© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Jens Weidmann als EZB-Chef wäre eine Chance für Deutschland. Merkel entschied anders.
Still, aber standhaft
Bruno Bandulet

Der erste Eindruck kann täuschen. Wer Jens Weidmann im Juli 2012 bei den Euro-Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht beobachten konnte, wie er den Standpunkt der Deutschen Bundesbank verteidigte, erlebte einen leisen, fast schüchtern auftretenden jungenhaften Mann. Daß er 2019 nach dem am 1. November freiwerdenden Posten seines großen Gegenspielers EZB-Chef Mario Draghi greifen würde, war in den Jahren der akuten Eurokrise unvorstellbar. 

Unterschätzt wurde der 1968 in Solingen geborene und im Schwäbischen aufgewachsene Volkswirt schon 2011, als Angela Merkel ihn an die Spitze der Bundesbank beförderte. Er hatte ihr seit 2006 als Abteilungsleiter im Kanzleramt zugearbeitet, war ihr maßgeblicher Wirtschafts- und Finanzberater, galt als ihr treuer Diener und hochkompetenter Technokrat zugleich. Falls sie aber geglaubt haben sollte, er werde auch als Präsident der traditionsreichen Bundesbank ihr verlängerter Arm sein, hat sie sich gründlich getäuscht.

Weidmann ging von Anfang an in Opposition zur vertragswidrigen, von Merkel gedeckten Euro-Rettungspolitik des Italieners Draghi. In der berüchtigten EZB-Ratssitzung vom September 2012, die den unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen überschuldeter Euro-Länder vorsah, stimmte der Bundesbankpräsident mit Nein und tat damit das, was die Bundesregierung scheute: Weidmann machte sich zum Anwalt deutscher Interessen. Hätte er 2012 seine Rücktrittsdrohung, die er nie an die Öffentlichkeit brachte, wahr gemacht, wäre der Volkswirt nach Axel Weber und Jürgen Stark der dritte deutsche Vertreter in der EZB gewesen, der das Handtuch geworfen hätte. Doch Weidmann blieb. Und er vermied weitere Konfrontationen mit Draghi um so mehr, je näher dessen Amtszeitende heranrückte. Nie bekannte er offen, daß er das mächtigste Amt der EU anstrebte, doch jeder wußte, daß er es haben wollte.

Wie aus Paris durchsickerte, wäre Emmanuel Macron sogar bereit gewesen, ihn als EZB-Präsidenten zu akzeptieren, wenn im Gegenzug dem Brexit-Unterhändler Michel Barnier die Führung der EU-Kommission zugefallen wäre. Daß der Bundesbankpräsident in Frankreich studiert hat, die Sprache beherrscht und überhaupt eine Schwäche für Frankreich hat, verschafft ihm Pluspunkte in Paris. Mit einem solchen Handel hätte Deutschland wieder Einfluß auf die europäische Geldpolitik erlangt. Merkel war aber nicht interessiert, sie ließ Weidmann fallen und bekommt dafür Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin. Und Draghis vergiftetes Erbe darf „Madame Nullzins“, Christine Lagarde, antreten. Immerhin: Sollte das Euro-Experiment im Desaster enden, wird man nun die Schuld nicht den Deutschen in die Schuhe schieben können. Vielleicht wird Jens Weidmann eines Tages sogar dankbar dafür sein, daß er leer ausging.