© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/19 / 12. Juli 2019

Ländersache
Raubmörder auf freiem Fuß
Paul Leonhard

Eine Demonstration zieht langsam durch die Cottbuser Innenstadt. Die Männer an der Spitze tragen ein Plakat mit einem Schwarzweißfoto der Rentnerin Gerda K. Die 82jährige wurde am 9. Dezember 2016 in ihrer Wohnung überfallen, ausgeraubt und qualvoll getötet. Als ihr Bruder sie fand, hatte die gefesselte Frau noch eine Plastiktüte über dem Kopf. Die Wohnung war durchwühlt worden, Bargeld und Wertgegenstände waren verschwunden. 

Nach dreimonatigen Ermittlungen konnte die Polizei einen Verdächtigen präsentieren: einen zur Tatzeit erst 17jährigen syrischen Flüchtling, der 2015 nach Deutschland gekommen sein soll. Doch der mutmaßliche Raubmörder befindet sich seit vergangener Woche wieder auf freiem Fuß. Er wurde auf Beschluß des Landgerichts Cottbus trotz bestehender Fluchtgefahr und dringenden Tatverdachts aus der Untersuchungshaft entlassen.Ein kurzfristiges Ende des im Oktober 2017 unter Ausschluß der Öffentlichkeit begonnenen Prozesses sei nicht absehbar und daher eine weitere Haft nicht verhältnismäßig, begründete das Gericht seine Entscheidung.

Die erteilten Auflagen – der Beschuldigte muß sich an einem bestimmten Ort aufhalten und sich jeden Tag bei der Polizei melden – reichen aus Sicht der Jugendkammer aus, um der „bestehenden Fluchtgefahr entgegenzuwirken“. Für die lange Verfahrensdauer ist neben offenbar schlampiger Polizeiarbeit – unvollständige Ermittlungsakten, mehrfach numerierte Beweisstücke, widersprüchliche Angaben zu Fundstücken – auch das Verhalten des syrischen Angeklagten und seiner Verteidigung verantwortlich, das die Staatsanwaltschaft als „prozeßverzögernd“ bezeichnet. So mußte das Gericht über eine Flut von Anträgen der Verteidigung entscheiden. Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Entlassungsbeschluß bereits Beschwerde eingelegt. Angesichts der Schwere des Falls sei eine weitere U-Haft auch nach 28 Monaten verhältnismäßig. Darüber muß jetzt das Oberlandesgericht in Brandenburg entscheiden.

Unverständnis für die Entlassung des Angeklagten zeigten die 200 Teilnehmer des Protestzuges, zu dem das Bürgerbündnis „Zukunft Heimat“ unter dem Motto „Opfer zweiter Klasse? Gerechtigkeit für die Opfer von Zuwanderungskriminalität“ am Freitag aufgerufen hatte und an dem sich auch die örtliche AfD beteiligte. „Warum man in Brandenburg mutmaßliche Mörder und Brandstifter freiläßt und nicht schnell verurteilt, bleibt mir ein Rätsel“, sagte Thomas Jung, rechtspolitischer Sprecher der Brandenburger AfD-Fraktion: „Da dem tatverdächtigen Syrer mehr als zehn Jahre Haft drohen, sehe ich hier deutliche Fluchtgefahr, egal was er oder sein Anwalt versichern.“

Daß selbst bei schweren Delikten Angeklagte wegen zu langer Verfahrensdauer auf freien Fuß kommen, scheint in Brandenburg nichts Neues. Erst im März waren vier Syrer in Frankfurt (Oder) aus der U-Haft entlassen worden, die beschuldigt werden, im August 2018 die Diskothek „Frosch-Club“ überfallen und Gäste des Clubs mit Messern, Steinen und Eisenstangen angegriffen zu haben. Einer der Männer soll sich nach seiner Haftentlasssung im Mai an einem zwölfjährigen Mädchen sexuell vergangen haben. Er sitzt nun erneut hinter schwedischen Gardinen.