im Parlament diskutiert. Ein Schritt, den andere Staaten in Südamerika wie etwa Argentinien und Chile schon teilweise beschlossen haben. 

Auch Biologin Paula sieht darin eine kurzfristige Erleichterung ihrer Arbeit. Einwegplastiktüten seien das größte Problem für die kolumbianische Küste. Langfristig, so ist sie sich sicher, müsse in Kolumbien aber die Erkenntnis geweckt werden, daß Recycling eine gewinnbringende und zukunftsträchtige Industrie sei. Sie hoffe auf Europa und insbesondere Deutschland. Sie habe gehört, daß ein Volkswagen aus Deutschland mittlerweile zu einem Großteil aus recycelten Materialien bestehe. Wenn das ihre autoverrückten Landsleute hören würden, sei das sicherlich ein großer Sprung für das Umweltbewußtsein.