© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/19 / 28. Juni 2019

Vor dem Bildersturm für die Nachwelt gerettet
Götzenkammern: Die Lutherstadt Wittenberg zeigt die Ausstellung „Maria zwischen den Konfessionen“
Fabian Schmidt-Ahmad

Das Augusteum in Wittenberg, Keimzelle der Reformation, beherbergt derzeit eine nachgebildete „Götzenkammer“. In der Ausstellung „Maria zwischen den Konfessionen“ und vor allem im begleitenden Katalog wird anschaulich dargestellt, was es damit auf sich hat. Bewußt wurde der Ausstellungsort in der Lutherstadt gewählt, war es schließlich Martin Luthers Wirken, das letztlich von kultischer Verherrlichung zur Verdammung der Marienverehrung führte. 

Die hochwertigen Exponate, die auch aus der Schweiz, Österreich und Italien zusammengetragen wurden, vertreten hauptsächlich den Zeitraum des 15. und 16. Jahrhunderts. Die ikonographische Vielfalt der Mariendarstellungen reicht von der Verkündigung bis zur Himmelfahrt und Krönung Marias. Insbesondere die großformatigen Holzbildwerke, ungefaßt oder in ihrer Originalbemalung, üben eine starke Wirkung aus. Jenseits des ästhetischen Genusses besitzen die Ausstellungswerke eine tragische Dimension, die ihren Höhepunkt im Bildersturm erreichte. 

Von der Anbetung vor allem auch der Marienplastiken, die vielfach besonders im Mittelalter bei Prozessionen mitgeführt wurden, wandelte sich die Bedeutung zunächst in distanzierte Verehrung. Die große Mittlerrolle Marias zwischen Mensch und göttlicher Welt verblaßte. Dieser Weg, geprägt von der politischen Auseinandersetzung zwischen katholischer Kirche und evangelischer Reform, machte die künstlerische Ausgestaltung von Kirchen zum Politikum. Während Luther noch als „Junker Jörg“ herbeieilte, um den Bildersturm in Wittenberg zu verhindern, kam es anderswo zu Exzessen. Zeugnisse vom Vernichtungswillen sieht man häufig, auch in der Wittenberger Ausstellung gibt es dafür Beispiele. 

Aufzeichnungen vom 6. Mai 1524 bis 3. Februar 1525 durch Sebastian Langhans, einen höheren Beamten Kardinal Albrechts, geben die Ereignisse zu Mariä Himmelfahrt wieder. Das gemeine Volk habe mit Steinen und faulen Eiern auf die predigenden Priester geworfen. Auch habe es Angriffe „der gemeinen bösen Buben“, ungefähr fünfhundert, gegen zahlreiche Kleriker gegeben. Im Dom hätten sie viel zerstört und „die Bilder hin und wieder, sei es aus Holz oder Stein, zum Teil abgeworfen“ und auch in der benachbarten Kirche St. Nicolai „Bilder auf den Kronen und Altären abgeschlagen, geworfen, die in Stücke zerbrachen, in den Ärmel gesteckt und ganz und gar mit sich weggenommen‘.“

Das beste Schicksal war hier die innere Emigration. Wurden Bildwerke in abgelegene, nicht einsehbare Verschläge oder Mauernischen deponiert und vergessen, waren das für die Überlieferung Glücksfälle. „Götzenkammern“ hießen diese geheimnisvollen Orte. Die Holzskulptur „Madonna aus Marieney“ um 1500 ist ein solcher Fall. Wiederentdeckt zu Beginn des 19. Jahrhunderts in einem Bretterverschlag mit weiteren Kunstwerken, gehört sie inzwischen zum Inventar des Vogtlandmuseums Plauen.

Die Muttergottes erhielt einen Bart

Die Thematik der „Götzenkammern“ wird erst seit jüngstem systematisch erforscht. An der TU Dresden entstand 2017 ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt. Stefan Dornheim nahm sich im Kernland der Reformation Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen der Aufbereitung an. Hier werden „Strategien der Umdeutung und Neukodierung von einst zentralen Objekten kommunaler beziehungsweise kollektiver Glaubens-, Erinnerungs- und Repräsentationspraxis sichtbar“, verdeutlicht dieser. 

Nicht nur in großen Gebäuden wie dem Freiburger Dom, in dessen Turm sich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts eine Götzenkammer befand, auch kleine Dorfkirchen lagerten die nunmehr „problematischen“ Bildwerke und religiösen Gegenstände aus, soweit sie nicht verkauft oder zerstört wurden. Die „Madonna ohne Kopf“, zweite Hälfte 13. Jahrhundert, gefaßter Sandstein, ist ein Beispiel für den Aufruhr, dem eben auch Marienbildwerke zum Altarschrein im thüringischen Weißensee zum Opfer gefallen sind. 

Nicht nur in „Götzenkammern“ wurden Marienbildwerke trickreich gerettet. Auf dem gezeigten Altarschrein der Kirche St. Peter und Paul im thüringischen Weißensee erhielt die gekrönte Muttergottes kurzerhand einen Bart, um sie als Jesusfigur umzudeuten. So konnten dieses Werk und andere kostbare Exponate für die Nachwelt gerettet werden, die in der gut aufbereiteten Ausstellung die Vielfalt, den Gestaltungsreichtum und die Zeitlosigkeit von Kunstwerken jenseits der Ideologie belegen. 

Die Ausstellung „Verehrt, geliebt, vergessen – Maria zwischen den Konfessionen“. ist bis zum 18. August in der Lutherstadt Wittenberg im Augusteum, Collegienstraße 54, täglich von 9 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr, zu sehen.

 www.martinluther.de