© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/19 / 05. Juli 2019

AfD und Rechtsextremismus
Unter dem Brennglas
Dieter Stein

Es ist richtig, daß nach dem von einem Rechtsextremisten verübten Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) über rechtsterroristische Gefahr gesprochen werden muß. Der Versuch politischer Konkurrenten, die AfD für den Mord mitverantwortlich zu machen, ist aber perfide – und es ist ehrenwert, daß Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) diese politisch motivierten Schuldzuweisungen als „nicht nur kontraproduktiv“ hält, sondern auch als „hochgradig gefährlich“ verurteilt hat. 

Trotzdem befindet sich die Abgrenzung der AfD nach Rechtsaußen nun unter einem noch stärkeren Brennglas. Der „Prüffall“ des Verfassungsschutzes ist juristisch hochproblematisch, legt den Finger aber in eine Wunde. Es zeigt sich, wie klug es von den AfD-Gründern war, eine besonders scharfe Unvereinbarkeitsliste zu beschließen, die eine Mitgliedschaft in der Regel verwehrt, wer zuvor in einer rechtsextremistischen Organisation tätig gewesen ist.

Die AfD ist nachweislich Hauptopfer politisch motivierter Gewalt gegen Parteien. In diesem Zusammenhang verweist sie zu Recht auf fließende Grenzen bei Grünen, Linkspartei und SPD zum Linksextremismus und der Antifa. Gerade deshalb muß sie selbst konsequent sein, was die Abwehr rechtsextremer Netzwerke in ihren eigenen Reihen angeht.

Doch diese Erkenntnis ist noch nicht bei allen durchgedrungen: Ordnungs- und Ausschlußverfahren gegen radikale Problemfälle der Partei werden verschleppt. Die zur Ikone des destruktiven Rechtsaußenflügels der AfD gewordene Doris von Sayn-Wittgenstein wurde am vergangenen Wochenende in Schleswig-Holstein zum Entsetzen vieler als Landesvorsitzende wiedergewählt. In Mecklenburg-Vorpommern wurde jetzt publik, daß Co-Landeschef Dennis Augustin eine frühere Mitgliedschaft in der NPD verschwiegen haben soll. Wie schon bei Sayn-Wittgenstein halten offenbar einflußreiche Kreise des „Flügels“ die Hand schützend über ihn.

Während sich im Bundestag Parlamentarier der AfD dagegen zur Wehr setzten, Wegbereiter des Mordes an Lübcke zu sein, hielt zeitgleich der noch immer nicht wegen seiner antisemitischen Äußerungen aus der AfD ausgeschlossene Wolfgang Gedeon im Stuttgarter Landtag eine Rede, in der es ihm wichtig war festzustellen, rechtsextremistischer Terror sei im Vergleich zu anderen Bedrohungen nur „ein Vogelschiß“. 

Es dauert oft viel zu lange, bis sich die AfD zu Distanzierungen durchringt. Daß das Parteienrecht Ausschlüsse schwermacht, entläßt die Bundesspitze aber nicht aus der Verantwortung, den Kurs der AfD zu klären und Führung zu zeigen. Bei AfD-Vorständen sind jedoch regelmäßig taktische Rücksichtnahmen mit Händen zu greifen, weil jeder einzelne glaubt, beim nächsten Parteitag auf Stimmen des „Flügels“ angewiesen zu sein. Auch hier hilft nur Mut zur Wahrheit.