© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/19 / 05. Juli 2019

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Nur ein einziges Mal geboren, weiß die Menschheit nichts von einer zweiten Geburt ‘von oben’. Sie hat keine Mission. (…) Die Menschheit (…) ist allzu sehr da; wir gehören ihr alle an, es bleiben uns keine Möglichkeiten. Das ist die Armut der Menschheit als Gemeinschaft.“ (Gerardus van der Leeuw, niederländischer Theologe)

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Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat zum Schluß des Evangelischen Kirchentages kritisch angemerkt, daß die Einhelligkeit der Meinungen – irgendwie grün, sozial, inklusiv, feministisch –, die nicht zuletzt in der Ausladung der AfD-Vertreter ihren Niederschlag fand, bedenklich stimme. Deshalb sei angemerkt, daß die Intoleranz des Kirchentagsprotestantismus kein neues Phänomen ist. Seit den 1970er Jahren hatte man stets ein weites Herz für jede linke Gruppe und jedes linke Grüppchen, von den AKW-Gegnern und der moskautreuen DKP bis zu Leuten, die Verständnis für den irregeleiteten Idealismus der Baader-Meinhof-Bande anmeldeten und die SWAPO oder den ANC in ihrem gerechten Kampf gegen die weiße Herrschaft unterstützten, ganz gleichgültig, welche Mordtaten sie dabei begingen. Während des Hamburger Kirchentags von 1981, der zur Zeit der Nachrüstungsdebatte stattfand, drohten Friedensfreunde den Befürwortern militärischer Verteidigung schon mal Prügel an, und Helmut Schmidt durfte dankbar sein, daß seine Erklärung, er sei als Christ kein Pazifist, von dem arroganten Walter Jens nur mit dem Satz quittiert wurde, daß man für den Bruder beten müsse.

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„Wie viele Verrätereien der Weltgeschichte sind im Grunde nichts Schlimmeres gewesen als Rechenfehler, beruhend auf irriger Voraussage und untüchtigem Handeln. Allein in der Politik sind eben Rechenfehler die unverzeihbare Sünde.“ (Cicely Veronica Wedgwood, britische Historikerin)

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Kein Kommentar I: „Wenn Sie in Deutschland einen richtig rechten Raum sehen wollen, dann müssen Sie auf die deutsche Autobahn, mit der auf schneidigste Weise die Landschaft durchquert wird.“ (Durs Grünbein, Schriftsteller)

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Mehr Faule als Dumme, mehr Dumme als Feige, mehr Feige als Böse.

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Kein Kommentar II: „Wir finden Merkel beide sehr wichtig“ (Tokio Hotel)

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Die taz hat ein interessantes Interview mit Svenja Flaßpöhler geführt, der Chefredakteurin des Philosophie-Magazins. Darin geht es um den immer enger werdenden Meinungskorridor und die Entstehung eines „moralischen Totalitarismus“, der insbesondere von linken pressure groups getragen wird und alle möglichen Maßnahmen ergreift, um unliebsame Auffassungen abzudrängen und deren Träger mundtot zu machen. Man würde das und die Kritik an der #MeToo-Kampagne wie der gendergerechten Sprache mit noch größerer Sympathie lesen, wenn Frau Flaßpöhler nicht die linksliberale Hegemonie im Kulturbetrieb als Selbstverständlichkeit betrachtete, so viel Angst davor hätte, als „rechtsreaktionär“ zu gelten, und sich letztlich nur imstande sieht, „rechte Positionen zu verstehen, aber im Sinne von Hannah Arendt. So, wie Arendt versucht hat, den Holocaust-Organisator Adolf Eichmann zu verstehen, ohne ihn zu rechtfertigen oder irgendwas zu entschuldigen.“ Da bedarf es vielleicht doch noch einer etwas größeren Portion von dem, was sie sonst für nötig hält: „A... in der Hose“.

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Ist es eigentlich mit der Würde des Hohen Hauses vereinbar, wenn vor dem Reichstagsgebäude Polizeibeamte stehen, Basecap auf dem Kopf, die „fette Henne“ auf dem Ärmelabzeichen und Multifunktionshosen als Beinbekleidung? Aber was für eine sinnlose Frage: Drinnen warten am Einlaß zum guten Teil Leute, die man von Privatfirmen holt, die für 450-Euro-Jobs rekrutieren. Immerhin: bunt ist die Belegschaft.

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Kein Kommentar III: „Ich wünsche mir, daß wir die Reste des Nazi-Denkens aus der Erziehung tilgen. Eigentlich bin ich Theaterregisseurin, aber derzeit gebe ich Kurse für junge Familien. Den Ausdruck ‘erziehen’ mag ich nicht. Das bedeutet ja, etwas ist nicht in Ordnung, wir müssen es zurechtziehen. Meistens haben Eltern die richtige Intuition, etwa: immer hinzugehen, wenn das Baby weint. Aber sie lassen sich durch Kommentare von Omas und Opas verunsichern, Sätze wie ‘Schreien kräftigt die Lund’, die aus Büchern der Dreißiger stammen.“ (Friederike Hundertmark, Theaterregisseurin)

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Wenn man die Stellungnahmen der Linken und der Grünen, des Bundespräsidenten wie des Vorstandschefs von Siemens zugunsten der Kapitänin der Seawatch zur Kenntnis nimmt, die ihre Anlandung auf Lampedusa erzwungen hat, gewinnt man einmal mehr eine Vorstellung von der Spannweite der Regenbogenkoalition, die hierzulande die Meinungsmacht ausübt.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 5. Juli in der JF-Ausgabe 28/19.