© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/19 / 05. Juli 2019

Die Sonne zieht nach Westen, die Industrie nach Osten
BASF: Der weltgrößte Chemiekonzern baut das weltgrößte Chemiewerk in China – und in Deutschland Stellen ab
Jörg Schierholz

Bei dem Traditionskonzern BASF findet eine kleine Revolution statt. Hohe Sozialstandards, lebenslange Karrieren und hohe Gehälter gehörten bislang zur sozialen DNS auch der in der Produktion beschäftigten Mitarbeiter des weltgrößten Chemieriesen. Neben der Streichung von Arbeitsplätzen will Vorstandschef Martin Brudermüller nun mit einer neuen Organisationsstruktur „mehr Flexibilität und Kreativität“ ermöglichen.

6.000 der 122.000 Arbeitsplätze sollen bis 2021 abgebaut werden, davon die Hälfte am Standort Ludwigshafen, sagte er der FAZ. Die Sparmaßnahmen setzen vor allem bei der BASF-Zentrale und der Verwaltung an.

Der 1865 in Ludwigshafen gegründete Chemiekonzern ist mit den Geschäfts­feldern Kunststoffe, Chemikalien, Pflanzen­schutzmittel und Ernährung, Farben, Reinigungsmittel sowie mit der Tochter Wintershall Öl und Gas in mehr als 50 Auslandsstandorten sehr breit aufgestellt. 2018 übernahm er die Pflanzenschutz-Randaktivitäten von Bayer-Monsanto, die aus kartellrechtlichen Gründen abgegeben werden mußten.

Das Stammwerk in Ludwigshafen ist der weltweit größte Chemiekomplex, charakterisiert durch hochintelligent gekoppelte Stoff- und Energiekreisläufe, indem Produktionsbetriebe, Rohstoffe, chemische Produkte, Energie- und 

Abfallströme, Logistik und Infrastruktur aufeinander abgestimmt sind. Ein einmaliges Produktions-Know-how, welches durch generationenübergreifende Expertise nach und nach aufgebaut wurde.

Investiert wird aber massiv in Asien. Erstmals in der chinesischen Geschichte darf ein Großkonzern des Westens ohne einheimischen Zwangspartner in China eine Produktion aufbauen. Mit bis zu zehn Milliarden Dollar – das ist bislang die größte Einzelinvestition der BASF – wird in Guangdong ein neues Verbundwerk geschaffen. Eine Anlage, vergleichbar nur mit dem Stammsitz in Ludwigshafen.

„Der Anteil Chinas an der weltweiten Chemieproduktion wird bis zum Jahr 2030 auf rund 50 Prozent ansteigen“, begründete Brudermüller die Standortentscheidung. „Guangdong ist ein wachsender Markt für Chemie-Innovationen.“ Investitionen in Europa bezeichnete er als „Klumpenrisiko“. Was genau Brudermüller, Mitglied im Wirtschaftsbeirat der Grünen, damit meint, bleibt unklar. Fakt ist das ungünstige politische Umfeld in Deutschland, welches dazu führt, daß energieintensive Industrien sowie innovationstarke Zukunftstechnologien wie die Gen- oder Biotechnologie ihre Standorte dorthin verlagerten, wo Produktionswachstum nicht als Risiko betrachtet wird.

Der Arbeitsplatzabbau ist ein harter Schlag für Ludwigshafen, das den achthöchsten pro-Kopf-Schuldenstand aller deutschen Kommunen hat und hauptsächlich von den Gewerbe- und Einkommensteuern der BASF und ihrer Mitarbeiter lebt.

Für den Chemieriesen wird in Asien ein neues Gravitationszentrum erschlossen, mit der Konsequenz, daß der Heimatstandort an Bedeutung verliert. Falls auch noch Bayer wie vor 20 Jahren die Hoechst AG nach deren Monsanto-Abenteuer von Finanzinvestoren zerschlagen wird, bleibt von der ehemals weltmarktbeherrschenden deutschen Schlüsselindustrie in der Heimat wenig übrig.